54. Grimme-Preis 2018: „Dreiklang“ im Qualitätsjournalismus, Inge von Bönninghausen, Gert Scobel und Armin Wolf
Wir leben in Zeiten, in denen weltweit demokratische Errungenschaften in Frage gestellt werden. Autoritäre und populistische Parteien und Politiker gewinnen an Zuspruch und überwunden geglaubte Feindbilder und Ressentiments erleben eine Renaissance. Der Begriff Fake-News ist allgegenwärtig. Mehr denn je bedarf es daher der Aufklärung, kritisch distanzierter Berichterstattung auf der Grundlage von Fakten und der verständlichen Vermittlung wissenschaftlicher Diskurse. Das Massenmedium Fernsehen trägt dabei nach wie vor eine besondere Verantwortung, einen Beitrag zum demokratischen Willensbildungsprozess zu leisten. Die Notwendigkeit, zu bilden, aufzuklären und Orientierung zu bieten hat sich im digitalen Zeitalter noch verstärkt. Denn Desinformation und Manipulation ist heute leicht, erfolgreich und in Echtzeit möglich.
deutliches Zeichen für Qualitätsjournalismus
Der Stifter, der Deutsche Volkshochschul-Verband, vergibt die Besondere Ehrung zugleich an drei herausragende Persönlichkeiten. Alle drei haben den Fernsehjournalismus in herausragender Weise geprägt. Der Deutsche Volkshochschul-Verband will mit der dreifachen Ehrung ein deutliches Zeichen setzen für Qualitätsjournalismus in Zeiten drohender Verrohung öffentlicher Informations- und Diskussionskultur. Mit der Preisträgerin und den Preisträgern Inge von Bönninghausen, Gerd Scobel und Armin Wolf und ihrem journalistischen Wirken sind drei zentrale Leitmotive verbunden: Journalismus im Dienste gesellschaftlicher Emanzipation, Journalismus im Dienste der Aufklärung und Journalismus im Dienste der Unbestechlichkeit und einer Stärkung der Urteilskraft.
Die drei Geehrten bieten dem Fernsehen und der Gesellschaft, was Voraussetzung für einen demokratischen Meinungsbildungsprozess ist: Bildung und Orientierung. Allen dreien ist hohe Fachlichkeit und engagierte Meinungsstärke gepaart mit Seriosität eigen – ihr Enthusiasmus und ihr journalistischer Ehrenkodex sind vorbildlich.
Besondere Ehrung für Inge von Bönninghausen:
Vorreiterin eines gendergerechten Perspektivwechsels
Inge von Bönninghausen ist eine Pionierin in der deutschen Fernsehlandschaft, die das Arbeiten, Wirken und den Einfluss von Frauen in den Medien thematisiert, eingefordert und gelebt hat. Sie hat für die Gleichberechtigung der Frauen gestritten, als das Fernsehen durch und durch männlich war, vor wie hinter der Kamera und erst recht in den Entscheidungs- und Verantwortungsebenen. Inge von Bönninghausen hat für Emanzipation gestritten, als dies noch mit Missachtung und Unverständnis quittiert wurde. Sie hat gegen Widerstände neue Maßstäbe für die Darstellung der Lebenswirklichkeit von Frauen in den Medien gesetzt. Inge von Bönninghausen begann damit in einer Zeit, als es hieß, dass man Frauen nicht zumuten könne, Nachrichten im Fernsehen zu verlesen und sie allenfalls als Ansagerinnen eingesetzt wurden. Sie forderte Zeit ihres Wirkens den gleichen Einfluss für Frauen in den Medien, als Journalistinnen, Redakteurinnen, in allen Führungspositionen und den Aufsichtsgremien der Sender ein. Die Analysen von „Pro Quote“, der öffentliche Diskurs um die immer noch nicht vollendete Gleichberechtigung von Frauen und Männern und nicht zuletzt die „Me Too-Debatte“ zeigen, dass es nach wie vor starke Frauenstimmen im Mediensystem, wie die von Inge von Bönninghausen, braucht.
Inge von Bönninghausen geboren 1938, studierte Germanistik und Geschichte und promovierte 1968 an der FU Berlin. 1969 startete sie ihre berufliche Karriere als Assistentin des Fernsehprogrammdirektors des Saarländischen Rundfunks und arbeitete anschließend als freie Fernsehjournalistin. Von 1974 bis 1999 war sie Redakteurin beim WDR. Inge von Bönninghausen war Mitbegründerin des Journalistinnenbundes, in der Zeit vom 1991 bis 1999 dessen Vorsitzende. In den Jahren von 2000 bis 2004 fungierte sie als Vorsitzende des Deutschen Frauenrates.
In der von ihr konzipierten Sendereihe „Frauen-Fragen“ behandelte Inge von Bönninghausen unter anderem Themen wie Gewalt gegen Frauen in der Ehe oder Homosexualität. Im Jahr 1997 wurde die Sendereihe „Frauen-Fragen“ zu „frau TV“, das älteste und mittlerweile einzige Frauenmagazin im deutschen Fernsehen.
