Mit Johannes Wessels vergeht die Zeit im Erzählcafé wie im Fluge
Wer hat an der Uhr gedreht – ist es wirklich schon so spät? Die Besucher des Erzählcafés mit Janz Wessel trauten ihren Augen nicht, als der „Bauer aus Polsum“ nach seinem Vortrag sagte, seine Zeit wäre jetzt rum. Während der vergangenen 120 Minuten hat niemand auf die Uhr gesehen, niemand den Raum verlassen. Die gut fünfzig Besucher im Europäischen Friedenshaus hatten in den zwei Stunden mehrfach ihre Taschentücher hervorholen müssen, um Tränen abzutupfen, die durch herzhaftes Lachen in die Augen getreten waren.
In Polsum geboren – neugierig auf die Welt
„Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ich so viel zu erzählen weiß“, sagte ein sichtbar erleichterter Janz Wessels zu den Gästen, die jede Minute seines Vortrags an seinen Lippen hingen. Die gute Mischung der Gaben des Referenten war’s, die das zweite Erzählcafé, einer Kooperation zwischen der insel-VHS und dem Heimatverein, zu einer rundum gelungenen Veranstaltung machte. Zum einen hat er viel erlebt, dieser Janz Wessels vom Kötterweg. Auf seinem Hof und auf seinen Reisen. Darüber hinaus hat ihm der liebe Gott das Talent gegeben, seinen Mitmenschen unvoreingenommen und freundlich zu begegnen. Mit dem Effekt, dass auch er überall herzlich empfangen wird. An Orten, von wo andere geflohen sind, hat er sich wohl gefühlt und mit den Menschen dort in einer Gemeinschaft gelebt. Und schließlich hat er die Fähigkeit, das Erlebte lebendig und anschaulich zu erzählen.
Von Stechfliegen und Reisen auf dem Heinkel-Roller
Die Wessels gibt es schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts in Polsum. Die Familien waren stets groß und die Höfe gingen immer an den ältesten Sohn. So war auch bestimmt, dass Johannes Wessels den Hof seiner Väter bewirtschaften wird. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hat er den Hof nicht verlassen, danach erst ging es in die weite Welt – nach Polsum zur Schule! Ein wenig mehr Bewegung kam durch die Mitgliedschaft in der Kolpingsfamilie in sein Leben. So reiste Janz 1961 zum 1. katholischen Weltjugendkongress nach Lourdes. Viele tausend Jugendliche in seinem Alter kamen dort zusammen – und Janz ärgerte es maßlos, dass er die vielen Franzosen, Schweizer und Italiener nicht verstand. Ab da war für ihn klar, dass er die französische Sprache erlernen will. Gelegenheit bot sich ihm durch ein Praktikum, das er im Rahmen seiner Ausbildung zum Landwirt im Schweizer Jura ableistete. In seinem Vortrag berichtet Janz Wessels von unvorstellbarer Armut und täglicher Mühsal und Plackerei auf den Feldern im Dorf: von allgegenwärtigen Stechfliegen und Kühen, deren Euter so ganz anders waren als die der Kühe in der Heimat. Aber Janz Wessels berichtet auch von der Menschlichkeit in der Familie, der Fröhlichkeit und der Herzensgüte. Und von seinen Touren durch alle Kantone der Schweiz, die er auf seinem unverwüstlichen Heikel-Roller besuchte.
Am Ende seines Praktikums sprach er so gut französisch, dass er sich auf eine große Reise durch Frankreich machte – und dabei eine Reihe von Mädchen und Jungen besuchte, deren Adressen er sich in Lourdes notiert hatte. Fast wäre aus einer Freundschaft noch viel mehr geworden …
Mit Lust und Liebe Landwirt
Dass er mit Leib und Seele Landwirt ist, hört man aus jedem Satz heraus. Ob er über das Leben der Bauern im alten Marl spricht, über die Modernisierung in der Landwirtschaft oder über das knackige Brot oder über die leckeren Würste, die die Bauern verstehen herzustellen – stets spürt man die Liebe zu seinem Beruf und zu seinem Land. Und zu den Menschen, die es bewirtschaften und davon leben.
Ideales Erzählcafé im Europäischen Friedenshaus
Dr. Renate Strauch, Leiterin der insel, und Peter Hofmann, stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins, sind mit der Veranstaltungsreihe „Erzählcafé“ sehr zufrieden. Und die vielen Gäste im Europäischen Friedenshaus auch. Anneliese Scheffler und Hermann Börste vom Heimatverein hatten das Haus für die Veranstaltung hergerichtet und die Besucherinnen und Besucher waren sich einig: Dieses Haus ist wie geschaffen für Veranstaltungen wie das Erzählcafé.
Janz Wessels über …
… Energie
Lange bevor elektrischer Strom in die Haushalte kam, fuhr die Straßenbahn von Recklinghausen nach Dorsten über Marl mit elektrischer Energie. Ein Bauer auf dem Weg hatte die Leitungen angezapft und betrieb schon sehr früh einige Maschinen auf seinem Hof damit. Immer jedoch, wenn die Straßenbahn an seiner „Zapfstelle“ vorbei kam, fiel der Strom in seinem Haus aus.
… gute Küche
Das Beste, was ich je gegessen habe, bekam ich in Belgien bei einem Bauern serviert. Ich durfte im Kuhstall übernachten und war zum Frühstück eingeladen. Es gab selbstgebackenes Brot, dazu Blutwurst mit Rosinen und Rübenkraut.
… Reichtum
Geld ist das allerteuerste, was es auf der Welt gibt.
… Wertanlagen
„Geld und kleine Kinder, das kann ein Bauer nie genug haben.“ Lebensweisheit eines Landwirts aus Westerholt.
… Bildung
Zur Landwirtschaftsschule fuhr ich mit dem Bus vom Lindenhof in Alt-Marl nach Dorsten. Mit im Bus waren die Mädchen, die zum Gymnasium zu den Ursulinen gingen. Die Sitzordnung im Bus war wie folgt: vorne saßen die Pennäler, hinten die Mistakademiker.
Autor:Peter Hofmann aus Marl |
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