"Menschen, Bilder, Orte - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"

Ausstellungsraum in der Alten Synagoge Essen.
Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB
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  • Ausstellungsraum in der Alten Synagoge Essen.
    Foto: Stefan Arendt / LVR-ZMB
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 Ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr 2021 ist die Wanderausstellung "Menschen, Bilder, Orte - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Die vom MiQua-Team kuratierte Ausstellung tourt durch die Städte Essen, Münster, Köln, Wesel und Dortmund. Der Auftakt fand am Dienstag (2.3.) in Essen statt, als Livestream aus der Alten Synagoge - Haus jüdischer Kultur.

Da die Synagoge aufgrund des Lockdowns bis einschließlich 7. März für das Publikum geschlossen bleibt und der Besuch der Ausstellung erst mit einer Änderung der Corona-Vorschriften möglich sein wird, bieten ab dem 5. März digitale Beiträge wie Interviews, Videos und Fotos auf dem MiQua-Blog (https://miqua.blog/) Eindrücke von den Inhalten der Wanderausstellung.

Wanderausstellung startet in der Alten Synagoge Essen

Im Hauptraum der Alten Synagoge begrüßte der Beigeordnete für Jugend, Bildung und Kultur der Stadt Essen, Muchtar Al Ghusain, alle geladenen Gäste. Er betonte: "Jüdische Geschichte reicht in Europa sehr weit zurück. Es ist wichtig, dass gerade auch junge Menschen die Vielfalt europäischer Kultur kennenlernen können, und dazu trägt die europäisch-jüdische Kultur in ihren Facetten sicher viel bei. Jüdinnen und Juden sind die älteste nichtchristliche Minderheit Deutschlands. Es geht um jüdische Kultur in ihrer Vielfalt und Tradition und nicht nur um Verfolgungsgeschichte."

Milena Karabaic, LVR-Dezernentin Kultur und Landschaftliche Kulturpflege, bekräftigte in ihrer Ansprache das klare politische Statement des LVR: "Es ist unser aller Pflicht und Verantwortung, uns über jüdische Geschichte und Kultur zu informieren und das Wissen darüber zu vermitteln. Um es mit den Worten des Schriftstellers Heinrich Böll zu formulieren, der sich aktiv für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Nichtjuden einsetzte: Es ist dieselbe Unkenntnis, die heute noch die alten Vorurteile nährt. Leider ist diese Aussage immer noch aktuell. Daher beziehen wir mit unseren Projekten und mit dieser Ausstellung eindeutig Position gegen den Antisemitismus."

Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger,
Vorstandsmitglied der LWL-Kulturstiftung und Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), betonte: "Aus Zusammenarbeit wird Zusammenhalt, denn nur gemeinsam mit vielen starken Partner:innen in Städten und ländlichen Regionen können wir offenen antisemitischen Strömungen und verdecktem Antisemitismus mit gelebtem Kulturpluralismus entgegentreten. Im Förderprogramm der LWL-Kulturstiftung stehen 24 Projekte für diese Vielfalt und den Dialog. Die Ausstellung leistet als eines der Förderprojekte einen besonderen Beitrag zum geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund jüdischen Lebens in Deutschland. Ihre fünf Ausstellungsorte zeichnen eine Wanderroute durch NRW, deren Weg wir mit unserer Förderung gerne geebnet haben."

Dr. Thomas Otten,

Direktor des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln, führte in die Ausstellung ein und öffnete damit auch den Blick auf das künftige Museum des Landschaftsverbandes; die inhaltliche Vorstellung der Wanderausstellung übernahm für die Gruppe der Kuratorinnen Dr. Christiane Twiehaus, die die Abteilung Jüdische Geschichte und Kultur im MiQua leitet.

Die Alte Synagoge (http://www.alte-synagoge.essen.de) steht als Einrichtung mit einem Programm aus Führungen, Vorträgen und Veranstaltungen für den interkulturellen und interreligiösen Dialog, der seit ihrer Eröffnung 1980 als Gedenkstätte, nachdrücklich aber seit 2010 gelebt wird. Auch an den weiteren Stationen flankieren individuelle Begleitangebote die Ausstellung und schärfen so den Blick für das heutige Miteinander und die Gemeinsamkeiten in der Geschichte.

Die Ausstellung

Ausgehend vom Dekret Kaiser Konstantins von 321 erzählt die Wanderausstellung mit einem geografischen Fokus auf das Rheinland und Westfalen die Geschichte und Geistesgeschichte des Judentums in Deutschland. Das Gesetz Konstantins veranlasste, dass Juden reichsweit in den Provinzhauptstädten im Römischen Imperium von nun an in den Stadtrat berufen werden konnten. Die Urkunde richtet sich explizit an den Kölner Stadtrat und ist die früheste Quelle, die exemplarisch für das spätantike Köln wie für die Regionen nördlich der Alpen jüdisches Leben belegt.

Epochen jüdischer Geschichte in Deutschland

Die Erzählung ist an biografischen Zeugnissen konkreter Personen ausgerichtet, deren Lebenswege markante Ereignisse und Epochen jüdischer Geschichte in Deutschland widerspiegeln und die Perspektive auf den europäischen Raum ausweiten. Der Fokus liegt auf der Alltagsgeschichte. Ausgehend von Kölner Bürgerinnen und Bürger wie Abraham von Oppenheim, Isaac Offenbach, David Levy-Elkan, Leonhard Tietz, Max Bodenheimer, David Wolffsohn, Fritz Deutsch, Richard Stern oder Edith Stein werden für den Blick auf einen gesamtdeutschen Kontext weitere wichtige Persönlichkeiten für die Meilensteine in Geschichte und Politik dieser 1700-jährigen Tradition vorgestellt: stellvertretend Moses Maimonides, Moses Mendelssohn, Heinrich Heine, Fanny Hensel, Regina Jonas, Leo Baeck, Heinrich Graetz, Louis Lewandowski, Hans Samuel, Friedrich Hollaender und Heinrich Böll.

