Super-Wahljahr 2024
Zehn Gebote für Abgeordnete und "Berufspolitiker"

Im Neuen Jahr 2024 ist weltweit fast die Hälfte der Erdbevölkerung zu Parlamentswahlen aufgerufen: In Europa, in den USA, in Russland sowie in Indien, ferner in Indonesien und Taiwan, in mehreren Ländern Südafrikas und Südamerikas sowie evtl. in Großbritannien. Aber auch in Deutschland: Mit Wiederholungswahlen zum Bundestag in Berlin sowie Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen sowie Brandenburg, obendrein  Kommunalwahlen in 8 deutschen Bundesländern. (Falls die Ampelregierung zerbrechen sollte, gäbe es auch noch Neuwahlen im  Bund).

Wähler und Politiker sind in diesem Super-Wahljahr also mehr denn je gefordert, zumal die Demokratie mehr denn je gefährdet ist. Und das nicht nur durch zunehmenden Rechtspopulismus, sondern auch durch Vertrauensverlust und Ansehensverlust: Umfragen der Bertelsmann-Stiftung und anderer Institute zufolge vertrauen nur noch knapp 25 Prozent den Regierungen und Parlamenten als Institutionen, den Parteien sogar nur noch 8 Prozent. Fast ein Drittel der Deutschen glauben, in einer "Scheindemokratie" zu leben. Beim "NRW-Check" trauten 40% keiner Partei mehr Problemlösungen zu. Die Wahlbeteiligungen in Land und Kommunen sind zuletzt auf knapp über 50 Prozent gesunken.

Die Abgeordneten und "Berufspolitiker", die sich zur Wahl stellen, müssen also selbstkritisch Ihre Rolle und ihr Verhalten überprüfen. Dazu hat der Verfasser dieser Zeilen bereits vor 10 Jahren die folgenden zehn Gebote  veröffentlicht, die unsere Volksvertreter tunlichst beherzigen sollten:

ZEHN GEBOTE FÜR ABGEORDNETE UND "BERUFSPOLITIKER"

Erstes Gebot:

Du sollst dich in Bescheidenheit und im Zuhören üben, denn du hast lediglich eine dienende Funktion auf Zeit für deine Wähler und für das Wohl der Allgemeinheit, und sollst dich nicht als lebenslanger "Berufspolitiker" einrichten. Nicht deine Meinung und deine Person sind wichtig, sondern die Mehrheitsmeinung der Menschen, deren Interessen du zu vertreten hast als deren Repräsentant. Deine eigenen Interessen und Ambitionen haben hinten anzustehen; Vorrang haben der Wählerwille und der Gemeinnutz.

Zweites Gebot:

Sei stets der Wahrheit und nicht der Lüge verpflichtet, denn die weit verbreitete Lüge im öffentlichen Leben und in Wahlkämpfen ist Gift für die Demokratie. Ehrlichkeit und Transparenz seien deshalb oberstes Gebot bei all deinem politischen Wirken und Handeln, um glaubwürdig zu sein. Hüte dich vor Halbwahrheiten, leeren Versprechungen und „faulen Kompromissen“, denn sie verderben die politische Kultur.

Drittes Gebot:

Beteilige dich nicht an Machtkämpfen und politischen Intrigen, sondern folge dem Gebot politischer Fairness, denn sonst verdirbst du deinen Charakter und verlierst deine Aufrichtigkeit. Die dir verliehene „politische Macht auf Zeit“ dient lediglich der wirksamen Durchsetzung ausgewogener und mehrheitsfähiger politischer Ziele bei gleichzeitigem Minderheitenschutz, nicht der Vorführung der politischen Ohnmacht deines Wahlvolkes oder des politischen „Gegners“. Bewahre dir deine sachbezogene Kompromissfähigkeit beim Ringen mit dem politischen Konkurrenten, der nicht dein "Gegner" ist.

Viertes Gebot:

Bewahre deine Unabhängigkeit und fühle dich nicht eigennützigen Interessengruppen und Lobbyisten verpflichtet, sondern ausschließlich den gemeinnützigen Anliegen zum Wohle aller. Sei nicht käuflich, denn maßgebend ist nicht die Höhe der Parteispenden zahlungskräftiger Konzerne und Gruppierungen, auch nicht lockende Nebeneinkünfte oder lukrative Jobs nach deiner politischen Laufbahn, sondern allein das Maß der politischen Zustimmung in der betroffenen Bevölkerung. Halte dir solche Lobbyisten vom Leib, die dich für ihre eigennützigen wirtschaftlichen Interessen missbrauchen wollen. Und verzichte auf Nebentätigkeiten und verlockende Nebeneinkünfte, sondern widme dich voll und ganz deinem politischen Wählerauftrag.

Fünftes Gebot:

Betätige dich stets als Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und halte dich an die von dir selber mitgestalteten Gesetze und Wahlversprechungen. Nehme für dich selber keine Sonderrechte und Privilegien in Anspruch, sondern sei dir deiner Vorbildfunktion und deiner rechtlichen Verpflichtungen bewusst. Predige keinen "Verzicht", solange du selber Vorteile genießt. Und merke: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt, ist nichts anderes als eine große Räuberbande“ (Zitat Staatsrechtslehrer Augustinus).

