Kultur im Corona-Lockdown
Die Skulpturensammlung im Grugapark
Während des zweiten Corona-Lockdowns im Winter 2020 sind wieder sämtliche Museen geschlossen. Gerade bei der Arbeit im Home Office tut jedoch ein echter Sonntagsausflug unter die Leute (mit Abstand), mit Bewegung und frischer Luft gut. Eine schöne Möglichkeit auch in Coronazeiten einen richtigen Wochenendausflug inklusive Kunstgenuss zu machen, ist es einen Skulpturenpark zu besuchen.
Im Folgenden schildere ich meine Eindrücke von der Skulpturensammlung im Grugapark, die ich mir an zwei aufeinander folgenden Wochenenden angeschaut habe. Da der Park sehr weitläufig ist, reicht ein Nachmittag kaum aus, um im Winter vor Einbruch der Dunkelheit sämtliche Skulpturen zu betrachten.
Der Eintritt in den Grugapark kostet in der Wintersaison nur 2 Euro. Es lohnt sich den Katalog KunstWege an der Kasse für 8 Euro zu kaufen. Jede Skulptur und der schaffende Künstler werden darin erklärt. Im Buchumschlag befindet sich auch eine Karte auf der sämtliche Skulpturen eingezeichnet sind.
Insgesamt sind es 44 Skulpturen. Dargestellt sind Frauen, Männer, Kinder, Tiere und Gruppen dieser, sowie abstrakte Formen. Die menschlichen Figuren sind mit wenigen Ausnahmen als Akt ausgeführt. Figürliche Bronzen aus den späten 1930er Jahren stellen etwa ein Viertel der vorhandenen Sammlung. Diese wurden zum Teil bereits anlässlich der Reichsgartenschau 1938 aufgestellt (Speerwerferin, Tiger, Fohlenhüter, Kind mit Blockflöte). Heute noch zu sehen sind auch einige Skulpturen der Großen Ruhrländischen Gartenbau-Ausstellung 1952 und der Bundesgartenschau 1965. Im Laufe der Zeit standen immer wieder andere Zusammenstellungen von Skulpturen im Grugapark.
Die Betrachtung der Skulpturen im Park ist ein gänzlich anderes Erlebnis, als man es aus Museen gewohnt ist. Offenbar wurde große Sorgfalt darauf verwendet, dass sie sich gut in ihre Umgebung einfügen. So stehen beispielsweise die Große Badende (Georg Kolbe, 1914) und der Junge mit Fisch (Ernst Hackländer, 1930er Jahre) jeweils an den Ufern von Teichen.
Die Pferdegruppe (Philipp Hart, 1937/38) steht auf einer weitläufigen Wiese. Inmitten einer aus Hecken gebildeten Arena wird die Speerwerferin (Ernst Seger, 1937) in Szene gesetzt. Der Faun (Klaus John, 1940er Jahre) steht passend im Schilf, woraus er der Mythologie folgend seine Panflöte band. Bei genauer Betrachtung ist kein Standort beliebig gewählt. Es ergeben sich interessantes Zusammenhänge mit den umgebenden Gewässern, Pflanzen und Wegen. Der Eindruck ändert sich sicherlich auch im Wechsel der jahreszeitlichen Bepflanzung. Im November stand beispielsweise die Frauenfigur In Wind und Sonne (Fritz Klimsch, 1936) auf einem goldenen Blätterteppich.
Teilweise scheinen die Skulpturen auch direkt Bezug aufeinander zu nehmen. Der im Eingangsbereich stehende Tiger (Philipp Harth, 1936/37) bleckt die Zähne in Richtung der Frauenfigur Friede (Joseph Enseling, 1938/39). Die Pferdegruppe wiederum nimmt aus der Ferne die Witterung des Tigers auf.
Die Größen der Skulpturen beeinflussen deren Wirkung. Insbesondere wenn man sie vorher als Fotografien gesehen hat, erlebt man so manche Überraschung. Der überdimensionierte Große Adam (Gerhard Marcks, 1953) wirkt wie ein tapsiger Golem. Die Große Badende wirkt als Frauenakt ungewohnt Kolossal.
Die meisten Tierfiguren sind in Lebensgröße ausgeführt, was deren realistische Wirkung unterstützt.
Die Unterlebensgröße anderer Skulpturen wiederum unterstreicht deren zierliche Eleganz, etwa bei den Frauenakten In Wind und Sonne und Krugträgerin (Walter E. Lemcke, 1930er Jahre), sowie beim jugendlichen Liebespaar der Kindergruppe (Heinrich Adolfs, 1936). Die kleinste Skulptur ist mit etwa einem Meter Höhe der Junge mit Fisch, der auch gut in einen privaten Schrebergarten passen würde.
Der Betrachter kann im Park unmittelbarer mit den Skulpturen interagieren als dies im Museum der Fall wäre, denn die Skulpturen können auch angefasst werden. Kinder reiten gerne auf dem Rücken des Tigers. Auch Kopf und Rücken des Rehs (Fritz Paul Zimmer, 1920er Jahre) glänzen von den vielen Berührungen golden. Beim Großen Bollerwagen (Thomas Rother, 1995) ist das Erklettern sogar Teil des Konzepts. Aus dieser Berührbarkeit ließe sich sicher auch ein interessantes kulturelles Angebot für blinde Menschen erstellen.
Lohnenswert ist es jeweils auch die Skulpturen zu umschreiten, sowie nahe an sie heranzutreten. Interessante Perspektiven ergeben sich dabei beispielsweise beim in den Himmel ragenden silbernen Schläuchen des abstrakten Orion (Brigitte Matschinksy-Dennighoff und Martin Matschinsky, 1987).