1700-jährige jüdische Geschichte

Die Ausstellung besteht aus vier begehbaren und multimedial bespielten Kuben (3 x 3 x 2,5 m), die sich auf ihren Außen- und Innenflächen jeweils einem der vier übergeordneten Themen widmen: Recht und Unrecht, Leben und Miteinander, Religion und Geistesgeschichte sowie Kunst und Kultur. Jeder Kubus steht für sich, doch die Inhalte verbinden sich zu einem Ganzen. Medial inszeniert wird die 1700-jährige jüdische Geschichte eindrücklich, vielfältig und interaktiv. In den Kuben entsteht eine eigene intensive Atmosphäre, visuelle sowie akustische Eindrücke vermitteln die Inhalte und über Interaktionen können die Besucher:innen diese auch selbst entdecken.

die Zeit nach der Schoa

Kubus 1 behandelt im weitesten Sinne Recht und Unrecht, das der jüdischen Bevölkerung im Laufe der vergangenen 1700 Jahre widerfahren ist. Bis heute erleben Jüdinnen und Juden wiederkehrendes Unrecht, werden ausgegrenzt, verfolgt oder getötet. Themen sind insbesondere das Pestpogrom von 1349, die spätmittelalterliche Ausweisung aus den Städten und die Schoa. Damit einhergehend wird erzählt, wie sich neue Gemeinden bilden oder welche Berufe ausgeübt werden konnten. Phasen der Gleichberechtigung, in denen Religion keine Rolle spielte, werden verdeutlicht. Geänderte Verfassungen, neue Rechte, Wiedereinschränkung der Rechte, aber auch die Bildung eines jüdischen Staates auf der Grundlage des Zionismus gehören zu dieser Thematik. Dargestellt wird auch die Zeit nach der Schoa, ihre Aufarbeitung und Vermittlung, sowie das Wiederaufleben der Gemeinden im 20. Jahrhundert und der Zuzug vieler Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.

Antisemitismus

Kubus 2 stellt das Leben und Miteinander vor - insbesondere das Zusammenleben von Jüdinnen und Juden sowie Christinnen und Christen im Laufe der Jahrhunderte. Anhand von Befunden aus dem spätmittelalterlichen jüdischen Viertel in Köln werden der Alltag und das Miteinander von ihnen erzählt. Die Neuzeit wird etwa durch Abraham von Oppenheim (1804-1878), einen jüdischen Bankier und Mäzen, repräsentiert, dessen Familie den Kölner Dombau maßgeblich unterstützte. Der protestantische Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner wiederum baute die Synagoge in der Kölner Glockengasse. Diese Verquickung jüdischer und christlicher Auftraggeber und -nehmer betont das selbstverständliche Miteinander in jener Epoche. Im Gegensatz dazu steht der Antisemitismus der heutigen Zeit, der ebenfalls in diesem Teil vorgestellt wird.

Kubus 3 befasst sich mit Religion und Geistesgeschichte und erzählt vom 1. Jahrtausend, in dem insbesondere die Niederschrift des mündlichen Gesetzes von Bedeutung ist. Ebenso behandelt werden die jüdische Aufklärung (Haskala) und die damit hervorgehende Entwicklung neuer Strömungen im Judentum. Darüber hinaus werden grundlegende Schriften mit ihrer Verwendung für verschiedene Anlässe vorgestellt wie der in Köln entstandene Amsterdam Machsor, die Haggada Offenbach, sowie die hier kommentierte sogenannte Mischne Tora Kaufmann. Weitere Inhalte beschäftigen sich mit der Synagogenarchitektur oder der Konversion.

"jüdische Kunst"

Kubus 4 beleuchtet Kunst und Kultur mit dem Schwerpunkt auf rituellen und kulturellen Aspekten. Dabei werden die Feiertage mit ihren Riten und Symbolen erklärt, aber auch Einblicke in die Kunst, Musik und Unterhaltungskultur gegeben. Die Frage nach Begrifflichkeiten wie "jüdische Kunst" wird aufgeworfen. Der Bogen spannt sich mit Gemälden von Felix Nussbaum, Marc Chagall und Max Liebermann über Architekturen von Erich Mendelsohn und Gottfried Semper bis hin zur Musik von Hermann Zivi, Friedrich Hollaender, Ben Salomo und Orphaned Land.

Wanderausstellung

Ausstellungstermine
Alte Synagoge - Haus jüdischer Kultur, Essen, 3. März - 27. April 2021
LWL-Landeshaus, Münster, 6. Mai - 25. Juni 2021
LVR-Landeshaus, Köln, 2. Juli - 12. August 2021
LVR-Niederrheinmuseum, Wesel, 18. August - 15. Oktober 2021
Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, 24. Oktober - 12. Dezember 2021

Datenbank

Mithilfe der Datenbank des Leo Baeck Institute-New York/Berlin (LBI), das Nachlässe, Fotografien und Korrespondenzen sammelt und zur Verfügung stellt, werden Persönlichkeiten und deren private Erlebnisse als Zeugnisse der jüdischen Geschichte herangezogen, um auch lokal breitgefächerte Realitäten aufzuzeigen.

Die Wanderausstellung "Menschen, Bilder, Orte - 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ist ein Projekt des MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier und der LWL-Kulturstiftung. Sie ist eines von 24 Projekten, das die LWL-Kulturstiftung im Rahmen des Förderschwerpunktes "2021 - Jüdisches Leben in Deutschland" unterstützt.

Autor:

Siegfried Schönfeld aus Marl

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