REGIONALPLAN RUHRGEBIET – 2. Öffentliche Auslegung
Klima- und Artenschutz im Ruhrgebiet ohne dazu erforderlichen Flächenschutz?
RUHRGEBIET /ESSEN. Schon lange vor der Klimakonferenz in Glasgow war bekannt: Ohne nachhaltigen Flächenschutz gelingt kein Klima- und Artenschutz; erst recht nicht in den Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet. Die globale und nationale Zielvorgabe, den dramatischen Landschaftsverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke endlich zu bremsen und bis 2030 (mit 10 Jahren Verspätung) zu halbieren, wird jedoch von der Regional- und Landesplanung in NRW ignoriert. Dabei wurde der Regionalverband Ruhr (RVR) als Regionalplanungsbehörde einst als Kommunalverband gegründet, um die gefährdeten Grünzüge und Freiflächen im Ruhrgebiet vor weiterer Zersiedelung zu bewahren.
Nun plant der RVR auf Druck der uneinsichtigen Kommunalpolitiker in seinem neuen Regionalplan Ruhrgebiet das genaue Gegenteil und verfehlt damit die Nachhaltigkeitsziele: Mit der Ausweisung von über 9.000 ha weiteren Gewerbe- und Wohnbauflächen werden alle Nachhaltigkeitsziele zur Reduzierung des klimaschädlichen Flächenverbrauchs verfehlt. Bei der jetzt anstehenden 2. öffentlichen Auslegung des Regionalplanes haben umweltbewusste Bürgerinnen und Bürger sowie Umweltverbände erneut Gelegenheit, gegen die planerische Absicherung des weiteren Flächenfraßes zu votieren.
(Siehe: https://www.rvr.ruhr/themen/regionalplanung-regionalentwicklung/regionalplan-ruhr/ )
Der Landschaftsverbrauch für Siedlungszwecke ist dramatisch, obwohl es flächensparende Alternativen bevorzugt im Innenbereich der Städte gäbe. Während der letzten 60 Jahre hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland mehr als verdoppelt; davon sind 50% vollständig versiegelt. Jeden Tag werden zwischen 60 ha und 120 ha Freiflächen, insbesondere wertvolle landwirtschaftliche Böden zugebaut, von denen 1 Mio. ha verschwunden sind, umgerechnet 8 qm pro Sekunde. Dadurch sind 35% der Tierarten und 26% der Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. In Nordrhein-Westfalen, dem Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Deutschland, überdeckt die Siedlungs- und Verkehrsfläche mehr als ein Fünftel (23,6%) der gesamten Landesfläche.
NRW ist Spitzenreiter beim Freiflächenverbrauch
Jeden Tag werden in NRW ca. 10 -15 Hektar Boden (das sind bis zu 150.000 qm) in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt), davon 25% allein im Regierungsbezirk Münster mit dem nördlichen Ruhrgebiet. Hier liegt der Siedlungsflächenverbrauch mit 14 qm pro Tag je 1000 Einwohner fast doppelt so hoch wie in NRW mit 8 qm pro Tag je 1000 EW. Das seinerzeit angestrebte Reduktionsziel der Landesregierung NRW von 5 ha für 2020 ist damit völlig verfehlt worden, ganz zu schweigen von einem ehrgeizigen Ziel der Halbierung nunmehr bis 2030 und einem anzustrebenden Netto-Null-Verbrauch bis 2050 durch Flächenkreislaufwirtschaft.
Täglich werden so immer noch Freiflächen in einer Größenordnung von 14 Fußballfeldern für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen, zuvorderst durch die Gemeinden! Die Ausbreitung der Siedlungsgebiete zerstört die Lebensräume von Tieren und Pflanzen in bedenklichem Ausmaß. Angesichts dieser Entwicklungen kommt einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung – z. B. durch eine stärkere Ausrichtung auf Maßnahmen der Innenentwicklung – eine immer größere Bedeutung zu. Der Erhalt naturnaher Flächen und intakter Ökosysteme ist auch zur Pandemie-Vorbeugung unerlässlich, denn Mensch und Tier brauchen ihre eigenen Lebensräume.
