500 Marler Schüler tief enttäuscht

Es gibt kein Geld, damit Marler Schüler ab Klasse 7 sich frühzeitig auf beruflich zu orientieren lernen. Foto: Stadtspiegel
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„BOP hörte sich fantastisch an, wie maßgeschneidert.“ Nicht nur Jens Vogel von der Wilhelm-Raabe-Schule ist tief enttäuscht, denn BOP bleibt wohl ein schöner Traum.
BOP steht für ein Förderprogramm zur Berufsorientierung für Schüler ab Klasse 7. Im Oktober 2010 hätte es losgehen sollen, aber nun steht fest: Für 500 Jugendliche aus Marl ist der Traum geplatzt. Denn es fehlt - trotz starkem Marler Eigenengagements - das Geld.
„Wir fühlen uns an der Nase herumgeführt. BiBB steht mit heruntergelassenen Hosen da.“ Hergen Bruns (Geschäftsbereichsleiter des AWO-Unterbezirks Recklinghausen) und rebeq-Geschäftsführer Klaus Uhländer nehmen kein Blatt vor den Mund. Auch einige Vertreter der sieben Marler Schulen, mit denen der Stadtspiegel gesprochen hat, schließen sich der harschen Kritik an.
Sie legen den Fall so dar: BiBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) hatte im Sommer für das Förderprogramm schwer auf die Werbetrommel geschlagen. Bundesweit wurden dafür 90 Millionen Euro in Aussicht gestellt, klären Uhländer und die anderen Kritiker. Das - von Lehrern und Ausbildern hochgelobte - Konzept sah vor, dass Schüler ab der 7. Klasse über zwei Jahre intensiv bei der frühzeitigen Entscheidungfindung, welcher Beruf für sie in Frage kommt, in Form von individuellen Potenzial-Analysen und Betriebspraktika an die Hand genommen werden. Erklärtes Ziel war es, die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss und ohne Aussicht auf einen Ausbildungsplatz deutlich zu senken.
„Das klang sehr reizvoll für uns“, erinnert sich Horst Rasch von der Hermann-Claudius-Hauptschule. Auch alle Marler Real-, Gesamt- und Förderschulen reagierten enthusiastisch auf das BiBB-Angebot. Da die BiBB-Ansprechpartner rieten, sich schnellstens anzumelden, taten das die Marler auch. Zunächst für 130 Schüler. Isabell Lutz: „Uns wurde von den BiBB-Ansprechpartnerinnen gesagt, wir könnten problemlos später noch mehr Plätze anmelden.“ Der Bedarf in Marl wurde auf 500 Schüler beziffert. „Dafür wurden uns von BiBB 450.000 Euro in Aussicht gestellt“, erklärt Klaus Uhländer (rebeq), der eine BiBB-Regionalkonferenz zusammen mit Tina Nitz vom AWO-Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen am 3. August 2010 in Bremen besucht hatte.
Isabell Lux von der Jugendberufshilfe Marl suchte als Projektkoordinatorin den Kontakt mit den Beteiligten. „Es wurde von allen, also von den Schulen, Fördervereinen und dem Trägerverbund aus AWO, rebeq und dem Schulungs- und Servicezentrum Recklinghausen. jede Menge Arbeit und Zeit investiert.“ Denn unmittelbar nach den Herbstferien sollte es schon losgehen mit der Schülerförderung im Rahmen von BOP.
Was aber folgte, verstehen die Marler nicht, die frohgemut und frühzeitig die Anträge gestellt hatten. „Plötzlich war keine unserer Ansprechpartnerinnen mehr zu erreichen.“ Ende Dezember trudelte dann eine niederschmetternde Nachricht, deren Formulierung das Zeug hätte, zum „Unwort des Jahres“ gewählt zu werden. Isabell Lutz: „Uns wurde eine ,unverbindliche Inaussichtstellung‘ zugestellt, eine Bewilligung für höchsten 70 Schüler.“
Auch wann das so abgespeckte und nicht einmal abgesicherte Programm denn nun eigentlich starten sollte, darüber habe sich BiBB ausgeschwiegen. Klaus Uhländer vermutet: „Plötzlich war kein Geld mehr da. BiBB kann das aber so natürlich nicht zugeben.“
Für die Marler Schulen und dem Trägerverbund ist die ganze Sache höchst enttäuschend. Zu der intensiven und zeitraubenden Vorarbeit gehörte auch, sechs einzustellende Bewerber für die Potenzial-Analyse der Schüler zu rekrutieren. „Das hat uns 2.500 Euro gekostet. Die werden wir nicht zurückbekommen“, so Hergen Bruns (AWO.
Und wie geht‘s weiter in Marl? Bruns: „Gar nicht. Sollte das Programm nun nur noch für 70 Schüler und zu einem in den Sternen stehenden Zeitpunkt durchgeführt werden können, stünden wir zudem noch vor dem Problem, wie wir das auf die interessierten Schulen verteilen.“

Was hat es mit BOP auf sich? Um welche Summe und Zeiträume geht es? Der Stadtspiegel hat beim Institut in Bonn nachgehakt. Klaus Weber von BiBB erklärt: „Am 16. Juni 2010 sind die neuen Richtlinien des BMBF für die ,Förderung der Berufsorientierung in überbetrieblichen und vergleichbaren Berufsbildungsstätten‘ in Kraft getreten. Nachdem das im Jahr 2008 gestartete Pilotprogramm eine hohe Akzeptanz bei den Jugendlichen ebenso wie bei Lehrern und Ausbildern gefunden hatte, wurde die Pilotphase, die bis zum 31.12.2010 laufen sollte, damit vorzeitig beendet und das Förderprogramm verstetigt. Um dieses Berufsorientierungsprogramm bekannt zu machen, hat BiBB eine Reihe von Regionalkonferenzen durchgeführt. Bei diesen Veranstaltungen wurde über die Inhalte des Programms sowie Fördermodalitäten informiert. Fördermittel in Höhe von 90 Mio. Euro für BOP wurden zu keiner Zeit in Aussicht gestellt. Der Haushaltsansatz für 2010 betrug 50 Mio. €. Für 2011 wurde eine Verstetigung des Programms angekündigt, ohne dass konkrete Finanzmittel für 2011 und danach genannt werden konnten. Der Haushalt für 2011 wurde erst im November 2010 im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages abschließend behandelt, so dass für 2011 keine Zahlen genannt werden konnten. Für das Haushaltsjahr 2011 stehen 18,5 Mio. sowie 18,5 Mio. Restmittel aus 2010 für das Berufsorientierungsprogramm zur Verfügung. Das Berufsorientierungsprogramm ist ein großer Erfolg. Daher sind weit mehr Anträge eingegangen als ursprünglich erwartet. Um möglichst allen bewilligungsfähigen Anträgen, auch den abgelehnten, stattzugeben, wird im Rahmen der Deckungsfähigkeit von Haushaltstiteln die zusätzliche Bereitstellung von Mitteln geprüft.“

Hintergrund:
BIBB wurde 1970 auf der Basis des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) gegründet.
BiBB forscht, entwickelt, berät, qualifiziert.
BIBB wird als bundesunmittelbare, rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts aus Haushaltsmitteln des Bundes finanziert und untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
BiBB steht für Bundesinstitut für Berufsbildung.

Autor:

Kerstin Halstenbach aus Emmerich am Rhein

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