Andreas Niedrig: Ich vermisse dieses Highsein nicht
Er war - und ist - in seinen Lebensabschnitten extrem. Ob bei seinem jahrelangen Drogenkonsum oder als nie aufgebender Profi im Ultra-Ausdauersport. Andreas Niedrig hat Grenzbereiche kennengelernt, lebte in und mit ihnen. Und er redet darüber, teilt seine Erfahrungen, um aufzuklären und zu helfen.
Wie jetzt auch zwölf Patienten der Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL) in einer ungewöhnlichen Therapiestunde erleben konnten. Spurwechsel heißt die Station - und radikale Spurwechsel gehören auch zu Niedrigs Werdegang.
Dirk Meyer, ein Mitarbeiter der Station, köderte den Extremsportler und bekennenden Ex-Junkie, der sich in der offenen Station mit dem Schwerpunkt „Qualifizierte Entgiftung und Entwöhnungsanbahnung drogen- und alkoholabhängiger Jugendlicher“ den Fragen stellte.
Bei seinem Eintreten hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so gespannt zeigten sich die Anwesenden. Immerhin hat der Oer-Erkenschwicker nicht nur durch seine zahlreichen sportlichen Erfolge - wie den zweiten Platz beim Ironman Europe oder seine erfolgreichen Teilnahmen am Ironman in Hawai - von sich reden gemacht. Sein Leben war Stoff genug für den Kinofilm „Vom Junkie zum Ironman“, der heute als Diskussionsgrundlage im Schulunterricht eingesetzt wird.
Die Zurückhaltung der 15- bis 19-Jährigen wich jedoch bald einer regen Diskussion. Niedrig erzählte nicht nur aus seinem Leben, das vom 13. bis zum 21. Lebensjahr von seiner Drogenabhängigkeit bestimmt war, sondern zeigte ganz deutlich, dass er sich auch heute noch in jeden einzelnen Betroffenen einfühlen kann. Die Wertschätzung, die er den häufig mit einem geringen Selbstwertgefühl ausgestatteten jungen Menschen entgegenbrachte, war nicht gespielt, sondern zutiefst authentisch. Und das kam bei den Patienten an, deren eigene Lebensgeschichten von Alkoholmissbrauch oder dem Konsum von Kokain und Haschisch berichten.
Wie er es denn geschafft habe, clean zu bleiben, nachdem er in sein altes Umfeld zurückgekehrt sei, wollte ein Jugendlicher wissen. „Ich habe das als meine Aufgabe gesehen“, so Niedrigs Antwort. „Nachdem ich mit 22 aus der Therapie hinausgeworfen wurde, wollte ich beweisen, dass ich es auch alleine ohne Drogen schaffe.“ Ob er den „Drogenkick“ nicht manchmal vermisse, lautete eine weitere Frage. Und auch hier spiegelte sich die Lebenserfahrung in der Entgegnung des 44-Jährigen wider: „Das Schlimmste am Drogenkonsum ist für mich, dass man das natürliche Belohnungssystem des Körpers außer Kraft setzt. Du kannst dich nicht mehr an Glücksmomenten erfreuen, die du dir selbst erarbeitet hast, sei es ein schulischer oder sportlicher Erfolg oder die Nähe zu einem Menschen. Nichts löst ein so intensives Gefühl aus wie das, wenn du high bist. Und genau das macht dich so einsam. Nein, ich vermisse dieses „Highsein“ nicht. Ich möchte mich spüren. Das ist mir wichtig.“
Beeindruckt zeigten die jungen Erwachsenen sich vom Durchhaltevermögen des Extremsportlers, der lange und verbissen um seinen ersten Hilfsarbeiterjob nach dem Entzug gekämpft hat, bevor er überhaupt an den Sport dachte. „Ihr müsst erkennen, was Ihr könnt - nicht was Ihr nicht könnt. Und Ihr müsst an Euch glauben“, gab Niedrig seinen Zuhörern mit auf den Weg.
„Unsere Patienten kommen hier häufig mit dem Gefühl einer völligen Überforderung an“, so Dirk Meyer, „da tut es gut zu hören, dass es auch Ex-Junkies, die es heute offensichtlich geschafft haben, so ergangen ist.“ Und es soll auch nicht der Letzte bleiben. Denn Andreas Niedrig, mittlerweile neben dem Sport erfolgreicher Motivationstrainer, hat sich bereit erklärt, die Station Spurwechsel auch weiterhin tatkräftig zu unterstützen.
Infos zum LWL
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 17 Museen und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung.
Autor:Mariusch Pyka aus Marl |
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