Dramatische Flächenentwicklung im Ruhrgebiet
Seit 2009 ist die Vegetationsfläche im Ruhrgebiet (RVR-Gebiet) um rund 20.000 ha zurückgegangen während die Siedlungs- und Verkehrsfläche zugenommen hat. Insbesondere der Verlust an landwirtschaftlichen Flächen im Ruhrgebiet in einer Größenordnung von über 156 qkm (=15.630 ha) ist enorm; das waren allein zwischen 1994 und 2010 über 1.000 ha pro Jahr. In allen 53 Kommunen des Ruhrgebiets hat die Wohnbaufläche seit 2009 trotz Bevölkerungsrückgangs zugenommen. Zudem sind die Verkehrsflächen für den Straßenverkehr in 52 der 53 Kommunen der Metropole Ruhr am deutlichsten gewachsen.
In der Emscher-Lippe–Region (nördliches Ruhrgebiet) mit ihren fast 400 qkm Siedlungsflächen (= fast 40% der Gesamtfläche) stieg der Flächenverbrauch in den zurückliegenden Jahren um fast 4% auf über 4.400 qm pro Tag (bzw. 4 qm Pro Tag je 1000 Einwohner). Im dichten Siedlungsbrei des Ruhrgebietes gibt es besonders starken Nutzungsdruck auf das nicht vermehrbare Gut Fläche. Trotzdem weist der neue Regionalplan Ruhr des SVR insgesamt über 9.000 ha neue Gewerbe- und Wohnbauflächen (überwiegend im Freiraum) aus
RVR-Planungschef gefeuert wegen restriktiver Flächenpolitik
Zuvor hatte es im Jahr 2019 heftige politische Auseinandersetzungen im Regionalparlament Ruhr gegeben, wo altes und neues Denken aufeinander prallten. Denn gegen diese nachhaltigen Flächensparziele liefen die Kommunalpolitiker im Regionalparlament sowie in ihren jeweiligen Städten Sturm, allen voran der Vorsitzende der Verbandsversammlung aus Haltern. Ihnen ging die restriktive Ausweisung neuer Siedlungsflächen zur Schonung der Landschaft gegen den Strich und sie forderten erheblich umfangreichere Flächenpotenziale für Siedlungszwecke, wie aus den vorherigen Wachstumsjahren der Flächenexpansion gewohnt. Dabei hatte der RVR als Regionalplanungsbehörde schon weitgehend dem kommunalpolitischen Druck auf deutlich erhöhte Siedlungsflächenausweisungen im Verfahrensverlauf bereits nachgegeben. Doch den meisten Städten im Ruhrgebiet reichte das bei weitem immer noch nicht.
Den Unmut bekam der (grüne) RVR-Chefplaner zu spüren, indem er wegen seiner „zu grünen“ und diskursiven Planungs-Orientierung von seinem Amt abgewählt wurde, obwohl die Experten der renommierten Akademie für Raumforschung und Landesplanung sein Planungsverfahren wegen des regionalen Diskurses lobten. Auch die RVR-Direktorin als Verbandschefin geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Beiden warf man „Management-Versagen“ vor, weil den Lokalpolitikern die Ausweisung immer neuer Bauflächen für ihre Stadtgebiete nicht schnell genug voranging. Daraufhin lenkte die Regionalplanungsbehörde ein und berief einen neuen Chefplaner, der den politischen Rufern nach mehr Siedlungsflächen genehmer war.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander
Im Gegensatz zu seiner nunmehr expansiven Flächenpolitik trifft der RVR in seinem Regionalplan wohlfeile fortschrittliche Aussagen, die jedoch die große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenbaren: Die Sicherung unverbauten und unversiegelten Raumes - als Voraussetzung für die Erhaltung und Regeneration der Lebensgrundlagen - sieht der Regionalverband Ruhr zwar erklärtermaßen als zentrale raumplanerische Aufgabe im dicht besiedelten Ruhrgebiet an. Er betont außerdem eine flächensparende und kompakte Entwicklung der Siedlungsbereiche, den Vorrang der baulichen Innenbereiche statt Fehlentwicklungen in den Außenbereichen, die Begrenzung der Inanspruchnahme von Freiraum auf ein Mindestmaß sowie die Vermeidung von Verkehr.
