PRÄVENTIVGEWAHRSAM VON THEOLOG*INNEN WEGEN PROTESTEN AM KRAFTWERK DATTELN WAR RECHTSWIDRIG

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat in seinem Urteil im Anschluss an die mündliche Verhandlung entschieden, dass die präventive Gewahrsamnahme durch die Polizei Recklinghausen von drei Mitarbeiter*innen des Münsteraner Institut für Theologie und Politik (ITP) rechtswidrig war.

Protest am Kraftwerk Datteln IV

Zwei Theolog*innen und ein Begleiter waren am 1. Februar 2020 im Umfeld des Kohlekraftwerks Datteln IV bei einer Verkehrskontrolle im Vorhinein zu einer Protestaktion des Bündnisses „Ende Gelände“ festgenommen worden. Dabei konnte ihnen kein Tatvorwurf gemacht werden. Dennoch wurden sie für eine Nacht unter erniedrigenden Bedingungen entkleidet in Präventivgewahrsam festgehalten.

Menschenrechtskonvention

Das VG Gelsenkirchen stellt nun in dieser Vorgehensweise einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention fest. Sobald das Urteil rechtskräftig ist, werden die beteiligten Mitarbeiter*innen des ITP an das Polizeipräsidium Recklinghausen eine Schadensersatzforderung stellen.

Grundrechte

„Das heutige Urteil hat für uns auch eine politische Dimension. Das NRW-Polizeigesetz, das im Februar 2020 erst wenige Wochen in Kraft war, sollte von seiner Grundanlage auch gegen Klimaproteste eingesetzt werden. Das heutige Urteil kritisiert also auch, dass die Verschärfungen in der Polizeipraxis massiv in Grundrechte eingreifen. Präventivgewahrsam ist und bleibt eine demütigende polizeiliche Praxis, die menschenrechtlich schwer zu legitimieren ist. Deswegen ist es richtig dagegen vorzugehen und die Einhaltung von Grundrechten im Kontext von Protesten einzufordern“, so Theologin Dr. Julia Lis, eine der Betroffenen und Klägerin im Verfahren.

Kriminalisierung durch die Polizei

„Wir sind erleichtert, dass das Gericht unserer Kriminalisierung durch die Polizei Recklinghausen etwas entgegengesetzt hat. Auch unter der neuen schwarz-grünen Landesregierung hat die Polizei bis zuletzt an der Legalität ihrer Praxis festgehalten. Wir sehen also NRW-Innenminister Reul letztlich in der Verantwortung für dieses unrechtmäßige Vorgehen der Polizei“, erklärt der Theologe Benedikt Kern vom Institut für Theologie und Politik. „Es bleibt zu hoffen, dass es künftig keine derartige Repression gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung mehr geben wird und stattdessen grundlegende gesellschaftliche Veränderungen möglich werden.“

Präventivgewahrsamnahme

2020 hatte es bundesweit mediale Reaktionen auf die Präventivgewahrsamnahme gegeben. Die NRW-Landesregierung hatte im März 2020 bereits erklärt, dass sie das Vorgehen des Polizeipräsidiums Recklinghausen für überzogen hielt. Das VG Gelsenkirchen hatte bereits in einem Eilverfahren im Frühjahr 2020 das von der Polizei verhängte Betretungsverbot der Kraftwerksumgebung aufgehoben. Eine mögliche Schadensersatzklage kann nun am Landgericht Bochum erhoben werden.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: Polizei durfte Klimaaktivisten am Kraftwerk Datteln 4 nicht in Gewahrsam nehmen

Mit Urteil  hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auf die Klage von 3 Klimaaktivisten festgestellt, dass die Freiheitsentziehung durch Polizeibeamte des Polizeipräsidiums Recklinghausen am Kraftwerk Datteln 4 rechtswidrig gewesen ist.

Die Kläger waren am 1. Februar 2020 nach 23:00 Uhr in unmittelbarer Nähe des Kraftwerksbereichs von Polizeibeamten angetroffen und kontrolliert worden. Die Polizei hatte zuvor Hinweise darauf erhalten, dass sogenannte Klimaaktivisten, u.a. die auch im Hambacher Forst aktive Gruppierung "Ende Gelände", beabsichtigten, in den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2020 auf dem Gelände des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 in Datteln eine Protestaktion durchzuführen. Zur Verhinderung der Begehung von Straftaten wurden die Kläger in Gewahrsam genommen. Tatsächlich wurde das Werksgelände in den Morgenstunden des 2. Februar 2020 durch ca. 100 Personen besetzt. Die Kläger haben vorgetragen, lediglich die Absicht gehabt zu haben, die Protestaktion zu beobachten.

Das Gericht

hat ausgeführt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Polizeigesetzes Nordrhein-Westfalen für den sogenannten Präventivgewahrsam nicht vorgelegen haben. Die von der Polizei zum Anlass für die Maßnahme herangezogenen Tatsachen (u.a. Kleidung, Mitführen von Verpflegung, Schlafsäcken und einer Stirnlampe, Nähe zur Gruppierung "Ende Gelände") sind nicht ausreichend für die Annahme, dass die Begehung von Straftaten durch die nicht vorbestraften Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorgestanden hat. Die Freiheitsentziehung ist auch nicht unerlässlich gewesen, weil die Kläger sich kooperativ verhalten und keine Schritte unternommen haben, die darauf hindeuteten, dass sie vorhatten Straftaten zu begehen.

Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt werden, über den das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet.

Aktenzeichen: 17 K 4838/20

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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