Schluss nach 86 Jahren für Fleischerei Ziegler
Die Krux mit der Nachfolge
"Das ist richtig schlimm. Ich habe geweint, als ich davon erfahren habe." Magdalena Knocke ist seit Jahrzehnten treue Kundin der Fleischerei Ziegler. Sie steht mit einer gut gefüllten Tüte an der Kasse. Es dürfte eine der letzten Tüten sein, denn an diesem Samstag schließen sich die Türen für immer.
Tränen sind reichlich geflossen. Als ich mit den Verkäuferinnen über die bevorstehende Schließung rede, wendet sich eine ab und wischt sich verstohlen über die Augen. "Ich mag gar nicht an den 1. Juni denken", sagt sie.
Vieles versucht, aber ohne Erfolg
Auch für die Chefs, Monika und Ulrich Ziegler, ist das Aus des Familienbetriebs nach 86 Jahren noch immer schwer zu begreifen. So viel hatten sie versucht, um das florierende Unternehmen in eine geordnete Nachfolge zu übergeben. Aber ohne Erfolg.
Der erste Gedanke, der sich bei einer Metzgerei-Schließung aufdrängt, ist wirtschaftlicher Misserfolg. Tatsächlich, sagt Ulrich Ziegler, sind von ehemals rund 500 Metzgereien in Essen nach Schließung seines Betriebs nur noch elf übrig. "Die Metzgereien leiden schon lange unter dem Preisdruck der Supermärkte", sagt der Fleischermeister.
"Wir machen sehr gute Geschäfte"
Anders bei der Fleischerei Ziegler: "Wir machen sehr gute Geschäfte", sagt Ulrich Ziegler, und seine Frau nickt. Seit die Schließung öffentlich wurde, läuft es sogar noch besser. "Die Kunden decken sich mit unseren Konserven ein, wir kommen gar nicht hinterher", beschreibt Monika Ziegler. Denn neben Wurst- und Fleischwaren bietet das Stoppenberger Unternehmen selbst gekochte Eintöpfe, Suppen und Speisen, darunter auch vegane Varianten, in Gläsern an. Die Produktion dieser Konserven wurde seit Wochen hochgefahren und dennoch sind die Regale im Verkaufsraum gelichtet.
X-fach ausgezeichneter Betrieb
Damit bleiben die Zieglers ihren Prinzipien treu, die schon immer "Klasse" der "Masse" vorzogen. Zahlreiche Urkunden an den Wänden des Verkaufsraums und ein überdimensionaler Pokal auf der Theke zeugen davon. 2023 und 2024 durfte sich der Betrieb über zehn Auszeichnungen in Gold für herausragende Leistungen und den Erhalt der regionalen Vielfalt bei Fleisch und Wurst freuen. Damit gehörten die Essener im vergangenen Jahr zu den Besten im Land, wie die Jury bei der Qualitätsprüfung „Meisterstücke – Wettbewerbe für Fleisch- und Wurstkultur“ urteilte. Gekrönt wurde das noch durch den „Meisterstücke Siegerpokal 2023 und 2024“ in Anerkennung besonders umfangreicher Qualität.
Ehrenpreis des Landes NRW
Als einziger Fleischereibetrieb in Essen erhielten die Zieglers außerdem den Ehrenpreis des Landes „Meister.Werk.NRW“, überreicht von der NRW-Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz Silke Gorißen mit den Worten: „Die Betriebe bewahren und fördern das Wissen um die handwerkliche Herstellung regionaler Produkte. Sie stehen für Nähe, Qualität und Verantwortung und tragen maßgeblich zur Nahversorgung mit hochwertigen Lebensmitteln bei.“
Auch 2024 sollten die Zieglers wieder den Meister.Werk-Preis erhalten. "Aber wir sind nicht zur Preisverleihung nach Düsseldorf gefahren. Was soll das noch bringen, wenn wir ein paar Wochen später schließen?", fragt Ulrich Ziegler.
Die große Angst vor Personalmangel
Gut erinnert sich das Ehepaar an den Tag kurz nach Ostern, als der Geschäftsführer absagte. "Wir hatten ihn 2022 in die Geschäftsführung berufen, weil er das Geschäft übernehmen sollte", erzählt Monika Ziegler. Aber nachdem im März eine Küchenhilfe ausgeschieden war und auf Stellenausschreibungen weder über die Arbeitsagentur noch über Anzeigen in Zeitungen, Sozialen Medien oder auf Plakaten auch nur eine Bewerbung einging, bekam der designierte Nachfolger kalte Füße. "Ich finde keine Mitarbeiter, wenn jemand aus dem Team ausscheidet", war das Argument, das der Geschäftsführer den Zieglers nannte.
Fachpersonal ist nicht zu bekommen
Dem hatten die Chefs wenig entgegen zu setzen, haben sie doch in den Jahren ihrer Selbstständigkeit ähnliche Erfahrungen gemacht. "Bewerbungen auf eine Ausbildung im Fleischerhandwerk bekommen wir schon seit 30 Jahren nicht mehr", sagt Ulrich Ziegler. Auf Ausschreibungen für Fleischergesellen meldete sich niemand - obwohl bei der Arbeitsagentur Essen zu diesem Zeitpunkt 15 arbeitslos gemeldet waren, erinnert sich das Ehepaar. Oder ein Geselle, Mitte 30, der vorher drei oder vier Jahre arbeitslos war. "Er hat eine Woche durchgehalten, der war nicht mehr körperlich fit genug", sagt Monika Ziegler. Dabei hat das Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten die körperlich anspruchsvolle Arbeit erleichtert, indem zum Beispiel das Zerlegen der Tiere ausgesourct wurde. "Früher war das wirklich ein Knochenjob", sagt der Metzgermeister und schaut an sich herunter. Die Hüfte ist kaputt, das Knie auch - "von der Schlepperei". Einer der Gründe, ans Aufhören zu denken.