Die Revierplaner des RVR proklamieren ferner einen verantwortungsbewussten Umgang mit dem Freiraum, sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden sowie eine Begrenzung der Bodenversiegelung sowie eine Flächen-, Verkehrs-, Energie- und Kosten sparende Siedlungsstruktur. Doch der Regionalplan widerspricht mit seinen erweiterten Flächenausweisungen in Wirklichkeit der behaupteten Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele von EU und Bund zur Reduzierung der täglichen Flächenneuinanspruchnahme entsprechend der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie auf (bundesweit) unter 30 ha täglich.
Landesentwicklungsplan NRW fördert den weiteren Landschaftsverbrauch
Rückendeckung bekamen die Regionalplaner dabei auch von der Landesregierung in NRW, die durch ihren zuständigen Wirtschaftminister der FDP parallel den neuen Landesentwicklungsplan aufstellte und mit „marktkonformen“ Planungsvorgaben die Interessen der Landtagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet sowie der Bau- und Maklerlobby bediente, gegen den schwachen, halbherzigen Widerstand des CDU-geführten Umweltministeriums.
Nunmehr gilt landesweit für NRW die faktische Aufhebung der bisherigen Begrenzung des Freiflächenverbrauchs auf max. 5 ha pro Tag – tatsächlich wurde bisher sogar bis zum sechsfachen an Fläche, nämlich bis 30 ha täglich bebaut – zugunsten "marktwirtschaftlicher Lösungen". (Die Landesplanung war zuvor mit dem Regierungswechsel dem Ressort des FDP-geführten Wirtschaftsministeriums zugeordnet worden trotz der damit absehbaren Interessenkollisionen). Damit ist quasi die Landschaft wieder für die ungebremste Zersiedelung im Interesse der Bauwirtschaft freigegeben, entgegen den übergeordneten nationalen und europaweiten Nachhaltigkeitszielen und den verbindlichen Vorgaben des Bundesraumordnungsgesetzes. Dabei benötigte das dramatische Aussterben der Tier- und Pflanzenarten sowie der Klimawandel des stärkeren Schutzes der Landschaftsräume.
Überholte Denkweisen führen zum ökologischen Rückschritt
Der tatsächliche Verzicht des LEP auf die bisherige Begrenzung des ausufernden Freiflächenverbrauchs und der Flächenversiegelung für Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbezwecke bedeutet einen inakzeptablen Rückschritt und einen Paradigmenwechsel im jahrzehntelangen Konsens einer ökologisch nachhaltig orientierten Siedlungs-und Umweltpolitik sowie Raumentwicklung. Dazu bemerkte das Umweltministerium NRW, das sich damit aber nicht durchsetzen konnte: "Flächenverbrauch ist mit dem unumkehrbaren Verlust von Landschaftsräumen verbunden. Er beeinträchtigt landwirtschaftliche Produktionsmöglichkeiten, wirkt sich nachteilig auf Biotop-, Landschafts- und Naturschutz aus, verringert Erholungs-, Ruhe- und Frischluftbereiche und trägt durch ausufernde Siedlungsstrukturen zum nachteiligen Klimawandel bei."
