"Radentscheid Marl" sammelte 6275 Unterschriften für die Verkehrswende in Marl
In Marl hat die Bürgerinitiative "Radentscheid Marl" als Bürgerbegehren für bessere Radinfrastruktur ihre gesammelten Unterschriften an die Stadt übergeben. Wegen der Coronapandemie konnte die ursprünglich geplante Fahrrademo mit mehreren hundert Teilnehmern nicht stattfinden. Stattdessen gab es eine kurz gehaltene Übergabe vor der Kulisse vor den Rathaustürmen. Dazu rollten Kinder und Erwachsene als Symbol gegen die verfallenen und gefährlichen Radwege in Marl einen 25 Meter langen roten Teppich im Radwege-Look vor dem Rathaus aus.
"Quorum" bereits nach drei Wochen erreicht
6275 Original-Unterschriften in nur vier Wochen ohne richtige Sammelaktion. Die Initiative benötigte 4.126 Unterschriften, die ohne Frist hätten gesammelt werden können. Doch den Bürgern in Marl war das Thema offenbar so wichtig, dass das sogenannte "Quorum" bereits nach drei Wochen erreicht war.
"Wir haben noch eine vierte Woche weitergemacht, um eine Sicherheitsreserve zu erhalten. Dabei kamen noch mal deutlich über 2.000 weitere Unterschriften an", sagt Eva Lück vom Radentscheid-Team.
Eigentlich hätten die Bürger in Marl weiter sammeln können, weil es für ihren "initiierenden Bürgerbescheid" keine Frist gibt.
"Wir beenden die Sammelaktion aber bereits jetzt nach vier Wochen, weil dieses deutliche Votum der Marler Bürgerinnen und Bürger in der Kürze der Zeit und unter den demokratiefeindlichen Bedingungen von Covid-19 nicht mehr an Aussagekraft zu steigern ist", sagt Ludger Vortmann, einer der Initiatoren des Radentscheids Marl.
Unterschriftenliste als Download
Erste Unterschriftensammlung in Deutschland während Corona-Krise kontaktlos erfolgreich Und das, obwohl die Unterschriften wegen der Coronapandemie wie nicht geplant mit Klemmbrett und Stift gesammelt werden konnten. Eigentlich wollte die Initiative bereits Anfang Februar starten. Mehr als 80 Sammlerinnen und Sammler standen dazu bereit. Doch die Initiative musste sieben Wochen auf die grobe Kostenschätzung der Stadt Marl warten, die in Nordrhein-Westfalen verpflichtend ist und vor dem Sammelstart auf der Unterschriftenliste stehen muss. Als dann die Kostenschätzung Ende März endlich vorlag, wurde das strenge Kontaktverbot verhängt.
Die Initiative überbrückte den fehlenden Kontakt zur Zielgruppe in dieser Ausnahmesituation durch witzige Videoclips, eine gute Information über die Presse und soziale Medien. Die Unterschriftenliste bot sie als Download an.
30 Radentscheid-MarlBriefkästen
"Aber vielen Bürgern waren die fünf Schritte Onlinegehen, Downloaden, Ausdrucken, Ausfüllen und Absenden zu mühsam", sagt Heinz Borgmann vom Radentscheid-Marl. "Viele haben auch keinen Drucker. Und bei der Zeitungsbeilage mussten wir organisieren, dass die ausgefüllten List auch wieder zurückkommen."
Dabei überlegte sich die Initiative unter anderem ein System von 30 Radentscheid-MarlBriefkästen in der Stadt und setzte ihr blaues Lastenrad "MarLore" auf den Märkten als mobilen Briefkasten ein. Die Bürgerinnen und Bürger brauchten beim ohnehin geplanten Markteinkauf oder Spaziergang an der frischen Luft nur ihre ausgefüllten Listen in die geöffnete Box fallen zu lassen.
Der Rat der Stadt Marl wird in der letzten Sitzung vor der Sommerpause am 25. Juni über den Radentscheid entscheiden. Sollten sie die Forderungen nicht übernehmen, wollen die Initiatoren die Marlerinnen und Marler am 13. September zusätzlich zur Kommunalwahl an die Wahlurnen rufen.
"Dann können sie selber entscheiden, ob sie und ihre Kinder weiter auf BuckelpistenRadwegen unterwegs sein wollen oder unsere Stadt eine lebenswerte Stadt wird, in der Kinder so früh wie möglich und alte Menschen so lang wie möglich sicher mit dem Fahrrad unterwegs sein können", sagt Stefan Koch vom Radentscheid-Team.
