Nadim Nashed war in Syrien Lehrer
Endlich wieder unterrichten

Nadim Nashed (Mitte) mit seiner Mentorin Kübra Cakmak und dem Schulleiter der Hauptschule an der Wächtlerstraße Martin Kloos. | Foto: Dabitsch
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Strammen Schrittes geht Nadim Nashed durch "seine" Schule, grüßt freundlich Lehrerkollegen und Schüler. Heute stehen zwei Stunden Mathe auf seinem Stundenplan.

Den Unterricht gestaltet er gemeinsam mit seiner Mentorin Kübra Cakmak. Sie ist eine erfahrene Lehrkraft an der Hauptschule an der Wächtlerstraße in Essen und unterstützt ihn beim Einstieg in den Beruf. "Ich bin auf einem guten Weg", ist der 53-jährige Syrer überzeugt.

Schwieriger Weg in den Schuldienst

Dass er überhaupt nochmal vor der Klasse steht, daran hatte der Essener in den vergangenen neun Jahren häufig Zweifel. Denn trotz des großen Lehrermangels mit aktuell 8049 unbesetzten Stellen in NRW (Zahlen des Schulministeriums) sind die Hürden für Nicht-EU-Bürger auf eine Anstellung im Schuldienst hoch. Das hat auch Nadim Nashed gemerkt.

Rakete schlug neben seinen Kindern ein

Er arbeitete in der Heimat Syrien als Mathelehrer in der Oberstufe. Seine Heimatstadt nahe Aleppo lag im Grenzgebiet zwischen Rebellen- und Regime-Gebieten. "Als eine Rakete neben meinen Kindern einschlug, die gerade auf dem Schulweg waren, beschlossen wir zu fliehen", sagt Nashed. Und weil er als junger Erwachsener schon mal einige Monate in Deutschland gelebt hatte und die Grundzüge der Sprache schon beherrschte, stand das Ziel der fünfköpfigen Familie schnell fest.

Seit 2016 in Essen

Seit 2016 lebt die Familie in Essen und hat sich gut eingelebt: Der älteste Sohn ist Arzt, der zweite studiert Ingenieurswissenschaften, die Tochter geht noch zur Schule. Nadims Frau hat in Syrien Betriebswissenschaften studiert und arbeitet als Integrationshelferin an einer Schule. Er selbst hat all die Jahre nicht aufgegeben, seinen alten Beruf in der neuen Heimat ergreifen zu können.

Nadim Nashed freut sich, endlich wieder seiner Berufung nachgehen zu können und Schüler in Mathe zu unterrichten.  | Foto:  Dabitsch
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"Lehrkräfte Plus" war seine Chance

Seine Chance kam mit dem "Lehrkräfte-Plus"-Programm, das an mehreren Unis in NRW angeboten wird. Ziel ist, international ausgebildete, erfahrene Lehrer mit Fluchtgeschichte für die Arbeit an Schulen in NRW vorzubereiten und weiterzubilden. Ein Jahr lang hat Nadim gemeinsam mit 19 anderen Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern, darunter Indien, Vietnam und der Türkei, Deutsch gebüffelt, pädagogische Qualifizierungen durchlaufen und fachdidaktische Seminare besucht.

In der Hauptschule an der Wächtlerstraße willkommen geheißen

Am Ende stand ein umfangreiches Schulpraktikum, das Nadim an der Hauptschule an der Wächtlerstraße absolviert hat. "Das ist ein sehr interessantes Programm, das zugewanderten Lehrkräften die Chance bietet, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten", sagt Schulleiter Martin Kloos. Und auch wenn die personelle Ausstattung an der Schule aktuell ausreichend sei, freut er sich über die Unterstützung und weiß die Vorteile, einen syrischen Kollegen zu haben, durchaus zu schätzen: "Wir führen manchmal Elterngespräche, bei denen die Sprachbarriere sehr groß ist. Herr Nashed hat da, außerhalb seines eigentlichen Aufgabengebietes, schon das eine oder andere Mal zur Verständigung beigetragen." Als größte Herausforderung sieht Kloos die Deutschkenntnisse der Lehrpersonen, das sei nicht zu unterschätzen.
Auch Nadim Nashed weist darauf hin, dass er die Jugendsprache noch nicht voll verstehe. Dafür kennt er arabische Schimpfwörter und Beleidigungen, "das ist auch nicht schlecht", meint der 53-Jährige und schmunzelt.

