Spielzeit 2023/2024 am Schauspiel Essen
Neue Intendantinnen Selen Kara und Christina Zintl stellen Programm vor
Im Café Central im Essener Grillo-Theater haben Selen Kara und Christina Zintl, die als Doppelspitze ab der Spielzeit 2023/2024 das Schauspiel Essen leiten, gemeinsam mit ihrem künstlerischen Team Margrit Sengebusch (Dramaturgin), Maximilian Löwenstein (Dramaturg, Digitale Strategien), Katharina Rösch (Dramaturgin, Stadt-Dramaturgie), Torsten Kindermann (Musik) sowie Aline Bosselmann und Annika Stross (Stadt-Vermittlung) ihre Ideen für die Intendanz vorgestellt, die unter dem Motto „Neues Deutsches Theater – under construction“ steht, sowie die Planungen für ihre erste Essener Spielzeit.
„Neues Deutsches Theater“ heißt zunächst, die Vielfalt der Gesellschaft als Normalität zu begreifen und im Theater widerzuspiegeln, sowohl auf der Bühne als auch im Publikum. „Wir möchten ein neues gesellschaftliches ‚Wir‘ befördern, indem wir Vielheit als Selbstverständlichkeit behandeln und ein Theater für alle bieten“, so Kara und Zintl über ihre Vision.
Die neuen, aber auch die bekannten Geschichten werden vor allem durch verschiedene Perspektiven auf die Bühne kommen: So wurden Stückaufträge an die preisgekrönten Autorinnen Fatma Aydemir und an Natalja Vorozhbyt (Ukraine) vergeben. Außerdem wird es einen „Artist in Residence“ geben: Der gebürtige Essener Akın E. Şipal wird nicht nur als „Outside Eye“ den Beginn der neuen Intendanz begleiten, sondern ist auch Co-Autor des Stadtprojektes „Star-Crossed Lovers – Romeo und Julia in Katernberg“, das im Frühjahr 2024 im Grillo-Theater zur Uraufführung kommen wird.
Der Zusatz „under construction“ weist dabei darauf hin, dass das „Neue Deutsche Theater“ im Prozess und im Werden begriffen ist – wie der umfassende Wandel in unserer Gesellschaft. Dabei muss sich das Theater immer wieder selbst befragen, ob es sein Ziel, ein Theater „für alle“ zu sein, erreicht hat.
Musikalischer Schwerpunkt
Im Rahmen der Stadt-Dramaturgie, begleitet von Dramaturgin Katharina Rösch, wird ein Beirat aus Essener Bürgern („Critical Friends“) gegründet, um die Prozesse am Schauspiel zu begleiten und Verbindungen zwischen Stadt und Theater aktiv mitzugestalten. Um eine breite Zugänglichkeit „für alle“ herzustellen, wird es außerdem einen musikalischen Schwerpunkt geben: Musik wird bei sehr vielen Inszenierungen eine große Rolle spielen: „Musik funktioniert fernab von Sprache, sie spricht Menschen unmittelbar und auf ganz vielen Ebenen an“, so Torsten Kindermann, der für diesen Schwerpunkt verantwortlich zeichnet.
Darüber hinaus wird die Digitalität ein weiterer Kernpunkt des künstlerischen Programms sein. Im Zusammenhang mit der Produktion „Nessun Dorma“, einem musikalischen Abend für zwei Roboter, wird es unter dem Titel „4.0 Digitalgespraeche“ eine Diskussionsreihe mit Experten für Digitalität geben. „Die Realität unserer Digitalisierung wollen wir zukünftig künstlerisch wie diskursiv mit Neugier erforschen”, erläutert Maximilian Löwenstein, Dramaturg und Verantwortlicher für den Schwerpunkt Digitale Strategien.
Mit der erfolgreichen Regisseurin Selen Kara und Christina Zintl, die als Dramaturgin mit Leitungsfunktion beim Berliner Theatertreffen und an renommierten Theaterhäusern gearbeitet hat, wird erstmals ein Intendantinnen-Duo das Schauspiel Essen leiten. Als gleichberechtigte Doppelspitze verantworten sie die Leitung künstlerisch und organisatorisch gemeinsam. „Das Modell der Doppelintendanz haben wir gewählt, weil wir glauben, dass wir gemeinsam und in Aushandlungsprozessen bessere Ergebnisse erzielen. Stärke erreichen wir durch respektvolle Kommunikation und durch Vielfalt. Und so basiert unsere Arbeitsweise auf Austausch, Transparenz, Wertschätzung und gemeinsamer Weiterentwicklung. Unser Anspruch ist es, in flachen Hierarchien gerecht zu agieren. Damit wollen wir auf Augenhöhe mit der gesellschaftlichen Entwicklung sein“, erläutern die beiden Intendantinnen.