Lastenrad "MarLore"
Das blaue Lastenrad "MarLore" ist seit dem Start des Bürgerbegehrens Ende Januar zu einem Maskottchen und Werbeträger für die Stadt Marl geworden. Damit lieferten die Ehrenamtlichen zum Beispiel auch tausende Mund-/Nase-Masken aus, die der Förderverein des Klara-Hospizes in Heimarbeit genäht hatten.
RadEntscheid Essen
Staffelstab wird an RadEntscheid Essen übergeben. Im Anschluss an die Übergabe der Unterschriften an die Stadt Marl übergaben die Marler Klemmbretter, die sie für ihre kontaktlose Unterschriftensammlung nicht wie geplant einsetzen konnten, an die Initiative in Essen weiter. Sie startet nun als zweiter Radentscheid im Ruhrgebiet die Sammelaktion.
Grussworte bei der Übergabe
"Als Mitinitiator der Volksinitiative "Aufbruch-Fahrrad" möchte ich den Aktiven des Radentscheids gratulieren und Hochachtung zollen, dass sie es in dieser schwierigen Zeit geschafft, haben das Quorum so schnell zu erreichen. Dies zeigt, trotz der widrigen Verhältnisse, wie groß der Wunsch der Bürgerinnen und Bürgern ist nach mehr Radverkehrsförderung in Marl und damit auch für eine Verkehrswende. Deshalb möchte ich den Entscheiderinnen und Entscheidern in Marl sagen, dass sie dem Wunsch nach mehr Radverkehrsförderung nachkommen sollen und damit ein Investition in die Zukunft tätigen."
Thomas Semmelmann, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs in NRW (ADFC)
"Der erste Radentscheid des Ruhrgebiets und überhaupt in einer Stadt unter 100.000 Einwohnern in NRW zeigt, wie wichtig dieses Thema für die Menschen hier ist. Mich beeindruckt, wie viele Bürger in Marl bereit sind, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern und für kurze Strecken das Fahrrad zu nehmen. Genau das fordern wir ja seit Jahren von den Menschen. Diese Verkehrswende, über die sonst immer nur gesprochen wird, wurde jetzt von den Bürgern eingeleitet. Jetzt muss die Kommune diese Chance nutzen und bereit sein, mit Land und Bund über zusätzliche Finanzierungswege zu verhandeln."
Norbert Sperling Vorsitzender DGB Kreisverband Emscher-Lippe
" Während einer nie dagewesenen Pandemiesituation ein Bürgerbegehren zu starten, erfordert schon viel Mut. Es dann aber noch zu einem so eindrucksvollen Erfolg zu führen, dafür gibt es in über 30 Jahren Bürgerbegehrensgeschichte in NRW kaum ein anderes Beispiel - Hut ab!"
Alexander Trennheuser, Bundesgeschäftsführer Mehr Demokratie
Die Ziele von RadenscheidMarl
Die von der Initiative geforderten neun Ziele umfassen ein durchgängiges und engmaschiges Radwegenetz, das Menschen aller Altersgruppen ein komfortables und vor allem sicheres Radfahren in unserer Stadt ermöglicht. Dazu zählen Fahrradstraßen vor Schulen, einheitlich gestaltete und getrennte Geh- und Radwege, sichere Kreuzungen, 1.000 zusätzliche Fahrradabstellplätze und eine Bürgerbeteiligung an der künftigen Verkehrsplanung. Die Initiative ist offen und unabhängig. Dort engagieren sich Freizeit- und Alltagsradler.
Stadt vernachlässigte die Radwege unter Bürgermeister Arndt
Die Stadt Marl zählte 1991 zu den Mitbegründern der Arbeitsgemeinschaft Fußgänger- und Fahrradfreundlicher Städte in NRW, wurde aber 2014 ausgeschlossen, weil die Stadt die Radwege vernachlässigte und die Stellen der Radverkehrsplaner nicht nachbesetzte. In der Folge stieg der Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf den mit 63 Prozent deutlich über den der anderen Städte im Ruhrgebiet. Der Anteil der Radfahrer sank von 24 % auf 19 %. Damit liegt er immer noch deutlich höher als in vielen anderen Städten NRWs. Das zeigt das hohe Potential für den Radverkehr und die hohe Bereitschaft, auf umweltfreundliche Mobilität umzusteigen, wenn die Radwege sicherer und komfortabler werden.
Autor:Siegfried Schönfeld aus Marl |
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