Gegen das Vergessen – Stadt Marl gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus
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- Gedenken Auschwitz Gedenktag Titel
- Foto: Foto: Stadt Marl
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„Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer.“ Die eindringlichen Worte Willy Brandts bildeten in diesem Jahr das Leitthema der städtischen Gedenkfeier in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus in der Aula der Scharounschule. Politik, Verwaltung, Schulen, Friedensaktivisten und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger setzten in der Aula der Scharounschule ein Zeichen gegen das Vergessen.
„Es darf kein Vergessen geben. Denn der Völkermord ist Teil unserer Geschichte geworden. Die grauenhafte Zeit des Schreckens und Menschenhasses darf keine Wiederholung erfahren. Umso wichtiger ist in unserer Gesellschaft, diese Erinnerung lebendig zu halten“, sagte die stellvertretende Bürgermeisterin Angelika Dornebeck in Vertretung des erkrankten Bürgermeisters Werner Arndt in ihrem Grußwort.
Gottesdienst mit musikalischer Begleitung
Zuvor hatten im ökumenischen Gottesdienst Pfarrer Roland Wanke (esm) und Pastoralreferent Dr. Philipp Winger (Heilige Edith Stein) auch selbstkritische Worte durchklingen lassen. Hetze und Polemik durch Christen hätten zum Anti-Judaismus und Antisemitismus beigetragen, indem die Worte Jesu missbraucht wurden. Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst von Markus Lienstromberg (Klavier und Gesang) und Anke Lietmann (Gesang)
Massenmanipulation durch die NS-Propaganda
Inhaltlich ging es insbesondere um die gezielte Massenmanipulation durch die NS-Propaganda. „Denn Hass auf Minderheiten und Unterstützung für das eigene Regime wurden geschickt in unauffällige Nachrichten verpackt, um Feindbilder zu kreieren und das nationalsozialistische Gedankengut in den Alltag zu integrieren“, sagte Jennifer Radscheid, die die Europa- und Friedensarbeit bei der Stadt Marl verantwortet, in ihren ausführenden Worten zu Beginn. Sie dankte auch noch einmal im Namen des Bürgermeisters allen Schülerinnen und Schüler sowie der anderen Beteiligten. Solch ein Engagement sei nicht selbstverständlich.
Erinnerung an „Comedian Harmonists“
An der Gedenkfeier beteiligten sich einmal mehr alle städtischen Oberstufen-Schulen in Marl. So zeigte die „Music forever AG“ des Albert-Schweitzer-/Geschwister-Scholl-Gymnasiums (ASGSG) unter dem Titel „Isolieren - Juden verschwinden aus dem Kulturleben“ eine musikalische Instrumental-Reise“ in Erinnerung an das Sextett „Comedian Harmonists“, das bekanntlich zur Hälfte aus jüdischen Mitgliedern bestand.
Die Frau in der Gesellschaft
Pantomimisch ausdrucksstark und anmutig stellte der Q2-Projektkurs der Willy-Brandt-Gesamtschule das Thema „Frau und Gesellschaft im Spiegel der NS-Propaganda“ da und verglich das jeweilige Rollenbild der Frau zur Zeit der Weimarer Republik im Vergleich NS-Zeit – beklemmend und erschütternd zugleich.
Ideologische NS-Sprache
Eine sprachliche Collage „Worte können sein wie winzige Arsendosen“ (Victor Klemperer) präsentierte der Leistungskurs Geschichte des Gymnasiums im Loekamp und nahm dabei die ideologische NS-Sprache in der Propaganda unter die Lupe. So hatten nicht Einzelreden von Hitler oder Goebbels für die Schülerinnen und Schüler die stärkste Wirkung, sondern euphemistische Einzelworte, die bewusst eingesetzt wurden. Diese Sprachelemente entdeckten die Kurs-Mitglieder auch in Aussagen aktueller Parteien und Gruppen wieder und stellten diese in beinahe unfassbarer und entlarvender Deutlichkeit samt deren Urheber bloß – ein linguistisches Bravourstück.
„Diffamieren“ -gestern wie heute?"
Der Leistungskurs Geschichte des ASGSG regte zum Nachdenken an mit dem Beitrag „Diffamieren“ -gestern wie heute? Ein Beitrag der NS-Propaganda zum Holocaust im Vergleich mit rassistischer Propaganda von heute“ und entdeckten ebenfalls in der Gegenwart eine ähnliche Tarnsprache, wie sie in der NS-Zeit benutzt wurde. Erschreckende Beispiele sorgten bei den Besucherinnen und Besucher in der Aula für mitunter ungläubige Stille. Und noch etwas gaben die Schülerinnen und Schüler den Gästen mit auf den Weg: Das Gedenken an Auschwitz muss dem Andenken an Auschwitz gerecht werden und nicht einfach nur dem eigenen Gewissen
Die letzte Fahrt der La Tortuga
Schließlich begab sich die Marler Akzeptanz Company tänzerisch auf „Die letzte Fahrt der La Tortuga“ und erinnerte an jüdische Schicksale – von Kindern, die nicht mehr ins Freibad oder zur Schule durften über die verlassene Verlobte wegen der „Blutschande“ bis hin zur erzwungenen Geschäftsaufgabe jüdischer Firmen.
Marlene Keller an der Harfe
Für die passende musikalische Untermalung sorgte Marlene Keller von der Musikschule Marl mit so eindrucksvollen Stücken wie „Feuilles D’Automne“ von A. Hasselmans und „Blaue Diamanten“ von Christoph Pampuch. Zudem hatte sie die Gedenkfeier einfühlsam mit dem Hafenkonzert von Händel eröffnet.
Menschen mit Würde und Respekt begegnen
„Gedenken und Erinnern sind heute wichtiger denn je“, betonte Cengiz Caliskan vom Integrationsrat der Stadt Marl in seinem Schlusswort. Die Beiträge hätten erneut gezeigt, wie wichtig es ist, nicht auszugrenzen und alle Menschen mit Würde und Respekt zu begegnen. Denn Vielfalt sei keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung.
Autor:Siegfried Schönfeld aus Marl |
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