Kirchenaustritte: Generalvikar nimmt Stellung
Vertrauen geht verloren

Das Ruhrbistum verzeichnet eine neuen Höchstwert bei Kirchenaustritten | Foto: Barbara Nobis (Pixelio)
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  • Das Ruhrbistum verzeichnet eine neuen Höchstwert bei Kirchenaustritten
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Noch gut 700.000 Mitglieder zählte die katholische Kirche im Bistum Essen Ende des vergangenen Jahres. 2010 waren noch fast 850.000 Männer, Frauen und Kinder Mitglied. Generalvikar Klaus Pfeffer blickt auf die Zahlen und nimmt dazu Stellung.

Mehr als 9000 Menschen sind 2021 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Wie erklären Sie sich diesen Rückgang?

Die Zahlen sind ein klares Zeichen für einen schier unaufhaltsam steigenden Vertrauensverlust der katholischen Kirche, den vor allem die schrecklichen Missbrauchstaten von Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitenden ausgelöst haben.

Es ist fatal, dass die Aufarbeitung der Verbrechen bundesweit uneinheitlich erfolgt und sich über einen sehr langen Zeitraum hinzieht. Hinzu kommt, dass es innerhalb der deutschen Kirche höchst unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Konsequenzen aus den Erkenntnissen der verschiedenen Untersuchungen zu ziehen sind. Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitung.

Das führt zu einem erheblichen innerkirchlichen Frust – bis hin zu Kirchenaustritten von Menschen, die sich bis vor kurzem niemals hätten vorstellen können, ihre Kirche zu verlassen.

Schon 2020 hat sich die Corona-Pandemie stark auf das kirchliche Leben ausgewirkt. Gilt dies auch für das Jahr 2021?

Die Zahlen zeigen, wie sehr die Pandemie die schon vorher zum Teil versteckten Veränderungs- und Abbruchprozesse in unserer Kirche wie ein Brandbeschleuniger massiv verstärkt hat. Zwar haben die Zahlen etwa bei Taufen und Trauungen im Vergleich zum ersten Coronajahr wohl auch durch Nachholeffekte deutlich zugelegt. Durch die Lockdown-Phasen gab es längere Zeit keine Möglichkeit, Taufen und Trauungen durchzuführen – und so gab es im Folgejahr höhere Zahlen. Und dennoch hat es 2021 in unseren Kirchen nur etwa halb so viele katholische Eheschließungen gegeben wie vor Ausbruch der Corona-Pandemie.

"Wir sollten die angeblich
,gute alte Volkskirchenzeit'
nicht verklären."

Es ist also sehr deutlich, dass sich die religiöse Praxis der Menschen immer schneller verändert. Darauf haben wir in unserer Kirche bislang noch keine abschließenden Antworten gefunden. Das zeigt sich auch darin, dass die Gottesdienste von immer weniger Menschen besucht werden. Ich bin aber froh und dankbar, dass unsere Pfarreien, die Verbände und viele weitere katholische Organisationen und Einrichtungen sich dieser Situation stellen und gerade jetzt nach der belastenden Corona-Zeit mit ihren Lockdowns neue Initiativen starten, beliebte Angebote wieder aufgreifen und auch manches Überkommene auf den Prüfstand stellen.

Wie geht’s angesichts dieser Zahlen im Bistum Essen weiter?

Das Bistum Essen wird weiterhin – auch im Rahmen des Dialogprozesses „Synodaler Weg“ – für einen entschiedenen Weg der Erneuerung der Kirche einstehen. Wir stellen uns unserer Geschichte und wollen verstehen, was alles zu den Verbrechen des sexuellen Missbrauchs in den zurückliegenden Jahren beigetragen hat und was wir verändern müssen. Dazu wird auch die derzeit laufende Aufarbeitungsstudie, die Anfang des kommenden Jahres veröffentlicht werden soll, einen wertvollen Beitrag leisten.


So ist die Lage

  • 177.673 Essenerinnen und Essener waren 2021 Mitglieder der katholischen Kirche.
  • Das sind fast 35.000 weniger als 2010.
  • Im letzten Jahr traten 2.469 Menschen aus, 49 entschieden sich für die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche.
  • Pfarrer führten 992 Taufen, 131 Trauungen und 2.115 Bestattungen durch.
  • Dem gesamten Bistum gingen 2021 fast 21.000 Gläubige verloren.


Zusätzlich zu der Aufarbeitung unserer Geschichte müssen wir nach vorne blicken und sollten auch nicht eine angeblich „gute alte Volkskirchenzeit“ verklären. So gut war die Vergangenheit im übrigen auch gar nicht, wie wir heute wissen. Es gilt jetzt, dass wir als Christinnen und Christen zusammenrücken und die konfessionellen Grenzen überwinden. Statt den Selbsterhalt von Gebäuden, Gruppen oder Institutionen in den Vordergrund zu stellen, müssen sich unsere kirchlichen Angebote konsequent an der Frage orientieren, was Menschen heute mit Gott in Berührung bringt und dazu beiträgt, die christlichen Werte in das gesellschaftliche Leben der Gegenwart einzubringen.

Was lässt Sie in dieser Krise hoffnungsvoll in die Zukunft blicken?

An erster Stelle traue ich nach wie vor der Faszination des christlichen Glaubens. Dieser Glaube schenkt mir und vielen anderen Menschen so viel Orientierung, Kraft und Trost – da bin ich mir sicher, dass es auch in der Zukunft Menschen geben wird, denen dieser Glaube wichtig ist und die miteinander Kirche gestalten werden. Und dann ermutigen mich all die Menschen, die gerade deshalb und trotz ihrer Zweifel und ihrer berechtigten Kritik auch weiterhin Mitglied unserer Kirche sind. Gemeinsam mit ihnen habe ich die Hoffnung, auch zukünftig eine lebendige Kirche unter veränderten Bedingungen seien zu können. Ich spüre viel Rückendeckung und Unterstützung für die Zielrichtung, die wir im Bistum Essen verfolgen.

Die ganz große Mehrheit unserer Gläubigen will eine katholische Kirche, die sich erneuert und reformiert. Und sie wollen auch, dass unsere Kirche mit vielfältigen Diensten und Einrichtungen für die Menschen da ist. Und genau das ermöglichen alle Kirchenmitglieder mit ihrer Kirchensteuer. Sie helfen mit, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger, aber auch Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sowie viele Mitarbeitende in den caritativen Einrichtungen beschäftigt werden können sowie Kirchen, Kitas, Schulen und zahlreiche soziale Angebote der Kirche in unserem Bistum unterhalten werden können. Insbesondere die vielen Einrichtungen der Caritas sind in den letzten Krisenjahren von besonderer Bedeutung gewesen. Die finanzielle Unterstützung der Gläubigen und das immense ehrenamtliche Engagement der Christinnen und Christen sind unerlässlich für das Wirken der Kirche für die Gesellschaft. Wir wollen auch weiterhin mit den Möglichkeiten, die wir haben, ein starker Partner für die verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft sein – vor Ort in unseren Pfarreien und auf der Ebene unseres Bistums.

Das Ruhrbistum verzeichnet eine neuen Höchstwert bei Kirchenaustritten | Foto: Barbara Nobis (Pixelio)
Klaus Pfeffer ist Generalvikar des Ruhrbistums.  | Foto: Alex Müller (Archiv)
Autor:

Lokalkompass Essen aus Essen-West

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