Stadt zahlt eigene Pflichtaufgaben nicht
Tierschutz Essen prangert drastische Unterfinanzierung des Tierheims an

Enttäuscht, verärgert, sauer, entschlossen: Ratsfrau Dr. van Heesch-Orgass (Ratsgruppe Tierschutz) vor dem Tierheim Essen nach Erörterung der aktuellen Finanzlage und der Unbeweglichkeit der Stadtverwaltung.
  • Enttäuscht, verärgert, sauer, entschlossen: Ratsfrau Dr. van Heesch-Orgass (Ratsgruppe Tierschutz) vor dem Tierheim Essen nach Erörterung der aktuellen Finanzlage und der Unbeweglichkeit der Stadtverwaltung.
  • hochgeladen von Elisabeth Maria van Heesch-Orgass Tierschutz Essen

Mit einem spektakulären Ratsantrag will die Ratsgruppe Tierschutz am kommenden Mittwoch im Rat in den Haushaltsberatungen ein Zeichen setzen und für juristische Gerechtigkeit zugunsten des Tierheims sorgen. "Wir beantragen, dass die Stadt Essen die vollen Kosten erstattet, die dem Tierheim durch die vertragliche Übernahme städtischer hoheitlicher Pflichtaufgaben entstehen," erklärt Ratsfrau Elisabeth Maria van Heesch-Orgass von der Ratsgruppe Tierschutz Essen. Klingt selbstverständlich und einfach, ist es aber nicht. Von 1,2 Millionen Kosten erstattet die Stadt nur 550.000 €, weniger als die Hälfte. Auf dem Rest der Kosten von rund 650.000 € bleibt der Tierschutzverein sitzen, muss diese mühsam durch Spenden u.ä. ersetzen.

Tierschutzvereinsvorsitzende im Ordnungsausschuss
"Schön, dass wir darüber geredet haben."  So ironisch Ratsfrau van Heesch-Orgass jetzt kurz vor den Haushaltsberatungen im Nachklang der Sitzung des OPOG (Ausschuss für Ordnung, Personal, Organisation, Geschlechtergerechtigkeit der Stadt Essen) im August 2022, zu der die Vorsitzende des Tierschutzvereins Groß-Essen e.V. Elke Esser-Weckmann geladen war. Thema war die finanzielle Situation des Tierheims, das in Trägerschaft des Tierschutzvereins betrieben wird. Dabei wurde auch nochmals verdeutlicht, dass die Stadt Essen statt der tatsächlich dem Tierheim entstehenden Kosten für die Übernahme städtischer hoheitlicher Pflichtaufgaben rund um Fundtiere und andere tierbezogene Aufgaben nicht einmal die Hälfte jährlich zahlt. Zahlt im Sinne von erstattet. Denn es sind städtische Kosten, die dem Tierheim entstehen.
Eine Situation, die sich seit Jahren hinzieht, immer wieder thematisiert und in Anträgen in den Rat gebracht seitens der Ratsgruppe Tierschutz Essen. Der zuständige Beigeordnete Christian Kromberg sagte im OPOG dann auch einen Termin mit der Vereinsvorsitzenden Esser-Weckmann zu, um über die Finanzsituation und den notwendigen neuen Vertrag zu sprechen. Dann passierte wiederum monatelang nichts.

Verschleppt Stadt Essen notwendige Vertragsverhandlungen?
Der Eindruck der Tierschützer war und ist leider, dass die zuständigen Mitarbeiter im Rathaus das Thema Vertragskonditionen mit dem Tierheim ohne den angemessenen und notwendigen Einsatz verfolgen. "Erst jetzt, kurz vor der Ratssitzung mit der Beschlussfassung zum Haushalt für 2023, gibt es wieder Kontakte städtischer Vertreter mit dem Tierschutzverein," bemängelt die Ratsgruppe Tierschutz Essen. Jedoch weiterhin ohne jedwede Zusage einer Erhöhung der bisherigen städtischen Zahlung. Dafür der Hinweis auf weitere Verhandlungen in 2023 für die Jahre 2024 folgende. "Damit ist hier und jetzt dem Tierheim nicht geholfen. Angesichts der drastischen Unterzahlung der Stadt müssten theoretisch Fundtiere bereits ab dem späten Frühjahr vom Tierschutzverein schlicht statt ins Tierheim ins Rathaus gebracht werden aufgrund Verbrauchs der städtischen Unterzahlung zu diesem Zeitpunkt,"  beschreibt Ratsfrau Simone Trauten-Malek das Drama in seiner schlimmsten Konsequenz. Die Rathausflure voller Tiertransporter, Körbe und Kartons mit bellenden und miauenden Tieren?

