Prof. Korte beim Essener Stadtgespräch
"Kanzler Scholz hat keinen Vokabular-Überschuss“

Zur vorgezogenen Bundestagswahl befragte Moderator Jürgen Zurheide (l.) Wahlanalyst Prof. Karl-Rudolf Korte. | Foto: Dr. Claudia Posern/Fotostudio Essen
  • Zur vorgezogenen Bundestagswahl befragte Moderator Jürgen Zurheide (l.) Wahlanalyst Prof. Karl-Rudolf Korte.
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„Kanzler Scholz ist typischer Hanseat und hat keinen Vokabular-Überschuss“, so charakterisierte der durch Funk- und Fernsehen bekannte Politikwissenschaftler und Wahlanalyst Prof. Karl-Rudolf Korte (66) den angeschlagenen deutschen Regierungschef bei der Netzwerkveranstaltung „Stadtgespräche". Mehr als 200 Gäste im Chorforum Essen quittierten den lockeren Spruch mit lautem Gelächter.

In seiner Begrüßungsansprache wies Initiator Dr. Richard Kiessler darauf hin, dass er, was die Aktualität angehe, keinen besseren Impulsgast als Prof. Korte, Dozent an der Uni Duisburg/Essen und Direktor der NRW-School of Governance,  hätte einladen können. Da spielte natürlich auch der Zufall eine Rolle. Denn als der Wissenschaftler angefragt wurde, war die Berliner Ampel noch Realität.
Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Moderator Jürgen Zurheide stand die geplante, vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Der SPD riet Karl-Rudolf Korte, mit der Nominierung des Kanzlerkandidaten nicht bis Januar zu warten, weil sonst die Diskussionen rund um Scholz und Pistorius nicht aufhören und dadurch beide geschwächt würden. Er ließ durchblicken, dass ihn beide Kandidaten nicht so richtig überzeugen. Sein Kommentar: „Scholz und Merz das ist Schmerz“. Scholz lebe von der Hoffnung, das Kunststück von 2021 wiederholen zu können, als es ihm gelang, den CDU-Kandidaten Armin Laschet trotz eines großen Rückstands in den Umfragen noch zu überholen. Doch diesmal seien die Voraussetzungen völlig andere, kann Prof. Korte den Optimismus des spröden Hamburgers nicht so recht teilen.
„Wie viele Fehler wird sich Friedrich Merz noch erlauben?“ bohrte Jürgen Zurheide nach. Da hat der Wissenschaftler eine klare Meinung: „Weniger als die anderen. Merz hat jetzt sein Lebensziel erreicht, die Umfragen sprechen für ihn und die CDU steht geschlossen hinter ihm.“
Robert Habeck attestierte der Uni-Dozent ein großes rhetorisches Talent und die Gabe, andere Menschen für sich einzunehmen. Sein Heizungsgesetz habe aber für einen Vertrauensabriss gesorgt, weil er damit das Zuhause-Gefühl vieler Menschen verletzt habe. Habeck hebe sich aber von vielen anderen Politikern ab, die immer behaupteten, die Bevölkerung schützen zu wollen. Korte: „Ich habe noch nie einen Wirtschaftsminister erlebt, der gesagt hat: ‚Ihr werdet jetzt alle ärmer, und ich begleite Euch dabei‘.“
Die FDP und ihr Frontmann kamen gar nicht gut bei ihm weg: „Christian Lindner hat sich als Opfer inszeniert, doch in Wirklichkeit war er Täter. Und das wird sich am Wahltag rächen.“ Die AfD hat für Prof. Korte ihr Potential inzwischen voll ausgeschöpft. Und das begründete er so: Das Migrationsthema stehe inzwischen nicht mehr ganz oben auf der Agenda, dafür rücke die Wirtschaft wie schon im US-Wahlkampf in den Vordergrund. Und bei dem Thema biete die Rechtsaußenpartei erst recht keine Lösungen an.
Der Politikwissenschaftler, der gerne auf Wochenmärkten einkauft, um dort mit ganz normalen Menschen ungefiltert ins Gespräch zu kommen, macht sich Sorgen um die Demokratie an sich. Der Diskurs habe sich verändert, viele Menschen lebten mittlerweile in einer Blase und ließen andere Meinungen gar nicht mehr zu. Das, was Demokratie ausmache, dass man Kompromisse suchen müsse, finde heute immer weniger statt. Es gäbe eine politische Einsamkeit, die dort entstehe, wo sich der Staat immer mehr zurückziehe, wo keine Busse mehr verkehren, es keine Postfilialen oder Polizeiposten mehr gäbe. Genau dort würden die Parteien der politischen Ränder immer stärker. Man könne allerdings gegensteuern. Prof. Korte: „Ganz klar: Investitionen gerade in die Infrastruktur sind ganz wichtig für die Freiheit und stärken die politische Mitte.“

Autor:

Michael Köster aus Essen

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