Thema der Woche
Gastronomen fürchten sich vor 19 Prozent

Toddy Geldmann (im Bild) hat zusammen mit seiner Schwester Martina Hörstrup den Erlebnisbiergarten Jupp in Haltern am See vor mehr als 20 Jahren von ihren Eltern übernommen. Foto Geldmann
  • Toddy Geldmann (im Bild) hat zusammen mit seiner Schwester Martina Hörstrup den Erlebnisbiergarten Jupp in Haltern am See vor mehr als 20 Jahren von ihren Eltern übernommen. Foto Geldmann
  • hochgeladen von Michael Menzebach

Das Versprechen kam von fast ganz oben: Der damalige Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte im Wahlkampf 2021 versprochen, den Mehrwertsteuersatz auf Speisen bei 7 Prozent dauerhaft belassen zu wollen. Doch davon ist längst keine Rede mehr. Zuletzt befristet bis zum 31. Dezember 2023, soll ab dem 1. Januar 2024 wieder der alte, viel höhere Regelsatz von 19 Prozent gelten.

Weder Bundeskanzler Scholz noch der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) machen bisher Anstalten, am ermäßigten Steuersatz festzuhalten. Laut WirtschaftsWoche drohe dem Finanzministerium ein Fehlbetrag von 3,3 Milliarden Euro.  So hoch sollen die jährlichen Steuerausfälle ab 2024 sein, wenn der ermäßigte Mehrwertsteuersatz bei Speisen in der Gastronomie erhalten bliebe.

Milliardenschwerer Fehlbetrag

"Auch wenn die Stimmung bei vielen Gastronomen noch gut ist, viel darf jetzt nicht mehr kommen", skizziert Toddy Geldmann die aktuelle Situation. Mit "viel" meint er konkret, das Schreckgespenst was durch die Branche geistert: Die Rückkehr zum alten Regelsatz. Die könnte dem gesamten Wirtschaftszweig einen weiteren schweren Schlag versetzen, von dem sie sich nur schwer erholen würde. Der Halterner Gastronom rechnet vor: Neben einer möglicherweise höheren Steuerbelastung seien es vor allem Zusatzbelastungen, mit denen Restaurants und Gaststätten konfrontiert würden. Beispielsweise seien die Preise für Lebensmittel im Jahresverlauf um 17 Prozent gestiegen, die Energiekosten hätten sich um 20 Prozent erhöht und aufgrund der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro seien die Gehälter sogar um 22 Prozent gestiegen.  

Auf Kante genäht

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband geht davon aus, dass bei einer Rückkehr zur vollen Mehrwertsteuer auf Speisen rund 12.000 Betriebe aufgeben werden. Derzeit gibt es in der Branche 186.000 Unternehmen. Eine aktuelle Analyse des Informationsdienstleisters Crif zeigt, dass bereits jeder zehnte Gastronomiebetrieb in Deutschland als insolvenzgefährdet gilt. 

12.000 Betriebe müssten aufgeben

Die bisherigen Hilfen der Politik lobt Toddy Geldmann ausdrücklich. Denn speziell die Senkung der Mehrwertsteuer würde die Guten unterstützen. Vor Ort habe man auch längst Kontakte zu Politikern geknüpft, die sich in Berlin für die Branche weiter stark machen. "Extrem viel Unterstützung bekommen wir auch von der DEHOGA (Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband)". Mit der Online-Petition „7 Prozent auf Speisen in der Gastronomie müssen bleiben“ will der Branchenvertreter Druck auf die Politik in Berlin aufbauen. "Der Verband ist ununterbrochen aktiv, damit die Bundesregierung auch im nächsten Jahr den Steuersatz bei 7 Prozent belässt", so Geldmann weiter.

Online-Petition

Seine Gäste hätten die bisherigen Preiserhöhungen noch akzeptiert. Die Betonung liege hierbei auf noch. Wie weit Geldmann die Preise bei der Rückkehr zum 19-prozentigem Steuersatz anheben müsste, kann er konkret noch nicht beziffern. Dazu fehlen ihm noch weitere Kalkulationen.
Gegründet 1948 vom Opa und bis ins Jahr 2000 geführt von seinen Eltern, leiten aktuell die Geschwister Martina und Toddy den bereits mehrfach ausgezeichneten Biergarten in der dritten Generation. "Wir sind stolz darauf, immer noch ein Familienbetrieb zu sein und werden auch heute noch tatkräftig von unserer Mutter und der ganze Familie unterstützt", so der Vollblut-Gastronom.

Vollblut-Gastronom

Bleibt es beim aktuellen Kurs der Regierung, ergibt sich laut einer Umfrage des Dehoga eine Situation, in der sich 95,7 Prozent der Gastronomen dazu gezwungen sehen, ihre Preise anzuheben. Konkret ist die Rede von einer notwendigen Erhöhung um durchschnittlich 15,5 Prozent. Bei einer kleinen Umfrage auf unserem Lokalkompass-Instagram-Kanal hatten wir gefragt: "Auswärts Essen wird teurer: Wo ist eure Schmerzgrenze?"

Wo ist eure Schmerzgrenze?

David_m39_ne_schon_44s  schreibt dazu: "Wenn es schmeckt, und die Qualität stimmt, zahle ich gerne mehr." tiffygirl71 meint: "Wir würden unsere Restaurantbesuche tatsächlich reduzieren. Für die Restaurantbesitzer mit Sicherheit nicht toll, aber ich bin in einer Zeit geboren, da war essen gehen noch etwas Besonderes und das gab es meistens nur zu besonderen Anlässen. Heutzutage ist es fast normal geworden..."  Nicve77 findet: "Es kommt auf Preis und Qualität an. Aber wenn es noch teurer wird, werden sich noch mehr Menschen das Essen nicht leisten können. Da werden noch mehr Gastronomen schließen müssen, weil immer weniger sich das leisten können."

Keine Rücklagen bilden können

Auch aus Sicht des NGG-Vorsitzenden (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) Guido Zeitler, wäre eine Rückführung auf den regulären Steuersatz von 19 Prozent zum Jahreswechsel noch zu früh: „Die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel und Energie haben die Preise in der Gastronomie bereits stark steigen lassen. Jetzt noch die Rückführung auf den normalen Steuersatz obendrauf, das müssten die Restaurants an die Gäste weitergeben. Dies hätte spürbare Konsequenzen im Nachfrageverhalten und würde die Betriebe unter Druck setzen, die wir gerade erst in der Pandemie mit vielen Steuermilliarden gerettet haben. Die Zeit, Rücklagen für eine weitere Krise zu bilden, war viel zu kurz. Daher fordern wir Bundesfinanzminister Lindner auf, den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Speisen um ein weiteres Jahr zu verlängern.“
Ein entsprechender Antrag der Unionsfraktion im Finanzausschuss des Bundestages war im Juni von der Ampel-Koalition abgelehnt worden. Im Oktober beantwortete der Kanzler die Frage nach der Sieben-Prozent-Regelung über das Jahr 2023 hinaus mit den Worten: "Das wird vom Geld abhängen."

Wer weiß, vielleicht wird das Versprechen von fast ganz oben drei Jahre später von ganz oben eingelöst?!

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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