Buchtipp der Woche: Das Leben kleben
Wegen eines Zahnbürstenhalters bekommen sich Georgie und ihr Mann in die Wolle. Der Bergmannstochter platzt nach über 20 Jahren Ehe mit dem Weltverbesserer aus bürgerlichem Elternhaus der Kragen: Sie wirft ihn raus. Als der Selbstgerechte danach wochenlang seinen Kram nicht abholt, schmeißt sie seine Sachen, darunter Schallplatten, auf den Müll. Den durchstöbert eine alte Dame: Mrs. Shapiro weiß russische Komponisten sehr zu schätzen. Und Katzen, Mode, ihre feudale Bruchbude, Supermarktschnäppchen und schöne Männer. Es wird der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft. Marina Lewycka schreibt herzhaft gut. Ihre Figuren sind alle etwas verrückt, aber genau so, als würde man sie kennen. Oder sich vorstellen, sie zu kennen. Georgie, die ihre Brötchen als Journalistin für ein Magazin der Klebstoff-Branche verdient, leidet: als einsame Frau, als schamlose Geliebte, als geforderte Nachbarin für die kranke alte Dame, und vor allem als Mutter. Dass Sohn Ben (16) Prinz Charles für das personifizierte Böse hält und an den Weltuntergang glaubt, ist nur bedingt komisch, es hat einen ernsten Hintergrund. Eben das gelingt der Autorin wunderbar: unterhaltsam und dabei mit Tiefgang zu erzählen, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen. Wie in ihrem Erstling „Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch“ erfährt der Leser statt etwas über das revolutionäre Gerät der Landwirtschaft nun nebenbei jede Menge über Klebstoffe. Ein Spitzenroman mit einer guten Botschaft: Frieden ist machbar. Der alten Dame, einer Jüdin, die finstere Gestalten aus der Bude herausekeln wollen, helfen ausgerechnet drei Palästineser.
Infos: Marina Lewycka: Das Leben kleben, dtv, 460 S., ISBN: 978-3-423-24780-1
Autor:Kerstin Halstenbach aus Emmerich am Rhein |
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