Auch mit 92 Jahren nimmt Jazzprofessorin Dr. Ilse Storb kein Blatt vor den Mund
„Ich plane noch ein bisschen Zukunft“
Es sind besondere Momente, in denen Ilse Storb entwaffnet und zugleich betört. In der sie mit ihrer schonungslosen Offenheit Mauern einreißt. Widerstände reizen die streitbare Bredeneyerin.
Kürzlich wurde Ilse Storb zwar stolze 92 Jahre alt, aber kein bisschen gelassener. Könnte sich direkt wieder drüber aufregen, wie sich 1975 an der Uni Duisburg eine Sekretärin doch tatsächlich weigerte, ihrer Bitte nachzukommen, einen Brief zu verfassen. Schnippisch die Antwort: „Wünschen und bekommen ist zweierlei.“ Weil sie nicht für eine Frau arbeiten wollte. Das ließ die damalige Dekanin Storb nicht auf sich sitzen.
Ein tragisches Ende
Ilse Storb ist immer noch stinkwütend darüber, wie mit ihrem „Baby“ umgesprungen wurde. Um die Musikrichtung Jazz als Schulmusik zu etablieren, hatte sie 1971 an der Pädagogischen Hochschule Duisburg gemeinsam mit Joe Viera das „Jazzlabor“ gegründet. Trotz intensiver Bemühungen wurde es Anfang der 1990er Jahre liquidiert. Den Essenern war es gelungen, alle Stellen an sich zu reißen: „Die Folkwangschule hat alles kaputt gemacht. Ein tragisches Ende. Wo wohl unsere Jazz-Bibliothek geblieben ist?“ Sie sei schwer krank geworden damals, als man ihr Kind „abgeschlachtet“ habe. Auch ihre Ernennung zur Professorin im Jahr 1982 lief nicht geräuschlos ab. Die Bredeneyer Rechtsanwältin Louise Guyenz sprang ihr zur Seite und rief im Ministerium an: Sie habe gerüchteweise erfahren, dass man ihre Mandantin nicht berücksichtige für eine Professur, trotz ihrer unbestritten höheren Qualifikation? Auch der damalige Rektor Prof. Dr. Helmut Schrey setzte sich ein für Ilse Storb. Dann war sie und ist heute noch die einzige Professorin für Systematische Musikwissenschaft einschließlich Jazzforschung in Europa.
sic transit gloria mundi
Alles begann 1929 mit ihrer Geburt im Elisabeth-Krankenhaus. Ilses Vater war Lehrer, die Familie wohnte in Bredeney, in einem Bauernhaus aus dem Jahre 1780. Als dieses 1943 durch eine Luftmine zerstört wurde, habe ihr Onkel Karl, der Mann von Tante Ida, nur stoisch gelassen gemurmelt: „sic transit gloria mundi.“ Die kleine Ilse aber brüllte: „Wo ist mein Klavier?“ Das Instrument konnte gerettet werden, wenn auch durch Splitter beschädigt. Später legte Ilse Storb an genau diesem Klavier das Staatsexamen ab, hat es inzwischen aber längst gegen einen ausgewachsenen Flügel getauscht. Storb haut in die Tasten: „Ich bin eine klassisch ausgebildete Pianistin, die Jazz spielt. Nach Noten geht nicht mehr aufgrund der Augen, also improvisiere ich.“
Das Bundesverdienstkreuz
Ilse Storb legte gleich vier Staatsexamen ab: Philosophie, Schulmusik, Französisch und Pädagogik. Sie studierte in Köln, in Paris an der Sorbonne und in Boston am Berklee College of Music. Sie promovierte über die Auflösung der Harmonik in den Klavierwerken von Claude Debussy und schrieb ihre Habilitation über den Jazz-Pianisten Dave Brubeck. Verfasste fünf Bücher, mehr als 100 Veröffentlichungen, organisierte Kongresse und Festivals. Mit verschiedenen Bands unternahm Ilse Storb Tourneen durch Nigeria und Brasilien, Japan und China. An die 30 Forschungsreisen führten sie nach Schwarzafrika und 20 weitere in die USA. Sie reanimierte das Jazzfestival im tunesischen Tabarka. Für ihre weltweite Friedensarbeit erhielt Storb 1998 das Bundesverdienstkreuz und zeigt es stolz vor: „Sogar am Bande!“ Seit ihrer Emeritierung vor 27 Jahren engagiert sich Storb insbesondere für das 2011 von ihr in Zusammenarbeit mit der Folkwang-Musikschule der Stadt Essen ins Leben gerufene „Labor für Weltmusik“, welches in seiner Funktion einmalig im Ruhrgebiet ist. Sie pflegt dabei intensive Kontakte zu Musikern und Wissenschaftlern aller Kontinente, insbesondere nach Afrika.
Ilse and her Satchmos
Auch wieder so eine Anekdote: Sie zog in einem Ratinger Schwimmbad ihre Bahnen, als ihr diese afrikanische Familie auffiel. Storb sprach den Vater an: „Where are you from?“ Und Annan Odametey antwortete brav, er stamme aus Ghana. Für Ilse Storb Grund genug, nachzuhaken: „Dann kennen Sie bestimmt Mustapha Tettey Addy?“ Perplexe Antwort: „Das ist mein Onkel.“ Addy entstammt einer angesehenen ghanaischen Trommlerfamilie und wurde nach dem Tod seines Priestervaters Oberhaupt der rituellen Trommler. Mit Ilse Storb verbindet ihn ein besonderes Band. Vom Beckenrand weg wurde der Neffe engagiert. Demnächst wird er wieder in Aktion treten. Die 1991 gegründete Band „Ilse and her Satchmos“ tritt am 27. August im Schloss Borbeck auf mit ihrer Louis Armstrong-Show. Die Satchmos sind größtenteils frühere Storb-Studenten. Bandleader Ilse wird erzählen, wie Armstrong zu seinen Spitznamen kam, wie er sein afrikanisches „Homeland“ besuchte. Im Mai 1956 besuchte Louis Armstrong die britische Gold Coast Colony und gab mit seinen All Stars ein Open-Air-Konzert auf dem Old Playing Ground in Accra. Als die Polizei die über 100.000 begeisterten Fans nicht mehr unter Kontrolle bekam, mussten die Musiker förmlich von der Bühne fliehen. In der Show wird Annan Odametey den Part des damaligen Premierministers Kwame Nkrumah übernehmen. Der war sehr stolz über Armstrongs Besuch, obwohl er ihn zunächst für einen Boxer gehalten hatte. Bald führte Kwame Nkrumah sein Land Ghana zur Unabhängigkeit und diente als erster Präsident der Nation.
Alles ist geregelt
Lise Storb lächelt. Ihre Angelegenheiten seien testamentarisch geregelt, darin der eingetragene Verein „Freundeskreis Ilse Storb / Labor für Weltmusik“ bedacht: „Haus und Grund, Musik- und Afrikazimmer, die Bibliothek, meine Phonothek mit kilometerweise Schallplatten von Armstrong und Brubeck, alles. Mit Ursula Podeswa habe ich eine tüchtige Nachfolgerin.“ Die Jazzprofessorin spricht völlig offen über Sterbehilfe: „Wo komme ich hin? Zu Gott oder zur Natur? Der Tod ist das Tor zum Leben.“ Sagt aber zugleich: „Ich plane noch ein bisschen Zukunft.“ Zum Beispiel die „Louis Armstrong Show live mit Ilse and her Satchmos“ am Freitag, 27. August ab 20 Uhr im Schloss Borbeck.
Autor:Daniel Henschke aus Essen-Werden |
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