Die drei Weltreligionen zwischen produktiver Auseinandersetzung und erbittertem Hass: Intendant Johan Simons eröffnet seine erste Spielzeit am Schauspielhaus mit Feuchtwangers „Die Jüdin von Toledo“
"Die Geschichte der Jüdin von Toledo ist seit dem 12. Jahrhundert immer wieder erzählt worden“, ruft Koen Tachelet, Dramaturg der Inszenierung am Schauspielhaus, in Erinnerung und fährt fort, „Lion Feuchtwanger ist der Letzte in dieser Reihe. Wir haben uns für seine Version entschieden, weil er – anders als vor ihm Lope de Vega und Franz Grillpazer – nicht die christliche Perspektive betont, sondern der jüdischen Sicht auf das Geschehen Rechnung trägt und sein Roman auch im 21. Jahrhundert noch von Bedeutung ist.“
Feuchtwanger veröffentlichte seinen historischen Roman 1955 unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Er greift dabei auf das Geschehen im Spanien des 12. Jahrhunderts zurück: Die iberische Halbinsel ist zu dieser Zeit geteilt; im Süden regieren die muslimischen Mauren, im Norden herrscht der christliche König Alfonso VIII. Im Süden muss sich die jüdische Bevölkerung dem Islam unterordnen, während die Juden, die im Einflussbereich Alfonsos leben, ihren Glauben relativ ungestört ausüben können. Alfonso will den muslimischen Süden erobern. Zu dieser Zeit zieht der jüdische Kaufmann Jehuda Ibn Esra gemeinsam mit seiner Tochter Raquel nach Toledo, wo Alfonso seinen Herrschaftssitz hat. Jehuda wird Finanzberater im christlichen Kastilien. Während Alfonso einen Krieg plant, hofft Jehuda, seinen Einfluss geltend machen zu können, um den Frieden zu wahren und die Juden zu schützen.
Die Jüdin Raquel und der Christ Alfonso verlieben sich ineinander und werden Eltern eines Sohnes. Überall in Europa werden die Juden verfolgt; Alfonso unterliegt dem muslimischen Heer. In Toledo geraten Jehuda und Raquel ins Visier, als nach Schuldigen für die Niederlage gesucht wird. Königin Leonor, Alfonsos Ehefrau, veranlasst die Ermordung Jehudas und seiner Tochter.
Interesse an Glaubensfragen
Johan Simons, neuer Intendant an der Königsallee, eröffnet seine erste Spielzeit in Bochum mit seiner Regiearbeit „Die Jüdin von Toledo“, für die Dramaturg Koen Tachelet die Bühnenfassung erarbeitet hat. „Glaubensfragen haben mich immer interessiert. Ich bin calvinistisch erzogen worden, bin aber schon mit zwölf Jahren zu der Erkenntnis gekommen, dass es vielleicht keinen Gott gibt“, begründet Simons die Wahl des Stoffes. Der Bezug zu heutigen Konfliktlinien zwischen den drei monotheistischen Religionen bleibe in der Inszenierung abstrakt. „Dennoch ist uns das Geschehen nah; allerdings sind die heutigen Auseinandersetzungen vielleicht noch schlimmer als die des 12. Jahrhunderts. Feuchtwanger bettet das in eine rührende Geschichte ein. Darüber hinaus ist die Handlung seines historischen Romans gut dokumentiert“, erklärt Simons.
Simons, der in seinem Ensemble auf kulturelle Vielfalt setzt, möchte mit „Die Jüdin von Toledo“ auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Gesellschaft in Deutschland, ähnlich wie in seiner niederländischen Heimat, verändert hat: „Im Ruhrgebiet hat jeder Vierte eine Migrationsgeschichte, in Rotterdam ist es mittlerweile jeder Zweite. Dadurch kommt auch der Reibung zwischen den verschiedenen Religionen eine ganz neue Bedeutung zu.“
„In 'Die Jüdin von Toledo' gibt es zumindest noch Krach zwischen den Religionen“, hat Anna Drexler, die Königin Leonor spielt, bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Stoff festgestellt, „während man heute häufig gar nicht mehr miteinander spricht.“ - „Und der Krach zwischen den Religionen gehört vielleicht zum Zusammenleben dazu“, gibt Dramaturg Koen Tachelet zu bedenken.
Termine
„Die Jüdin von Toledo“ erlebt am Donnerstag, 1. November, um 19 Uhr ihre Premiere im Schauspielhaus, Königsallee 15. Es gibt derzeit noch wenige Karten.
Weitere Termine und viel Wissenswertes gibt es auf www.schauspielhausbochum.de.
Autor:Nathalie Memmer aus Bochum |
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