Marl trauert um Rolf Abrahamsohn
Mit tiefer Bestürzung wurde die Nachricht vom Tode Rolf Abrahamsohns aufgenommen. Der Marler verstarb am 23. Dezember im Alter von 96 Jahren.
Rolf Abrahamsohn,
geboren am 9. März 1925 in Marl, musste als junger Erwachsener die Brutalität und die Menschenverachtung des Nazi-Regimes miterleben. Nach Bedrohung und Erpressung seiner gesamten Familie in Marl, die eine Trennung von Eltern und Bruder zur Folge hatte, wurde er über die Judenhäuser in Recklinghausen ins Ghetto und Konzentrationslager Riga gebracht. Von dort wurde er in die Internierungslager Stutthof, Buchenwald und Theresienstadt verschleppt.
Nach seiner Befreiung im Jahr 1945 hatte er die Wahl, nach Israel auszuwandern oder in seine Heimatstadt Marl zurückzukehren. Er entschied sich trotz großer Bedenken und innerer Widerstände dafür, in sein Elternhaus in Marl zu ziehen, eine Familie zu gründen und sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen.
Zeitzeuge
Rolf Abrahamsohn gehört zu den wenigen deutschen Juden, die noch selbst über das Unheil berichten können, das Juden in NS-Zeit widerfahren ist. Er hat die Katastrophe am eigenen Leib miterlebt. Als Überlebender der Shoa fühlt er sich verantwortlich, über die Zeit - mit ihren traurigen und bitteren Wahrheiten - Auskunft zu geben, um das Vergessen zu verhindern. Rolf Abrahamsohn hat es sich seit über 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, gegenüber Schülerinnen und Schülern über den Nazi-Terror zu berichten. Die Vermittlungsarbeit in Schulen ist ihm in den vergangenen Jahren ein ernstes Anliegen gewesen.
Aus Marl vertrieben
Der letzte Überlebende des Holocaust in Marl erinnerte immer an die Gewalterfahrungen in der NS-Zeit, von der Ermordung seiner Familie.
„1938 erlebte ich mit meiner Familie die Pogromnacht am 9.November in meiner Heimatstadt Marl. Unser Haus an der Loestrasse, in dem sich auch unser Geschäft befand, wurde von den Nazis in Brand gesetzt. Mein Vater wurde brutal von SA-Leuten zusammengeschlagen und im brennenden Geschäft zurückgelassen. In letzter Minute konnten wir ihn retten. Mein Vater konnte mit meinem Bruder Hans kurze Zeit später nach Belgien fliehen, meine Mutter, mein kleiner Bruder Nobert und ich sollten nachkommen. Noch bevor wir das Geld für den Fluchthelfer zusammen hatten, wurden die Grenzen dicht gemacht und so mussten wir zurückbleiben.
Zwei Wochen nach der Pogromnacht mussten wir Marl verlassen, die Stadt wollte ja „judenrein“ werden. Unser Haus nahm uns die Stadtverwaltung Marl weg, dort zog die NSDAP ein.
Rolf Abrahamsohn hat das Ghetto in Riga überlebt.
Er erinnerte sich:
Als wir am 1. Februar im Ghetto ankamen, stand gefrorenes Essen auf dem Tisch. Erst später erfuhren wir, dass das Essen für die lettischen Juden bestimmt war, die im Wald von Birneki erschossen wurden, damit wieder Platz im Ghetto war“. Aus dem nördlichen Ruhrgebiet sind insgesamt 938 Juden nach Riga deportiert, die dort fast alle zu Tode kamen. „Riga wurde zum Auschwitz für die westfälischen Juden“.
Die Marler Stadtverwaltung als Unterstützer der NSDAP?
Der Ortsgruppenleiter Becker schrieb damals an den Bürgermeister Willecke:
„Heute konnte die Ortsgruppe Marl der NSDAP ihre neuen Räume im Haus Loestrasse 26 beziehen. Für Ihre tatkräftige Unterstützung, der Partei ein würdiges Heim zu besorgen, spreche ich Ihnen meinen und meiner Mitarbeiter herzlichen Dank aus. Möge das Haus dazu beitragen, das enge Band zwischen der Amtsverwaltung und der Parteileitung noch enger zu gestalten. Das ist mein aufrichtiger Wunsch beim heutigen Einzug. Es würde mir eine große Freude sein, Sie recht bald im neuen Heim begrüßen zu können.
Ortsgruppenleiter Becker
Der Bürgermeister Willeke in Marl
Friedrich Wilhelm Willeke, war bis 1946 Bürgermeister in Marl. Als Bürgermeister setzte er sich 1938 nach der Pogromnacht für den Zwangsverkauf des Hauses des jüdischen Händlers Abrahamson, Loestraße 26, an die NSDAP ein. Nach dem Erwerb durch die Ortsgruppe Marl und dem Bezug als neue Parteizentrale dankte der Ortsgruppenleiter Becker Willeke für die gute Zusammenarbeit.
Ab 1. Mai 1933 war er NSDAP-Mitglied. 1945 beteiligte er sich an der Gründung der CDU. 1947–1965 war Hauptgeschäftsführer der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU/CSU. Willeke gehörte dem Deutschen Bundestag von 1953 bis zu seinem Tode an.
Jüdische Kultusgemeinde
Später setzte sich Rolf Arahamsohn für die neu gegründete Jüdische Kulturgemeinde Bochum/Herne/Recklinghausen ein und war von 1978 bis 1992 deren Vorsitzender. Seit 2016 ist Rolf Abrahamsohn Ehrenvorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Recklinghausen. Er war im Vorstand der Jüdischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit aktiv und hat den Aufbau des Jüdischen Museums in Dorsten intensiv unterstützt und begleitet.
Autor:Siegfried Schönfeld aus Marl |
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