Mit knapp 70 in den Ruhestand
Ein anderer ist das Alter: "Wir werden dieses bzw. nächstes Jahr 70 und wollen noch ein bisschen den Ruhestand genießen", sagt Ulrich Ziegler. "Das Geschäft stand all die Jahre an erster Stelle, wir konnten gedanklich nie Fünfe grade sein lassen", ergänzt seine Frau. Da haben sie den Entschluss gefasst: Spätestens 2024 ist Schluss! Um das Unternehmen in die Zukunft zu führen, gab es weitere Ideen und Versuche. "Wir haben Mitbewerber angesprochen und ihnen angeboten, hier eine Filiale zu eröffnen: mietfrei, mit täglicher Kündigungsmöglichkeit, vier Mitarbeiter wären sicher geblieben und das unternehmerische Risiko war minimal", so Ulrich Ziegler. Aber auch das Angebot wollte niemand annehmen. "Die Sorge, dass jemand aus dem Team kündigen könnte, war zu groß."
"Dat war schon schön hier"
Erleichtert sind die Zieglers, dass fast alle der 20 Mitarbeiter bereits neue Jobs haben. Viele waren langjährig in der Metzgerei beschäftigt. So wie Helga Nickel. Sie ist 62 Jahre alt und seit 14 Jahren als Verkäuferin bei den Zieglers angestellt. "Ich hab hier als Kind schon mit meinen Eltern eingekauft." Ein bisschen Wehmut schwingt mit, wenn sie, die Stoppenbergerin, in bester Ruhrpottmanier sagt: "Dat war schon schön hier!"
Fleischerei 1938 in Stoppenberg eröffnet
Ulrichs Opa hatte die Fleischerei 1938 in Stoppenberg eröffnet, sein Vater trat 1952 ein. Er selbst übernahm den Betrieb nach dem Tod des Vaters 1983 mit seiner Schwester und Mutter, seit 2004 führt das Ehepaar die Metzgerei allein. Die Tochter möchte nicht in den Betrieb einsteigen, sondern promoviert gerade an der Uni. Bis heute werden alte Familienrezepte verwendet, die "höchstens leicht modifiziert wurden". Die Fleischwurst ist ebenso Kult wie das Schinkenmett und der Fleischsalat.
Kundin will künftig vegetarisch leben
Das weiß auch Gisela Siepmann, die regelmäßig extra von Bredeney nach Stoppenberg gefahren ist, um bei Zieglers einzukaufen. Sie weiß schon, wie sie nach dem Ende der Fleischerei weitermacht: "Ich lebe einfach wieder vegetarisch."
Stellungnahme
Dr. Reinhard von Stoutz, Geschäftsführer des Deutschen Fleischer-Verbands e.V.:
- 2023 standen bei insgesamt rund 10.000 Fleischereien 984 Stilllegungen von eigenständigen Betrieben 510 Gründungen gegenüber. Von diesen waren 335 echte Neugründungen und 175 Wechsel der Inhaber bereits bestehender Unternehmen.
- Anders als von vielen vermutet, geht damit die Zahl der Fleischereien und Metzgereien nicht aufgrund schlechter Geschäfte oder gar aufgrund eines Fleischverzichts in der Bevölkerung zurück. Vielmehr stehen den Schließungen, die zumeist altersbedingt sind, nicht ausreichend Gründungen gegenüber.
- Die geringe Zahl der Gründungen liegt jedoch nicht nur an fehlenden Mitarbeitern, sondern auch an dem relativ hohen Kapitalbedarf, der bei einer Gründung oder der Übernahme einer Fleischerei mit allen ihren Produktionsgeräten , Kühlanlagen und Ladeneinrichtungen notwendig wird. Ohne eine langfristige Planungssicherheit gehen nur wenige das entsprechende hohe finanzielle Risiko ein.
- Die fehlenden Mitarbeiter in Produktion und Verkauf schränken die bestehenden Betriebe bei einer Ausweitung ihrer geschäftlichen Tätigkeiten ein und können zu Filialschließungen führen.
- Direkt damit verbunden ist die zweite Herausforderung, denen sich die Fleischereien stellen müssen: die zunehmende Bürokratisierung. Diese bindet erhebliche Arbeitskraft. und das in einer Zeit, in der viele Unternehmer, die persönlich die meisten Auflagen erfüllen und die Kontrollen und Dokumentationen durchführen müssen, aufgrund des Personalmangels selbst stark in Produktion und Verkauf eingebunden sind.
- Um das notwendige Personal für die Zukunft zu finden, wird das Fleischerhandwerk in vielen Fällen sehr kreativ. So gibt es Initiativen, die Mitarbeiter aus dem in- und außereuropäischen Ausland rekrutieren. Andere Betriebe veranstalten Nachwuchsrekrutierungsaktionen im Netz., wieder andere versuchen über Praktika an junge Leute zu kommen. Aktuell reichen alle Maßnahmen jedoch nicht aus, um die Stilllegungen durch Neugründungen zu kompensieren.
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