Sechstes Gebot:

Beteilige die Menschen im Vorfeld an den demokratischen Entscheidungsprozessen und hole ernsthaft ihre Meinung ein. Rufe regelmäßige Wahlkreisversammlungen ein und tausche dich mit den Wählern auch außerhalb von Wahlkämpfen aus; begründe deine Entscheidungen und lege Rechenschaft ab. Mache Betroffene zu Beteiligten, sonst entscheiden fälschlich lauer Nichtbetroffene in der abgehobenen politischen Subkultur über die menschlichen Schicksale. Trete dein Mandat nur an, wenn du zuvor über hinreichende Lebens- und Berufserfahrung verfügst (und nicht nach abgebrochenem Studium direkt vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal strebst).

Siebtes Gebot:

Folge stets deinem Gewissen und ethisch-moralischen Grundsätzen, weniger irgendeinem Koalitions- oder Fraktionszwang. Mache dich nicht zum Sklaven irgendwelcher Ideologien und Dogmen deiner Partei, sondern trage zu lebendigen und fruchtbaren Debatten bei der offenen Meinungsbildung im Parlament bei. Du bist als gewählter Mandatsträger in erster Linie Delegierter des Volkes, nicht nur Delegierter einer Partei oder Fraktion.

Achtes Gebot:

Sei ebenso bescheiden bei deinen Einkünften und deiner Alterssicherung, wie du es den Bürgerinnen und Bürgern „draußen im Lande“ abverlangst. Orientiere deine Versorgungs- und Diäten-Ansprüche an den Durchschnittsverdiensten und Renten der arbeitenden Bevölkerung oder an deinem vorherigen beruflichen Status, weniger an den obszönen Einkommen gewisser Wirtschaftsmanager und Banker. Gehe auch in anderen Bereichen stets sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler um.

Neuntes Gebot:

Übe dich in einer allgemeinverständlichen Sprache und Ausdrucksweise und entwöhne dich von den Sprechblasen des Politik- und Medienbetriebes, damit deine Wähler dich verstehen. Verstecke dich nicht hinter bürokratische und technokratische Verschleierungen oder den Parolen der Wahlkampfberater. Sage klar und deutlich, was angesagt ist oder schweige, wenn du nichts Wesentliches mitzuteilen oder beizutragen hast; denn du musst dich nicht zu allem und jedem in den Medien äußern und allzuständige Kompetenz vortäuschen.

Zehntes Gebot:

Nimm dir neben deinem geschäftigen Politikerleben genügend Zeitausgleich für private, kulturelle und innovative Betätigungen, denn das verschafft dir geistige und seelische Bereicherung, neue Ideen und Kontaktmöglichkeiten mit den einfachen Bürgerinnen und Bürgern, die klüger sind, als du vielleicht denkst. Und lass in Ideenwerkstätten mit kreativen Menschen neues Gedankengut an dich heran, damit andersartige Problemlösungsansätze in den Politikbetrieb Einzug halten können.

Wilhelm Neurohr, 5. Januar 2024

(Erstveröffentlichung am 9. September 2013)

Siehe auch weitere Veröffentlichungen des Autors zum Demokratie-Thema:

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/haben-die-siegreichen-parteien-in-nrw-den-weckruf-immer-noch-nicht-gehoert_a1735702

https://www.lokalkompass.de/c-politik/trumpisten-und-populisten-in-den-etablierten-deutschen-parteien_a1465828

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/thueringen-ist-ueberall-scheinheiligkeit-nach-einer-ganzen-serie-politischer-tabubrueche_a1300596

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/die-wahlniederlage-der-seitenwechsler-kein-verhaltenskodex-fuer-spitzenpolitiker_a1238505

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/der-buergerrat-als-ein-beitrag-zur-verbesserung-des-gesellschaftlichen-zusammenhalts-in-der-stadt_a1805794

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/prominente-unterstuetzung-fuer-halterner-buergerrats-initiative_a1575131

https://www.lokalkompass.de/bochum/c-politik/politiker-und-beamte-der-eu-genehmigen-sich-automatische-anpassung-ihrer-hohen-einkommen-an-steigende-inflationsrate_a1791430

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/warum-verweigert-deutschland-wirksame-massnahmen-gegen-korruption_a1847620

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/internationaler-anti-korruptionstag-zivilgesellschaft-in-gemeinden-regionen-und-laendern-gefordert_a1664755

https://www.lokalkompass.de/c-politik/keine-fortschritte-beim-kampf-gegen-korruption-in-deutschland_a1494432

https://www.lokalkompass.de/c-politik/allensbach-umfrage-mehrheit-will-einen-regierungs-und-politikwechsel_a1619008

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/ohne-nebenjobs-und-erspartes-kommen-30-bis-50-der-deutschen-nicht-mehr-ueber-die-runden_a1800037

https://www.lokalkompass.de/c-politik/armut-in-deutschland-auf-hoechststand-keine-reaktion-der-politisch-verantwortlichen_a1670377

https://www.lokalkompass.de/bochum/c-politik/was-wir-in-den-weihnachts-und-neujahrsansprachen-des-bundespraesidenten-und-bundeskanzlers-vermisst-haben_a1920154

https://www.lokalkompass.de/recklinghausen/c-politik/ihr-da-oben-wir-da-unten-offener-brief-einer-buergergeld-bezieherin-an-friedrich-merz-und-christian-lindner_a1914560

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/manipulationsvorwurf-verschafft-sich-eine-partei-vorteile-mit-dem-neuen-wahlkreiszuschnitt_a1717432

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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