Von 1,2 Millionen Kosten erstattet Stadt nur 550.000 Euro
Seit Jahren zahlt die Stadt jährlich 550.000 Euro an das Tierheim  Der tatsächliche jährliche Kostenanteil der Stadt Essen an seitens des Tierheims in Trägerschaft des Tierschutzvereins Groß-Essen e.V. erbrachter Leistungen für die Stadt (Übernahme von Pflichtaufgaben der Stadt) beläuft sich jedoch aktuell auf rund 1.208.000,-€.  Es ergibt sich somit eine Unterzahlung der Stadt für tatsächlich erbrachte Leistungen des Tierheims in Höhe von derzeit jährlich 658.000,-€. Von einem ausgewogenen Vertragsverhältnis kann hier nicht gesprochen werden. Leistung und Gegenleistung stehen nicht einmal annähernd in ausgeglichenem Verhältnis zueinander.

Juristische Selbstverständlichkeit: Volle Kostenerstattung
Der Deutsche Tierschutzbund geht entlang der Rechtslage als selbstverständlicher Grundsatz davon aus, dass die Tierschutzvereine, die in ihren Tierheimen Pflichtaufgaben der Städte und Gemeinden für diese erledigen, für diese Leistungen in vollem Umfang von den Städten und Gemeinden bezahlt werden. Dies entspricht einer regulären rechtlichen Würdigung von vertraglichen Leistungen, die in einem angemessenen Verhältnis Leistung zu Bezahlung stehen müssen.

In Nachbarstädten läuft es besser
Eine Vielzahl von Tierschutzvereinen – und dazu gehört auch der Tierschutzverein Groß-Essen e.V. als Träger des Albert-Schweitzer-Tierheims Essen – müssen die Fundtieraufnahme und Fundtierbetreuung jedoch mit städtischen Beiträgen leisten, die von einer Kostendeckung deutlich entfernt sind. „Müssen“ im Sinne der Tiere, des Tierschutzes und auch der Stadtgesellschaft.
Die alternative Finanzierung fehlender öffentlicher Mittel durch Beitrags- und Spendeneinnahmen der Tierschutzvereine wird jedoch immer schwieriger, da immer mehr Einrichtungen sich durch Spendengelder finanzieren müssen.
Vor diesem Hintergrund gab der Deutsche Tierschutzbund aufgrund einer bundesweiten Datenerhebung in Tierschutzvereinen und Tierheimen in früheren Jahren die Empfehlung an die Städte und Gemeinden, eine Pauschalerstattung von Betriebsmitteln durch einen jährlichen Betriebsmittelzuschuss in Höhe von mindestens 1 Euro pro Einwohner der Gebietskörperschaft anzustreben, um so die Tierschutzarbeit zumindest zu stützen. Für die Stadt Essen entspräche dies nach der alten Faustformel einem jährlichen Betriebsmittelzuschuss von rund 600.000,-€. Bereits dieser wird unterschritten.
Allerdings gilt die 1 Euro-Faustformel aufgrund von Inflation, Energiekosten, Coronazusatzkosten u.a. inzwischen als überholt. Andere Städte wie z.B. die benachbarte Stadt Gelsenkirchen zahlen inzwischen nach der neuen Faustformel 2 Euro und z.T. sogar mehr pro Einwohner. Für Essen würde die 2 Euro-Faustformel eine Zahlung von jährlich 1,2 Millionen seitens der Stadt an das Tierheim bedeuten. Eine Zahl, die den tatsächlichen veranschlagten Kosten inzwischen nahe kommt.