Besondere Ehrung für Gerd Scobel:
Spiritus rector in komplexen Gefilden
In Zeiten, in denen alternative Fakten salonfähig und wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet werden, ist Gerd Scobel derjenige, der unermüdlich und fundiert für das Wissen und das Wissenwollen wirbt. Gerade weil wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten zunehmend weniger Beachtung finden und stattdessen „gefühlte Wahrheiten“ als Argumentationsgrundlage dienen, ist Wissenschaftsjournalismus, wie ihn Gerd Scobel ausgestaltet und prägt, wichtiger denn je. Er erkundet mit nie nachlassender Begeisterungsfähigkeit die Komplexität allen Lebens und berichtet den Zuschauerinnen und Zuschauern wie ein Forschungsreisender von seinen Ausflügen ins Schwerverständliche. Dabei erweist sich Gerd Scobel als Übersetzer von Komplexität, er ist ein Komplexitätsbezwinger: Nur wenige im deutschen Fernsehen fordern ihre Zuschauerinnen und Zuschauer intellektuell so heraus wie er. Gleichzeitig ist Gert Scobel im weiten Feld des Kultur- und Wissenschaftsjournalismus vielseitig wie kaum ein Zweiter. Seit mehr als drei Jahrzehnten wirkt er mit Leidenschaft als Sprachrohr in der Welt von Kultur und Wissenschaft. Gerd Scobel wurde 1959 in Aachen geboren. Nach seinem Studium der Philosophie und Theologie in Frankfurt am Main und Kalifornien arbeitete er als freier Mitarbeiter bei der FAZ und dem WDR. Anschließend moderierte er Kultursendungen in Hörfunk und Fernsehen. Außerdem war er Autor und Regisseur von Dokumentationen für die ARD, darunter „Philosophie heute“. 2004 bis 2008 leitete Gerd Scobel die Sendung „delta“, die später von der Sendung „scobel“, einem Magazin für Wissenschaft, Kultur, Gesellschaft und Ethik, abgelöst wurde. Für die Moderation des 3sat Magazins „Kulturzeit“ und die Moderation und Redaktion von „delta“ gewann er 2005 den Grimme-Preis in der Kategorie „Spezial“ und wurde als „Kulturjournalist des Jahres“ ausgezeichnet. Seit Mai 2016 ist er Professor für „Philosophie und Interdisziplinarität“ an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Besondere Ehrung für Armin Wolf:
Unbeugsamer Übersetzer populistischer Rhetorik
Armin Wolf beweist als politischer Fernsehmoderator immer wieder aufs Neue, wie man journalistisch mit Interviewpartnern umgeht, die auf Vereinfachung, Worthülsen und Populismus setzen: präzise, unnachgiebig, unerschrocken, analytisch, leidenschaftlich, aber nicht von eigenen Gefühlen hingerissen. Die Kenntnis der Hintergründe und Fakten sind Leitlinien seines Erkenntnisinteresses in der Berichterstattung, nicht das Vorurteil. Armin Wolf wahrt dabei stets seine kritische journalistische Distanz gegenüber allen Parteilichkeiten. Seine kritischen Fragen und sein Umgang mit Politikern wurden von vielen Seiten sehr gelobt, aber auch kritisiert und vielleicht auch gefürchtet. Denn Armin Wolf sieht es als seine oberste Pflicht an, „den Bürger zu informieren.“ Von seinen Widersachern unbeeindruckt widmet sich Armin Wolf mit Inbrunst der unabhängigen kritischen Berichterstattung in vorbildlicher Art und Weise. Mit seiner Expertise und journalistischen Hartnäckigkeit klärt er auf und demaskiert demokratiezersetzende Strömungen in Gesellschaft und Politik.
Armin Wolf wurde 1966 in Innsbruck geboren. Er begann 1985 als freier Mitarbeiter in der Hörfunk-Redaktion im Tiroler Landesstudio des ORF, es folgte 1988 der Radiosender Ö1, wo er als außenpolitischer Journalist tätig war. Im Jahr 1995 begann seine Fernsehkarriere als Redakteur bei ZiB2, dem täglichen Nachrichten-Magazin des ORF, 2002 übernahm Armin Wolf auch die Moderation. Für seine Arbeit wurde er mehrfach preisgekrönt. 2016 erhielt er eine Sonderauszeichnung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises. 2017 wurde ihm der renommierte Axel-Corti-Preis im Rahmen des Fernsehpreises der Österreichischen Erwachsenenbildung verliehen. Mit dem Preis werden „erwachsenenbildnerisch besonders wertvolle Leistungen im Rahmen von Sendungen im österreichischen Fernsehen“ honoriert, in der Jury sind unter anderem zehn Vertreter der Erwachsenenbildung vertreten.
Deutscher Volkshochschul-Verband
Der Deutsche Volkshochschul-Verband zeichnet Inge von Bönninghausen, Gerd Scobel und Armin Wolf mit der Besonderen Ehrung für ihre herausragenden Leistungen und Verdienste um den aufklärerischen und demokratiefördernden Fernsehjournalismus aus. Die drei Geehrten zeigen jeweils auf ihre ganz eigene Art und Weise, was qualitätsvolles Bildungsfernsehen bedeutet und wie es gelebt werden kann. Sie sind Vorbilder für den deutschsprachigen Fernsehjournalismus.
Autor:Siegfried Schönfeld aus Marl |
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