Absolutes Tabuthema: "Sexuelle Gewalt durch eigene Geschwister ist kein Einzelfall", weiß die Marlerin Dr. Esther Klees

Seit mehr als zehn Jahren forscht und klärt Dr. Esther Klees über ein Tabuthema in der Öffentlichkeit auf. | Foto: Petra Pospiech
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Sexueller Missbrauch von Kindern ist längst kein Tabuthema mehr - die Täter, so die vorherrschende Meinung, sind meist erwachsene Männer. Absolutes Tabu in Gesellschaft und auch Politik ist hingegen die sexualisierte Gewalt durch eigene Geschwister im Kindes- und Jugendalter.

Von Petra Pospiech

Dabei handelt es sich keinesfalls um Einzelfälle und schon gar nicht um harmlose „Doktorspielchen“. Die Marlerin Dr. Esther Klees setzt sich seit mehr als zehn Jahren intensiv mit diesem Thema auseinander und veröffentlicht jetzt ihr drittes Buch.

Tagtäglich arbeiten viele Fachkräfte aus Pädagogik und Therapie mit Jungen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt an Geschwistern ausgeübt haben oder mit betroffenen Geschwistern und deren Familien - nicht nur in den zirka 80 auf sexualisierte Gewalt durch Kinder und Jugendliche spezialisierten Einrichtungen in Deutschland. Bereits Ende der 90er Jahre erlebt Esther Klees während eines Jahrespraktikums im Evangelischen Kinderheim in Recklinghausen hautnah die Auswirkungen, die Kinder aufgrund von sexualisierter Gewalt durchleiden. „Die Vielzahl und Intensität der Fälle bewegte mich dazu, mich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, berichtet die heute 40-jährige Marlerin. Ihre Diplomarbeit widmete sie dem Thema „Frauen als Täterinnen und Jungen als Opfer sexueller Gewalt“.

Auf der Suche nach Fachliteratur, die sich mit sexualisierter Gewalt durch Geschwister befasst, erfährt die engagierte Diplom-Sozialpädagogin, dass es diese nicht gibt, denn damals wie heute wird dieses Thema international kaum erforscht.
Daher beginnt sie - neben ihrer Berufstätigkeit - eigene Forschungen durchzuführen und verfasst 2008 ihre Doktorarbeit an der Universität Bielefeld zum Thema “Geschwisterinzest im Kinder- und Jugendalter“. In ihrer Studie stehen die Ursachen für die Ausübung sexualisierter Gewalt an Geschwistern im Vordergrund.

Das Familienmilieu ist sexualisiert

Während ihrer Forschung stößt sie bei den übergriffigen Kindern und Jugendlichen immer wieder auf ähnliche Familiensituationen. „Die meisten sexuell übergriffigen Kinder kommen aus Familien, in denen sie zuvor schwere Formen von Gewalt erfahren mussten - oftmals durch ihren Vater oder Stiefvater. Sexualisierte Gewalt durch Geschwister vollzieht sich zudem oft in kinderreichen Patchwork-Familien, in denen die Kinder von ihren Eltern emotional und/oder körperlich vernachlässigt werden. Die übergriffigen Kinder fühlen sich eigentlich hilflos und ohnmächtig“, erläutert Dr. Esther Klees. „Durch die Ausübung sexualisierter Gewalt erleben die Mädchen und Jungen das Gefühl von Macht und Überlegenheit. Andere werden abgewertet, um sich selbst aufzuwerten - es geht bei sexualisierter Gewalt weniger um Sexualität.“

Das Schlimme für viele Opfer ist, dass ihnen nicht geglaubt oder das Thema in der Familie totgeschwiegen wird. „Eine 80-jährige Frau sagte nach einem meiner Vorträge weinend: ‚Ich danke Ihnen, Sie glauben mir. Viele Jahre habe ich in der Psychiatrie verbracht, weil niemand mein erlebtes Leid ernst nahm‘, erinnert sich Dr. Esther Klees erschüttert.
Ihr erklärtes Ziel ist: „Sexualisierte Gewalt durch Geschwister darf kein Tabuthema mehr sein, nicht in den Familien und nicht in der Öffentlichkeit.“
Das neue Buch von Dr. Esther Klees ist ein Praxishandbuch, in dem 24 Experten erstmalig ihre vielfältigen Erfahrungen aus der Arbeit mit den sexualisiert übergriffigen Jungen und Mädchen zusammenstellen.

Seit mehr als zehn Jahren forscht und klärt Dr. Esther Klees über ein Tabuthema in der Öffentlichkeit auf. | Foto: Petra Pospiech
Drei Bücher veröffentlichte die Marler Diplom-Sozialpädagogin Dr. Esther Klees bereits. Foto: Pospiech
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Lokalkompass Marl aus Marl

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