Das Grimme Institut Marl hat die Nominierungen für den Grimme Online Award bekannt gegeben
Das Internet ist nicht nur ein Medium, sondern zunehmend auch ein Meta-Medium“, stellt die Nominierungs-kommission des Grimme Online Award mit Blick auf die Einreichungen in diesem Jahr fest. Es entwickele sich zu einem „Ort, an dem Inhalte und Formate gebündelt und um weitere Interaktionsmöglichkeiten ergänzt werden“, so die Nominierungs-kommission anlässlich der Bekanntgabe der Nominierungen am 26. April.
Diese Entwicklung zum „Meta-Medium“ ziehe allerdings nach sich, dass die Diskussion über die Webspezifik einzelner Angebote härter geführt werden müsse. Und es gehe zu Lasten etablierter Formate, beklagt die Nominierungskommission: „Klassische Blogs, die überwiegend aus Text bestehen und sich von Lesern nach individuellem Interesse auch schnell überfliegen lassen, sind – so scheint es – auf dem Rückzug.“
Grimme-Direktorin Frauke Gerlach betonte in ihrem Eingangsstatement hingegen: „War zuletzt viel von ‚Hate Speech‘ und ‚Fake News‘ die Rede, mit Blick auf die Netzpublizistik, können wir jetzt feststellen: Wir lernen zusehends, routinierter mit den problematischen Entwicklungen umzugehen – wobei ich keine Entwarnung geben möchte! Aber ich freue mich doch, dass wieder stärker das Erzählerische in den Blick gerät, es mehr und bessere Angebote für junge Zielgruppen gibt und unsere Mediennutzung kritischer reflektiert wird. Und hier gibt der Grimme Online Award Orientierung, wo die Beschäftigung lohnt!“
Inhalte an die Zielgruppe zu bringen
Für eine junge Zielgruppe und den kritischen Umgang mit der Mediennutzung setzt sich „so geht MEDIEN“ (so-geht-medien.de) ein, das der BR für die ARD produziert. Als Reaktion auf die Debatte um „Fake News“ und die „Lügenpresse“-Vorwürfe, die etablierte Medien immer wieder gerade aus rechten Kreisen treffen, haben im vergangenen Jahr zahlreiche Medienanbieter Angebote geschaffen, die transparent machen sollen, wie sie arbeiten. Aus diesen hat die Nominierungskommission „so geht MEDIEN“ ausgewählt, das sich mit seiner pädagogischen Ausrichtung abhebt – die Inhalte dabei aber so verpackt, dass sie Jugendliche auch außerhalb des Unterrichts ansprechen.
Überhaupt lässt sich feststellen: In diesem Wettbewerbsjahrgang finden sich erstaunlich viele Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so erstaunlich, denn das junge Angebot von ARD und ZDF, „funk“, läuft jetzt im zweiten Jahr und hat sein Profil geschärft: Formate wie „Y-Kollektiv“, „Jäger & Sammler“ oder „Deutschland3000“ sind auf verschiedenen Plattformen aktiv und „experimentieren mit neuen Formaten des Erzählens und Mut zur Haltung“, wie die Nominierungskommission in ihrem Statement feststellt. Qualitativ geht das „funk“-Konzept, relevante Inhalte dort an die Zielgruppe zu bringen, wo sich diese aufhält, also auf. Dennoch lobt die Nominierungskommission besonders, dass die jungen Zuschauer nicht gezwungen seien, in die Sozialen Netzwerke zu gehen, denn alle Inhalte sind auch im Internetauftritt www.funk.net zu sehen.
Gegenpol zur Selbstdarstellung
Ähnlich wie die „funk“-Angebote funktioniert der Instagram-Account „@maedelsabende“ der WDR-Redaktion „Frau TV“. Er zählt zu den raren „publizistisch wertvollen“ Angeboten auf dieser Plattform: Ein Angebot, das relevante Inhalte über das bilddominierte Netzwerk transportiert und hier so einen Gegenpol zur Selbstdarstellung und Oberflächlichkeit bildet. In den „Stories“, die nicht nur über die App, sondern auch auf der Website von „Frau TV“ (wdr.de/k/maedelsabende) abrufbar sind, geht es um Themen, die vor allem junge Frauen beschäftigen und ihnen wertvolle Orientierung bieten können.
Die eigene Rolle reflektieren, sich selbst in der Welt verorten – gerade in Jugendangeboten ein wichtiges Thema. Dies hat auch der 27. Abschlussjahrgang der Henri-Nannen-Schule erfahren, als sie für ihre Online-Reportage „Ein deutsches Dorf“ (eindeutschesdorf.de) zwei Wochen aufs Land gezogen sind und das Dorfleben multimedial, aber vor allem multiperspektivisch begleitet haben. Dabei wurden Gegensätze wie Gemeinsamkeiten zwischen Dorf- und Großstadtleben identifiziert, aber auch die eigene Haltung – inklusive aller Vorurteile – hinterfragt.
Vorurteilen etwas entgegensetzten
Insbesondere um Vorurteile ging es auch „Zeit Online“ bei ihrem aufwändigen Projekt „Deutschland spricht“ (zeit.de/deutschlandspricht), das eigentlich „Deutschland spricht miteinander“ heißen müsste. Mittels eines Algorithmus brachte das Ressort #D17 jeweils zwei unbekannte, möglichst gegensätzliche, Personen bei Offline-Treffen ins Gespräch. Ergebnis war ganz oft ein sachlicher, die Perspektive erweiternder Austausch, der den üblichen sozialen – Online- wie Offline- – Filterblasen etwas entgegensetzte – bewusst angestoßen vor der Bundestagswahl.