14 Premieren
Insgesamt umfasst die Eröffnungsspielzeit von Selen Kara und Christina Zintl 14 Premieren, die eine große Spannweite von Formen, Themen und Erzählweisen zeigen – vom bekannten Klassiker, über Klassikerüberschreibungen, zeitgenössische Dramatik, Filmadaption, partizipativen Stückentwicklungen, Performances und Installationen bis hin zum Liebesdrama mit zwei Robotern. Mit drei Uraufführungen, einer deutschsprachigen Erstaufführung und fünf weiteren neuen Texten liegt der Schwerpunkt dabei auf zeitgenössischen Perspektiven. Es wird ein umfangreiches Rahmenprogramm geben, u. a. mit einer Talkreihe mit Fatma Aydemir und einer Gesprächsreihe mit den Intendantinnen, mit dem „Artist in Residence“ Akın E. Şipal, mit „4.0 Digitalgespraeche“ oder der Reihe „Bar Jeder Kunst“, die Abende für alle Sinne, voller Musik, Poesie, Wein und Speisen umfasst. Darüber hinaus werden bekannte Reihen wie die „Lesart“, der „Politische Salon“, die „KlassikLounge“, Jazz in Essen und Konzerte des Essen Jazz Orchestra weitergeführt.
Und es wird eine neue Spielstätte geben: So wird nach umfangreichen Umbauarbeiten aus der ehemaligen Heldenbar die ADA, benannt nach Ada Lovelace, einer Pionierin der Programmiersprache. Die neue Spielstätte soll für Hybridformate, Experimente und besondere, kleinere Formate sein. Die Eröffnung ist für den 4. November 2023 mit der Premiere von „(Making) Woyzeck“ geplant.
Unter dem Titel „Mitmachen“ öffnet die neue Intendanz in ganz unterschiedlichen Formaten und theaterpädagogischen Angeboten das Theater für die Stadt Essen und die Menschen, die in ihr leben. Eine Säule wird die Stadt-Dramaturgie sein, die den Dialog fördern soll auch mit denen, die bisher wenig Zugang zum Schauspiel Essen hatten. Dazu gehört die Gründung des neuen Beirats der „Critical Friends“. Fortgesetzt werden die „Stadt-Ensemble-Clubs“, die Theaterbegeisterten aus der Stadt Raum, Zeit und Leidenschaft bietet, um selbst Theater zu spielen. Ein umfangreiches theaterpädagogisches Programm bietet die Stadt-Vermittlung für alle Neugierigen, für Kitas und Schulen.
Anfangen, Kennenlernen und Feiern
Mit vier Premieren an vier Wochenenden im September starten Selen Kara, Christina Zintl, ihr Team und das 18-köpfige Schauspiel-Ensemble in ihre Eröffnungsspielzeit 2023/2024 am Schauspiel Essen. Vier Wochen, die ganz im Zeichen von Anfangen, Kennenlernen und Feiern stehen. Die erste Premiere am Samstag, 9. September im Grillo-Theater wird eine Überschreibung von J.W. von Goethes „Faust“ sein: Fatma Aydemir, Autorin u. a. des erfolgreichen Romans „Dschinns“, nimmt das Publikum in der Uraufführung „Doktormutter Faust“ mit ins Heute. Inszenieren wird die Eröffnungspremiere Selen Kara, die eine langjährige Zusammenarbeit mit Fatma Aydemir verbindet. Am Samstag, 16. September folgt im Grillo-Theater Sapir Hellers Inszenierung von Bertolt Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Liebe“. Die israelische Regisseurin arbeitete bisher am Staatsschauspiel Dresden, Maxim Gorki Theater Berlin und Schauspiel Frankfurt. Am 23. September gibt's im Grillo-Theater die Deutschsprachige Erstaufführung von „Rausch“ nach dem Film von Thomas Vinterberg, die Armin Petras, der auf Bühnen in ganz Deutschland und international tätig ist, inszenieren wird. Den Premierenreigen des Eröffnungsmonats beschließen wird am 30. September 2023 in der Casa das Ein-Personen-Erfolgsstück „Showtime (ein enttäuschender Abend)“, das Autor und Regisseur Felix Krakau in der Spielzeit 2021/2022 für das Staatstheater Darmstadt entwickelt hat.
Die Premieren im September werden begleitet von einem umfangreichen Eröffnungsprogramm: So wird es bereits am Nachmittag vor der Premiere von „Doktormutter Faust“ Gelegenheit geben zum Kennenlernen mit einem Speed-Dating Stadt und Theater sowie mit Gesprächen bei Kaffee und Kuchen. Im Anschluss an die Premiere am 16. September wird der Vorplatz des Grillo-Theaters zu einer Konzertbühne. Weiterhin stellen die Dramaturgen an zwei Sonntagen in „Einführungsdialogen“ sich und die neuen Stücke vor. Außerdem startet die Talkreihe „Under Construction – Selen Kara und Christina Zintl im Gespräch mit …“. Alle Premieren an den vier Eröffnungswochenenden werden begleitet von kurzen öffentlichen Workshops zu den Inszenierungen.
Weitere Informationen unter www.theater-essen.de.
Autor:Michael Köster aus Essen |
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