Ähnlicher Unterrichtsstoff wie in Syrien

Der Unterrichtsstoff, den er vermittelt, ähnelt dem in Syrien. Nicht aber die Art und Weise: "Hier wird ja viel selbstständig gearbeitet, das gab es in Syrien nicht. Dort wurde frontal unterrichtet." Und Nadim hat festgestellt, dass die Schüler in Deutschland weniger Respekt vor den Lehrern hätten. Deshalb zeigt er als Lehrer die gesamte Bandbreite von "freundlich bis streng". Einen Tag pro Woche besucht er didaktische Seminare und Supervisionen bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Nach Beendigung des Lehrkräfte-Plus-Programms befindet sich Nadim jetzt in der "Internationalen Lehrkräfte-Förderung" (ILF) und wird weiterhin auf den Schuldienst vorbereitet. "Es dauert, aber das ist okay", sagt der Mathelehrer.

Familie will nicht zurück nach Syrien

Nach dem Sturz des Assad-Regimes denken er und seine Familie nicht daran zurückzugehen. "Ich werde nicht auf diese Lehrerstelle verzichten", sagt Nashed überzeugt. Im Februar erhält er seine Einbürgerungsurkunde. Das Lehrkräfte-Plus-Programm der Universität Duisburg/Essen richtet sich an zugewanderte Lehrpersonen der Fächer Mathematik, Physik, Chemie, Technik, Informatik und - neu - Kunst. Perspektivisch könnte auch das Unterrichtsfach Sport hinzukommen.

Das Lehrkräfte-Plus-Programm

  •  Projektleiterin Dr. Anja Pitton ist überzeugt, damit nicht nur hochqualifizierten Personen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bieten zu können, sondern auch dem Fachkräftemangel zu begegnen. Ein weiterer Pluspunkt aus ihrer Sicht ist, dass man auch den Schülern mit Migrationshintergrund helfe, indem man ihnen Vorbilder an die Seite stelle.
  • Auch die Projektleiterin sieht die größte Schwierigkeit in der Sprachbarriere und verweist auf die Jugendsprache.
  • Das Programm startet jedes Jahr im April. Bislang wurden in Essen 92 Lehrkräfte ausgebildet. Von der ersten Kohorte, die 2020 startete, arbeiten mehr als die Hälfte heute an einer Schule, was Dr. Pitton als Erfolg wertet.
  • Pro Kohorte stehen maximal 25 Plätze zur Verfügung. "Wir erhalten etwas zweieinhalb Mal so viele Bewerbungen", sagt die Projektleiterin. Bewerbungen sind wieder ab Oktober möglich. Voraussetzung zur Teilnahme ist mindestens ein B2-Sprachniveau und "wir suchen Persönlichkeiten, die als gestandene Lehrkräfte in der Lage sind, ihre Zuhörer mitzureißen", sagt Dr. Pitton.
  • Weitere Informationen gibt es auf https://www.uni-due.de/lehrkraefteplus/ 
Nadim Nashed (Mitte) mit seiner Mentorin Kübra Cakmak und dem Schulleiter der Hauptschule an der Wächtlerstraße Martin Kloos. | Foto: Dabitsch
Nadim Nashed freut sich, endlich wieder seiner Berufung nachgehen zu können und Schüler in Mathe zu unterrichten.  | Foto:  Dabitsch

7 Kommentare

Gudrun - Anna Wirbitzky aus Bochum
am 02.02.2025 um 22:46

Wow,so muss es laufen.

Neithard Kuhrke aus Wesel
am 02.02.2025 um 22:56

Super Idee. So werden auch der deutschen Sprache nichtkundige Elternteile erreicht. Bekanntlich tragen Eltern zum Schulerfolg erheblich bei. Was wieder rum Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.

Barbara Steffens (Ebsdorfergrund) aus Bochum
am 04.02.2025 um 18:26

Migrantenkinder müssen gefördert werden und auch Erfolgserlebnisse haben.
Somit wünsche ich Nadim viel Erfolg