Osterbräuche in Westfalen

Die Kartage wurden dazu genutzt, Osterfeuer aufwändig aufzuschichten wie hier 1979 im sauerländischen Meschede. | Foto: LWL-Archiv/Sauermann
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  • Die Kartage wurden dazu genutzt, Osterfeuer aufwändig aufzuschichten wie hier 1979 im sauerländischen Meschede.
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Bevor mit den Kartagen das sogenannte "Triuduum paschale", die vorösterlichen Tage der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu, beginnt, wurde am Mittwoch vor Ostern das Hungertuch (Fastenvelum), das umgangssprachlich auch "Schmachtlappen" genannt wurde, abgenommen. Es verhüllte traditionell in vielen Gemeinden Westfalens seit dem Aschermittwoch den Altar. "Dies war eigentlich ein schöner Termin, deutete sich in ihm doch das baldige Ende der Fastenzeit an", erklärt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Die sogenannten Kartage, deren Bezeichnung wohl auf das althochdeutsche Wort "chara" zurückgeht, was soviel wie Klage, Elend oder Trauer bedeutet, beginnen einen Tag darauf, am Gründonnerstag: "Traditionell gab es an den Kartagen zahlreiche Bräuche, die die besondere Bedeutung dieser vorösterlichen Tage unterstreichen", weiß Cantauw. Am Gründonnerstag beginnt nach dem gottesdienstlichen Gloria die so genannte "stille Zeit", in der auch die Kirchenglocken schweigen. Die Aufgabe der Glocken übernahmen in den katholisch geprägten Orten Westfalens die "Rappeljungs", das waren Messdiener, die mit Lärminstrumenten zum Gottesdienst riefen. Die Rappeljungs gingen am Karsamstag von Tür zu Tür und sammelten Eier als Belohnung für diesen Dienst.

Bis heute kommen in vielen katholischen Kirchengemeinden in der Messe bei der Wandlung statt der üblichen Schellen Klappern oder Ratschen zum Einsatz. "Das Klappern und Rappeln, das bis zum Zweiten Weltkrieg in Westfalen die Stille der Kartage durchbrochen hat, ist jedoch außerhalb der Kirchen selten geworden. Soweit ich weiß sind die Rappeljungs aber zum Beispiel in Beverungen (Kreis Höxter) oder in Attendorn (Kreis Olpe) noch aktiv", freut sich Cantauw. "Das Schweigen der Glocken, die Einkehr und Buße der Gläubigen, und die Tatsache, dass jeglicher Kerzen- oder Blumenschmuck aus der Kirche entfernt wird, ist ein deutlicher Hinweis auf die Funktion dieser Bräuche, die vor allem Trauer angesichts des Leidens Jesu zum Ausdruck bringen sollen."

Als biblischer Termin des letzten Abendmahls war der Gründonnerstag seit dem Mittelalter auch ein beliebter Termin für Armenspeisungen. Mancherorts haben sich noch Relikte dieses Brauches erhalten: So wurden bis zum Ersten Weltkrieg in Ahaus (Kreis Borken) in der Kirche kleine Weizenbrötchen geweiht und nach der Messe an die Schulkinder verteilt. Die zu Zwieback gehärteten länglichen Brötchen wurden als "Ordensbrötchen" bezeichnet.

In Attendorn gibt es den mit Kümmel angereicherten Ostersemmel, der die Form eines Fischschwanzes hat, erst am Karsamstag. Seit 1658 ist dieser Brauch belegt und erfreut sich nach wie vor großen Interesses. Traditionell wird die Ostersemmel vor der Kirche gesegnet und verteilt. Sie soll besonders gut mit Butter und westfälischem Knochenschinken schmecken.
Der Karfreitag wurde in Westfalen auch als "stiller Freitag" bezeichnet. Die Gläubigen vermieden an diesem Tag möglichst jeglichen Lärm: Zimmerleute und Schmiede arbeiteten nicht oder räumten allenfalls die Werkstatt auf. Da der Karfreitag für Protestanten der höchste Feiertag im Jahr ist, galt für sie strikte Arbeitsruhe. Man zog sonntägliche Kleidung an (teilweise auch Trauerkleidung) und ging zum Abendmahl. Die Katholiken besuchten den Gottesdienst und nutzten den Rest des Tages für verschiedene ruhigere Arbeiten in Haus und Hof. Eine noch heute im Münsterland verbreitete Fastenspeise am Karfreitag ist der "Struwen", ein Ölgebäck aus Mehl, Milch, Eiern und Rosinen. Andere Karfreitagsspeisen waren Milchreis, Stockfisch, eingelegter Hering, Biersuppe oder Krapfen. Teilweise verzichtete man auf zwei oder drei der täglichen fünf Mahlzeiten.

In vielen katholischen Orten besuchten die Gläubigen am Karfreitag Kreuzwegandachten oder Karfreitagsprozessionen. Dort, wo es keine gesonderten Andachten oder Prozessionen gab, wurde abends in der Kirche der Rosenkranz gebetet. In Pöbsen (Kreis Höxter), Menden (Märkischer Kreis) oder Delbrück (Kreis Paderborn) finden auch heute noch die sogenannten "Kreuztrachten" statt. "Das sind Prozessionen, in denen ein Christusdarsteller ein Holzkreuz trägt. In der Barockzeit war diese Form von Prozessionen wesentlich weiter verbreitet. Zahlreiche Darsteller führten dabei die biblischen Schilderungen von der Verurteilung und Kreuzigung Jesu den Menschen bildlich vor Augen. Durch die Ausartung zu regelrechten Jahrmarktsveranstaltungen wurden viele Kreuztrachten seit dem 18. Jahrhundert verboten. Auch die Aufklärung trug zum Wegfall dieses Brauches bei", erläutert Cantauw, warum es heute nur noch so wenige Kreuztrachten gibt.

Der Karsamstag war für die katholische Bevölkerung wegen der Feuer- und Wasserweihe von besonderer Bedeutung: Vor vielen Kirchen stand Weihwasser in großen Holzfässern zum Abholen bereit. "Die Leute kamen mit großen und kleinen Flaschen, um sich das geweihte Wasser für Zuhause abzufüllen", so Cantauw. "Manchmal artete das Ganze fast zu einer Wasserschlacht aus."

Nach Sonnenuntergang beginnen dann die Osternachtfeiern, die seit einigen Jahren wieder beliebter werden. Traditionell wurde zu Beginn der Lichtermesse vor der Kirche ein Osterfeuer entfacht. An ihm entzündete der Priester die Osterkerze und trug sie nach dreimaligem Umgang um die Kirche in die dunkle Kirche hinein. Die Gottesdienstbesucher entzünden dann ihre Kerzen an der Osterkerze.

"Die Lichter der Osternachtfeiern sind eine symbolträchtige Überleitung zur Freude und Fröhlichkeit des Ostersonntags, an dem die Auferstehung Jesu Christi gefeiert wird und die stillen, besinnlichen und ernsten Kartage ein Ende haben", erklärt Cantauw.

Die Kartage wurden dazu genutzt, Osterfeuer aufwändig aufzuschichten wie hier 1979 im sauerländischen Meschede. | Foto: LWL-Archiv/Sauermann
Kreuztrachten wie diese 1957 in Delbrück gibt es nur noch wenige. | Foto: LWL-Archiv/Schmitz
Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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