Schwerhörige Menschen zu Corona-Zeiten
Kommunikationsnot hinter der Maske
Die Verbreitung des Corona-Virus sollte durch verschiedene Maßnahmen eingedämmt werden. Einige davon treffen Menschen mit Hörbehinderung besonders hart.Der Süd Anzeiger hat bei Ingrid Dömkes, der Vorsitzenden des Essener Ortsverbandes des Deutschen Schwerhörigenbundes e. V. (DSB), nachgefragt. Das Interview führte Stefanie Alteheld, durch eigene Berufserfahrung im Umfeld schwerhöriger und tauber Personen mit deren Bedürfnissen vertraut.
Der Deutsche Schwerhörigenbund vertritt die Interessen eines breiten Spektrums hörbehinderter Menschen. Dazu zählen taube Personen, die in Gebärdensprache kommunizieren, ebenso wie jene, die – früh schwerhörig geworden - zu einer guten Lautsprache gefördert wurden, außerdem auch Spätertaubte, die mit einem Cochlea Implantat (CI) versorgt worden sind, erzählt Dömkes. Ein CI ist ein künstliches Innenohr, bei dem über einen Magneten am Hinterkopf akustische Eindrücke vermittelt werden. Ebenso vielfältig wie die Hörbehinderungen sind auch die bevorzugten Kommunikationsformen. Während taube Ratsuchende sich eher in Deutscher Gebärdensprache verständigen, einer natürlich gewachsenen Sprache mit eigener Grammatik, nutzen andere Lautsprachbegleitende Gebärden, die den Strukturen der deutschen Sprache folgen. Bei Veranstaltungen kämen Gebärdensprach-Dolmetscherinnen zum Einsatz, außerdem Schrift-Mittlerinnen, die das gesprochene Wort in Echtzeit in Textform bringen. Über PC-Softwäre lässt sich ebenfalls Sprache in Text umwandeln: Das funktioniert auch z. B. über Skype, wie Dömkes ausführt.
„Unter der Maske ist die Mimik wie eingefroren“
Die Maskenpflicht trifft hörbehinderte Menschen besonders hart, berichtet Dömkes aus eigener Erfahrung und der anderer Betroffener: „Wir haben die CI´s oder Hörgeräte hinterm Ohr, wir haben eine Brille, und dann fummeln wir noch das Ding da runter, dann fallen unsere Sachen vom Ohr.“ Bei einem anderen negativen Aspekt konnte der DSB zusammen mit der Deutschen CI-Gesellschaft erwirken, dass für kommunikationseingeschränkte Menschen eine Ausnahmeregelung in die Corona-Schutzverordnung aufgenommen wurde: Das Gegenüber darf die Maske abnehmen. Eine wichtige Erleichterung, denn, so Dömkes: „Die Mimik ist eingefroren, wenn Sie so ein Ding tragen. Wir sind doch mehr auf Mundabsehen und Mimik angewiesen als uns selber bewusst ist. Noch nie mussten wir so oft nachfragen wie jetzt.“ Alternativen wie ein Visier oder eine Maske mit eingesetzten Folienfenstern erwiesen sich als begrenzt tauglich; die Wölbung des Visiers kann das Mundbild hinter dem Visier verzerren, Atemluft das Sichtfenster beschlagen. Zudem müsste das jeweilige Gegenüber diese Art von Ausrüstung tragen. Auch die Technik mache mitunter zu schaffen: Bei Video-Konferenzen könne das Bild einfrieren oder das Mundbild verzögert nachgeliefert werden; so seien die Besprechungen sehr anstrengend für hörbeeinträchtigte Menschen.
„Wir müssen mehr nachfragen als sonst“
Hörbehinderung gilt als unsichtbare Behinderung, weil sie nicht zwangsläufig auf den ersten Blick erkennbar ist. Dömkes CI beispielsweise ist unter ihren Haaren verborgen. Sie habe aber schon überlegt, die Spule über den Haaren zu tragen oder mit Swarovski-Glitzersteinen auszustatten. Kleinere Kinder würden ihre Hörgeräte gern mit Schmetterlingen oder Raketen schmücken, um so auch auf die Behinderung aufmerksam zu machen und beim Gegenüber mehr Rücksichtnahme zu erreichen. Für erfolgreiche Kommunikation ist Blickkontakt bzw. ein zugewandtes Gesicht unbedingt erforderlich. Spreche z. B. jemand in eine andere Richtung, verstehe Dömkes nicht. Sie ist dann kommunikativ abgehängt. In seinen Workshops arbeitet der DSB deshalb auch gezielt daran, das Selbstbewusstsein schwerhöriger Menschen zu fördern, damit diese sich überhaupt trauen, bei Missverständnissen nachzufragen.