Kritik übt vor allem der NABU insbesondere an der zugrunde liegenden Bedarfsberechnung für Wohnen, die die Fehlentwicklungen bei der Flächeninanspruchnahme fortführt und sogar verstärkt. „Die vorgelegten Planungen schaffen auf dem angespannten Wohnungsmarkt keine Abhilfe, weisen sie doch wieder genau das aus, was in den Städten und Ballungsgebieten, aber auch vielfach in den Kreisen gar nicht gebraucht wird – Einfamilienhaus-Siedlungen auf dem Land statt Mehrfamilienhäuser und Geschosswohnungsbau in der Stadt!“ Dem zukünftigen, unbestreitbaren und überwiegenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum werde die Planung damit in keiner Weise gerecht. Zudem ignoriere sie die aktuellen Erfordernisse und tatsächlichen Entwicklungen systematisch.
Klage der Umweltverbände gegen die gesetzeswidrige Landesplanung
Mit dem geänderten und gelockerten Landesentwicklungsplan zugunsten erleichterter Bauflächenentwicklung im landschaftlichen Außenbereich gibt die Raumordnung in NRW ihre gesetzlich zugewiesene übergeordnete und überörtliche Funktion als Mittlerin zwischen gemeindlicher Bauleitplanung und privaten Investoren preis und verstößt damit massiv gegen das Bundesraumordnungsgesetz. Die komplette Streichung des bisherigen Leitbildes für flächensparende Siedlungswicklung in NRW lässt katastrophale Folgen für die räumliche Landesentwicklung befürchten. Fläche ist endlich und nicht vermehrbar und die Ressource Boden wird immer knapper.
Deshalb kritisiert der NABU in NRW: „Der Flächenverbrauch in NRW geht ungehindert weiter. Die Regionalplanung ist in NRW von zukunftsfähiger, ökologischer Raumentwicklung weit entfernt. Umweltbelange wie Klimaschutz/Klimaanpassung und der Schutz der Biodiversität werden für neue Siedlungsflächen weiterhin zur Seite geschoben“. Die Grünen in NRW hatten vor einem „ungezügelten Flächenfraß“ gewarnt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat deshalb beim Oberverwaltungsgericht Münster gegen den Landesentwicklungsplan Klage eingereicht.
Konzept zur Eindämmung des Flächenfraßes:
Mehr Wohnungen und weniger Flächenverbrauch passen zusammen
In Bayern haben die Grünen in diesem Monat in einem 10-Punkte-Papier für ihren Landtag ein (auch auf NRW übertragbares) Konzept zur Eindämmung des Flächenfraßes vorgelegt. Danach sollen Innenentwicklung, Nachverdichtung und flächensparendes Bauen Vorrang bekommen. Die bayrischen Landtags-Grünen wollen jetzt mit einem Zehn-Punkte-Plan in Süddeutschland die Ziele Flächensparen und mehr Wohnungsbau zusammenbringen. "Wir müssen den Flächenfraß auf fünf Hektar am Tag begrenzen", sagt deren Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. "Mit einer Politik, die denkt bevor der Bagger kommt, bringen wir den verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Boden und eine gesunde Entwicklung unserer Dörfer und Städte zusammen."
Die wichtigsten Stichworte des Zehn-Punkte-Plans lauten: Vorrang der Innenentwicklung anstelle der Einrichtung immer neuer Baugebiete an den Orts- und Stadträndern, eine maßvolle Nachverdichtung etwa durch den Ausbau ungenutzter Dachgeschosse und vor allem flächensparendes Bauen. "Wir brauchen ein vielfältiges Wohnungsangebot für ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Lebensphasen", sagt der wohnungspolitische Sprecher der bayrischen Grünen-Fraktion. Nachahmung in NRW und im Ruhrgebiet sei dringend empfohlen!
Siehe hier: https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-gruene-wohnungsbau-flaechenfrass-1.5462767
Wilhelm Neurohr
(siehe auch die umfassende Flächenstudie des Autors vom Februar 2021, als pdf-Datei erhältlich unter Wilhelm.Neurohr@web.de)
Autor:Wilhelm Neurohr aus Haltern | |
Webseite von Wilhelm Neurohr |
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