Vertragshistorie: Übernahme städtischer Pflichtaufgaben durch den Tierschutzverein
Der Vertrag zwischen dem Tierschutzverein Groß-Essen e.V. (gegründet 1874) als Träger des Essener Tierheims und der Stadt Essen sieht derzeit noch einen Betriebsmittelzuschuss im Umfang von ca. 550.000 Euro incl. Umsatzsteuer vor.
Bereits ab 1954 übernahm der Tierschutzverein vom Fundamt der Stadt Essen die Akte „Fundsache herrenlose Hunde“ sowie die Hundeboxen und einige Diensträume auf dem Fuhrparkgelände an der Grillostraße, die fortan als zunächst provisorisches Tierheim dienten. 1956 konnte der Tier-schutzverein dieses Gelände von der Stadt anpachten, und errichtete spendenfinanziert und durch persönlichen Einsatz ein erstes tierschutzgerechtes Tierheim für ca. 70 Hunde und ca. 40 Katzen, dem 1984 ebenfalls ohne jedwede städtische Finanzhilfe ein neues Tierheim folgte. Die Stadt Essen leistete nach langer politischer Ignorierung lediglich eine Hilfestellung durch Übernahme einer Bürgschaft gegenüber der Sparkasse Essen. Die Tilgung des das Tierheim finanzierenden Darle-hens erfolgte ausschließlich durch den Tierschutzverein Groß-Essen e.V.. Die Stadt Essen schloss seinerzeit einen Vertrag mit dem Tierschutzverein Groß-Essen e.V. über die Leistungen, die der Tierschutzverein zukünftig für die Stadt Essen übernehmen sollte. In diesem Vertrag wurde nicht nur die Aufnahme und Versorgung von Fundtieren für die Stadt Essen geregelt, sondern es wurden dem Tierschutzverein Groß-Essen e.V. als Betreiber des Tierheims weitere Aufgaben übertragen, wie z.B. der Betrieb einer Kleintierkörpersammelstelle – Kadaverstation – und das Vorhalten von Quarantänemöglichkeiten für den Seuchenfall. Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit abge-schlossen und in den folgenden Jahren mehrfach angepasst. Zuletzt wurde der städtische Betriebs-mittelzuschuss von 200.000,-€ auf 550.000,-€ erhöht. Dieser Vertrag, der eigentlich nach Ablauf von 2020 den aktuellen Bedarfen angepasst werden sollte, läuft aktuell unverändert weiter und deckt bei weitem nicht die tatsächlichen Kosten.

Inflation, abgeschobene "Corona"tiere, Energiekosten....
Die kontinuierlich große Zahl von Fundtieren und sichergestellten Tieren in einer Großstadt wie Essen mit einer zusätzlich auch noch deutlichen Steigerung in der Coronaphase (ausgesetzte oder im Tierheim abgegebene Tiere, die Haushalte leichtfertig in der Coronaphase zur Unterhaltung aufgenommen hatten) hat dazu geführt, dass zur Aufnahme, Versorgung und Vermittlung von Tieren mittlerweile im Wesentlichen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch den Tierschutzverein Groß-Essen e.V. beschäftigt werden müssen, die darüber hinaus von zahlreichen ehrenamtlich Tätigen unterstützt werden. Derzeit sind im Albert-Schweitzer-Tierheim 38 hauptamtliche Mitarbeiter/innen (Vollzeit-Äquivalente), darunter acht Auszubildende beschäftigt. Die immer stärkere Ausdünnung des Personalbestandes im Ordnungsamt und Veterinäramt der Stadt Essen erfordert darüber hinaus ein immer stärkeres Engagement der im Tierheim beschäftigten Mitarbeiter/innen des Tierschutzvereins Groß-Essen bei eigentlich städtischen Aufgaben (z.B. Beteiligung bei Wohnungsöffnungen, Übernahme von Tieren, die nicht zum Vertragsumfang des Tierheim-Vertrages gehören usw.). Des Weiteren sind rund 200 (zweihundert) ehrenamtliche BürgerInnen für den Tierschutzverein und das Tierheim in den unterschiedlichsten Bereichen aktuell aktiv und regelmäßig im Einsatz (Pflegestellen, Betreuung uva.). Weitere rd. 200 (zweihundert) BürgerInnen sind registriert als EhrenamtlerInnen auf Abruf und bei Bedarf.

Geprüfte Bilanz des Tierschutzvereins
Auf Basis der geprüften Bilanz des Tierschutzvereins Groß-Essen e.V. für das Jahr 2021 ergab sich ein Aufgabenvolumen allein in 2021 von ca. 1,94 Millionen Euro für den Betrieb des Albert-Schweitzer-Tierheims. Bei Zugrundelegung des auf die Stadt Essen entfallenden Anteils an Tieren von 62,3% an allen Belegungstagen eines Jahres ergibt sich ein Betrag von rund 1.208.000,-Euro, der auf die Stadt Essen jährlich entfällt. Der rechtlich und tatsächlich entsteht. Dies entspricht ungefähr dem Haushaltsansatz, den z.B. die Stadt Dortmund für den Betrieb ihres in städtischer Regie betriebenen Tierheims in den städtischen Haushalt einstellt.