„Wir sind barrierefrei: Hurra, eine Rampe wurde eingebaut“
Beim Stichwort Behinderung würde man allgemein als erstes an körperbehinderte Menschen im Rollstuhl denken. Dabei hätte Barrierefreiheit für schwerhörige Personen eine ganz andere Dimension. Dömkes lobt die Zusammenarbeit des verbandseigenen Fachreferates Barrierefreiheit mit der Landesregierung: In regelmäßigen Treffen werde Planen und Bauen mit Zielrichtung sensorische Barrierefreiheit umgesetzt. So konnte z. B. erreicht werden, dass Theater direkt beim Bau mit Induktionsschleifen ausgestattet werden. In Räumen mit solchen Hörschleifen wird der Ton direkt an entsprechend ausgerüstete Hörgeräte geleitet; lästige Störgeräusche aus der Umgebung werden so ausgeblendet. Museen konnten mit Hilfe von Audio-Guides zugänglicher gemacht werden. In der Anwendung hapere es dann teilweise noch, wenn das Personal diese Ausrüstung nicht auffinden könne oder die Batterien nicht aufgeladen worden seien. Der Essener Ortsverein verleihe das Essener Signet an Geschäfte und Arztpraxen, die barrierefrei im Sinne einer Hörschädigung sind; dort sei dann auch das Personal geschult und wisse mit der vorhandenen technischen Ausrüstung umzugehen.
Dömkes erzählt von der Informationspolitik an ihrem Ferienort an der Nordsee, wo die Polizei mit Megafon-Durchsagen zu Corona durch die Straßen gefahren sei. Da könne sie dann zwar Worte hören, aber nicht deren Inhalt verstehen. Die extreme Lautstärke verzerre das Gesagte, außerdem fehle der Blickkontakt zur sprechenden Person. Auch hier würden schwerhörige Menschen nicht mitgedacht.
„Unsere Bedürfnisse werden zu wenig gehört”
Welche Wünsche richtet Dömkes auch mit Blick auf anstehende Wahlen an die Politik? “Die Hörbehinderung lässt sich nicht so leicht ausgleichen wie eine Sehbehinderung. In öffentlichen Gebäuden, vielleicht auch in Geschäften sollten Induktionsschleifen verlegt werden. Im öffentlichen Verkehr sollte vieles zusätzlich visuell angekündigt werden (sog. 2-Sinne-Prinzip). Als Schwerhöriger oder Gehörloser kriegt man in Aufzügen ja Panik; man weiss dann gar nicht, ob derjenige geantwortet hat, wenn ich den Alarmknopf drücke. Beim Bauen sollte Barrierefreiheit im Sinne der Hörbehinderung von Anfang an mitgedacht werden. Die Politik sollte sich dafür mit uns in Verbindung setzen, denn die können nicht unbedingt wissen, was wir brauchen”, verlangt Dömkes die Einbindung betroffener Menschen von Anfang an. Technische Nachbesserung zu einem späteren Zeitpunkt sei übrigens auch immer teurer.
Abschließend formuliert Dömkes Wünsche an ihre hörende Mitwelt. Hörbehinderte Menschen seien weder dumm noch eingebildet; mit solchen Einschätzungen habe sie früher oft zu kämpfen gehabt. Es gebe unterschiedliche Ausprägungen der Schwerhörigkeit. Auch bei mehrmaligem Nachfragen solle man Geduld aufbringen – einfach ein bisschen Sensibilität entwickeln!
Von Skandinavien lernen
Fazit: In Sachen Inklusion und Barrierefreiheit bleibt in Deutschland noch viel zu tun – da ließe sich einiges von Skandinavien lernen, von den Niederlanden, den USA, Kanada oder dem Vereinigten Königreich. Um eine Verpflichtung privater Anbieter wie Gastronomie, Geschäfte, Kulturstätten kommt man dabei nicht herum, sonst bleibt der barrierefreie Aufenthalt behinderter Personen auf öffentliche Einrichtungen beschränkt. Menschenrechte gelten für alle – auch für Menschen mit (Hör-)Behinderung.
Autor:Stefanie Alteheld aus Sundern (Sauerland) |
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