Zusammensetzung des Bundestag
Nach der Bundestagswahl hat sich die Süddeutsche Zeitung mit dem Ergebnis beschäftigt – etwas anders als andere: Die Redaktion hat einen Fragebogen an die Bundestagsabgeordneten geschickt und die öffentlich zugänglichen Daten ausgewertet, um herauszufinden, wie repräsentativ die Zusammensetzung des Bundestag für die Bevölkerung ist. Ergebnis der datenjournalistischen Recherche „Volk und Vertreter“ (sz.de/volksvertreter): Repräsentativ für das Volk sind die Volksvertreter nicht, so fehlen Frauen, junge Politiker oder Hauptschüler, um die Bevölkerung in allen Belangen angemessen zu vertreten.
Was auch fehlt, sind Vertreter anderer Religionsgruppen als der christlichen. Außerhalb des Bundestages, gerade in größeren Städten, herrscht hingegen oft die Angst vor, Muslime seien überrepräsentiert. Diesem Gedanken setzt Özgür Uludag seine Pageflow-Reportage „Eine Kirche wird zur Moschee“ (evangelisch.de/kirche-zur-moschee) für „evangelisch.de“ entgegen. Traurig, aber erstaunlich gelassen scheinen die Mitglieder einer evangelischen Gemeinde in Hamburg damit umzugehen, dass ihre Kirche zur Moschee umgenutzt wird. Uludag dokumentiert Abschied und Entwidmung, porträtiert aber auch die neu einziehende muslimische Gemeinde und zeichnet ein Bild von Toleranz und Offenheit im gesamten Umfeld.
Zeichen für Meinungsfreiheit
Was werden kann, wenn Toleranz und Offenheit nachlassen, sich eine Gesellschaft schleichend verändert, führt uns hingegen Nora Hespers mit ihrem Blog „Die Anachronistin“ (die-anachronistin.de) vor. Dort setzt sie sich mit der Geschichte ihres Großvaters auseinander, dem Widerstandskämpfer Theo Hespers, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Seit über drei Jahren erforscht Nora Hespers ihre Familiengeschichte öffentlich und setzt damit auch ein mahnendes Zeichen für Meinungsfreiheit und Aufmerksamkeit gegenüber ideologischer Beeinflussung.
Auch wenn die Themen ernst und schwer wirken, die Nominierten zum Grimme Online Award vermitteln sie meist leicht und vor allem ohne erhobenen Zeigefinger. Und sie ermöglichen oft Einblicke, die einer größeren Öffentlichkeit sonst verborgen blieben. Doch es gibt sie auch, die unterhaltenden Angebote im Wettbewerb. Laut Statut aber muss Unterhaltung „auf hohem inhaltlichen und formalen Niveau geboten werden“, um nominiert zu werden. Eine Steilvorlage für den Theatermacher Michael Sommer. In seinem YouTube-Kanal (www.youtube.com/user/mwstubes) „Weltliteratur to go“ verdichtet er mit Playmobil-Figuren literarische Werke auf wenige Minuten. So hat er bereits über 150 Romane, Dramen oder Märchen verarbeitet. Eine leicht verständliche – und überaus unterhaltsame – Einführung oder Auffrischung für alle Altersklassen.
Kinderkanal
Eine spielerische Leichtigkeit kennzeichnet ebenfalls die „KiKANiNCHEN-App“ (kika.de/kikaninchenapp) des Kinderkanals. Sie leitet Kinder an, ihre Phantasie auszuleben und schöpft dazu alle Möglichkeiten der Interaktivität aus: Schiffe lassen sich durch Pusten, Singen oder Klatschen beschleunigen, Apfelbäume werden mithilfe des Smartphones geschüttelt und selbst gebastelte Tiere bekommen die Stimme der kleinen Spieler. Dass die Kinder davon nicht mehr loskommen, haben die Macher der App vorhergesehen: Im Elternbereich kann die Nutzungsdauer eingestellt werden.
Wer sich mit den Nominierungen zum Grimme Online Award 2018 beschäftigen möchte, sollte besser die Nutzungsdauer nicht beschränken, denn die hier vorgestellten Angebote sind nur eine Auswahl aus den insgesamt 28 Nominierungen. Weitere werden im angehängten Statement der Nominierungskommission erwähnt und auf der Website näher beschrieben unter: www.grimme-online-award.de
Voting zum Publikumspreis
Mit der Bekanntgabe der Nominierungen startete unter www.grimme-online-award.de/voting auch das Voting zum Publikumspreis, der ausschließlich über die Abstimmung der Internetnutzer entschieden wird. Das Gute daran: Jeder, der online abstimmt, kann an der Verlosung zweier hochwertiger Tablets teilnehmen. Die Abstimmung ist bis einschließlich 17. Juni möglich. Das Ergebnis des Publikumsvotings, wie auch das der Juryarbeit, wird erst bei der Preisverleihung am 22. Juni in der Kölner Flora bekannt gegeben.
Autor:Siegfried Schönfeld aus Marl |
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