Bezogen auf ein Jahr stellen sich die Zahlen somit so dar:

Tatsächlicher Kostenanteil Stadt Essen für erbrachte Leistungen des Tierheims in Form der Übernahme von Pflichtaufgaben der Stadt: 1.208.000,-€
Aktueller tatsächlicher Betriebsmittelzuschuss Stadt Essen: 550.000,-€
Unterzahlung der Stadt für erbrachte Leistungen des Tierheims in Form der Übernahme von von Pflichtaufgaben der Stadt: 658.000,-€

Pflichtaufgaben der Stadt - vertraglich übernommen durch den Tierschutzverein
Bei einem städtischen Betriebsmittelzuschuss von nur rund 550.000 Euro (Stand 2022) erbringt der Tierschutzverein Groß-Essen e.V. mit dem Tierheim derzeit folgende Leistungen:

Fundtieraufnahme und -versorgung (Heimtiere)
• Fundtieraufnahme
• Fundtierabgabe während der Öffnungszeiten
• Abholung festgesetzter Fundtiere in der Zeit von 8-17 Uhr auf Essener Stadtgebiet
• Bereitstellung von Aufnahmezwingern und -boxen für Fundtiere außerhalb der Öffnungs-zeiten (Einlieferung durch Feuerwehr)
• Führen von Bestandslisten / Tierdatenabgleich
• Aufnahme von Verlustmeldungen
• Aufnahme von Sichtmeldungen
• Recherche zur Ermittlung von Tierbesitzern zum Zweck der Rückführung von Fundtieren
• Medizinische Versorgung der Tiere (Bereitstellung tierärztlicher Leistung)
• Pflege und Betreuung der Tiere (Tierpflege)
• Tiervermittlung in ein neues Zuhause

Tollwutquarantäne für Hunde
• Vorhalten von Quarantänezwingern/-boxen für Hunde
• Aufnahme von aus dem EU-Ausland oder Drittländern eingeführten Hunden ohne Impfstatus (nach Anweisung des Veterinäramtes)
• Versorgung und Betreuung der „Quarantänehunde“
• Rückgabe der Hunde nach abgeschlossener Quarantäne und Freigabe durch das Veteri-näramt an Besitzer
• Übernahme und Betreuung von nicht von ihren Besitzern abgeholten „Quarantänehunden“ nach abgeschlossener Quarantäne und Freigabe durch das Veterinäramt

Sicherstellung und Versorgung sichergestellter Tiere
• Sicherstellung von Tieren aus schlechter Haltung (aus Wohnungen, Stallungen, Zwingeran-lagen, Kellern, etc.)
• Sicherstellungen bei Tierhaltung in großen Mengen aufgrund von Sammelleidenschaft (Animal Hording)
• Sicherstellung von Tieren bei fehlender Tierhaltegenehmigung des Besitzers

Notobhuten (nach Zuweisung durch das Ordnungsamt / Veterinäramt)
• Aufnahme von in geräumten Wohnungen zurückgelassenen Tieren
• Aufnahme von Tieren z.B. bei Inhaftierung ihrer Besitzer

Betrieb der Kleintierkörpersammelstelle
• Annahme von im Straßenverkehr getöteter Tiere nach Anlieferung durch das Tiefbauamt
• Abgleich mit Verlustmeldungen
• Prüfung der Kadaver auf Registrierungskennzeichen (Mikrochip, Tätowierung) und Ermittlung von Besitzern mit dem Ziel der Information
• Annahme toter Tiere aus Tierarztpraxen und Privathaushalten
• Sicherstellung der Entsorgung durch zertifizierte Firmen

Ratsantrag zum Haushalt: Stadt muss volle Kosten der Pflichtaufgaben erstatten
"Die Erhöhung wie von der Ratsgruppe Tierschutz beantragt ist daher dringend geboten und entspricht einer tatsächlichen angemessenen Kostenübernahme für tatsächlich erbrachte Leistungen," resümiert Ratsfrau van Heesch-Orgass, Sprecherin der Ratsgruppe Tierschutz Essen.

Autor:

Elisabeth Maria van Heesch-Orgass Tierschutz Essen aus Essen

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