Bei der Vielzahl der Skulpturen aus den späten 1930er Jahren fragt man sich unweigerlich in welchem Bezug diese Figuren und deren Künstler zum Nationalsozialismus standen. Die realistisch ausgeführten, unbekleideten Bronzefiguren spiegeln zweifellos das Kunstverständnis dieser Zeit wieder. Bei keiner der heute noch stehenden Skulpturen drängt sich jedoch ein direkter Bezug zur NS-Zeit auf. Am ehesten lässt sich der Zusammenhang bei der Speerwerferin (Ernst Seger, 1937) erkennen. Diese Skulptur entstand im Kontext der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Sie spiegelt das Ideal des athletischen „nordischen Menschen“ wider.
Der Bildhauer Richard Scheibe stand gar auf der Gottbegnadeten-Liste der vom NS-Regime als besonders wichtig angesehene Künstler. Auch Walter E. Lemcke erstellte zahlreiche monumentale Adlerplastiken für das Regime. Im Grugapark vertreten sind diese beiden Künstler jeweils mit den in antiker Tradition stehenden Frauenakten In Wind und Sonne und der Krugträgerin, sowie der moderner wirkenden Tänzerin (1953).
Daneben sind aber auch Künstler vertreten, die in der NS-Zeit eher einen Karriereknick erlebten. Heinrich Adolfs (Fohlenhüter, Kindergruppe, Flötenspiel) wurde zusammen mit vielen anderen, vorwiegend der Moderne zugewandten Lehrenden 1933 von der Essener Kunstgewerbeschule entlassen. Er arbeitete fortan freischaffend. Philip Harth, der im Park mit vielen Tierskulpturen vertreten ist (Tiger, Pferdegruppe, Auffliegender Reiher, Schreitende Störche) war anfangs ein Befürworter und Profiteur des Regimes, aber änderte seine Ansicht im Laufe des Krieges. 1941 wurde er von der Gestapo verhaftet und unter Polizeiaussicht gestellt, weil er die Kunstpolitik im Dritten Reich kritisiert hatte. Mit Gerhard Marcks wurde nach dem zweiten Weltkrieg mindestens ein Künstler aufgenommen, dessen Werke in der NS-Zeit als „entartet“ galten. Dessen Großer Adam stammt von 1953.
Die in den 50er und 60er Jahren aufgestellten Skulpturen sind zum Teil abstrakte Werke. Ironischerweise wirken gerade einige dieser moderneren Werke wieder sehr archaisch. Die Sonnenscheibe (Herbert Baumann, 1961/62) und das Steinzeichen (Rolf Jörres, 1963) muten wie archaische steinerne Monolithen an. Der ebenfalls aus grobem Stein gehauene Kohlenträger (Bruno Kell, 1958) erinnert mit seiner Moosbewachsung an Steinfiguren aus alten Zeiten, wie etwa denen auf der Osterinsel.
Traditionelle Materialien und eine moderne Formensprache verbindet etwa der Meteorit (1965) von Jörg Engelmann. Schwarzer polierter Stein bildet hier eine offene Möbiusschleife.
Der Vorstellung von moderner Plastik entsprechen die Werke aus glänzendem Metall wie etwa der Osiris, Schichtung (Tomas Lenk, um 1970), Falke (Heinz Theuerjahr, 1965), und die zeitgenössische Imploded Pyramid (Ewerdt Hilgemann, 2002).
Die Bandbreite der gezeigten Skulpturen ist so groß, dass sicherlich jeder seine eigenen Lieblingsskulpturen hat. Von den figürlichen Skulpturen finde ich persönlich die klassisch-eleganten Frauenakte In Wind und Sonne und Krugträgerin besonders schön. Unter den Tierfiguren gefällt mir besonders die enorme Dynamik des Auffliegenden Schwan (Adam Antes, 1963). Mit den abstrakten Plastiken konnte ich zum Teil wenig anfangen, fand jedoch den Meteorit sehr ästhetisch. Falls man eine besonders innige Beziehung zu eine Skulptur hat ist es möglich eine Kunstpatenschaft für deren Pflege und Restaurierung zu übernehmen.
Ich bedauere es etwas, dass erst alle Museen im Corona-Lockdown schließen mussten, bis ich mir diese Skulpturensammlung im Grugapark einmal genauer angeschaut habe. In den nächsten Wochen werden sich aber noch Gelegenheiten ergeben weitere solche Skulpturenparks zu besuchen. In Essen befinden sich frei zugängliche Ansammlungen von Skulpturen insbesondere am Moltkeplatz und im Stadtpark. Im näheren Umkreis finden sich Skulpturenparks beispielsweise in Bottrop am Museum Quadrat, in Duisburg im Kant Park am Lehmbruck Museum und in Gladbeck am Rathaus.
Ergänzende Informationen zur aktuellen Lage im Dezember 2020 / Januar 2021:
Die Kassen und das Infocenter des Grugaparks sind vom 14.12.2020 bis 5.1.2021 geschlossen. Der Eintritt in den Park in diesem Zeitraum kostenlos (für maximal 3500 Besucher). Es ist somit wohl nicht möglich den Katalog mit den informativen Texten und der Karte dort zu bekommen. Die zum Teil versteckt liegenden Skulpturen sind jedoch auch auf auf OpenStreetmap eingezeichnet.
Quellen:
- Julia Ruether: KunstWege – Die Sammlung Grugapark, 2012, Grugapark Essen
- Julia Ruether, Astrid Schröer-Mlodoch: Die große Schau – Gartenschauen im Essener Grugapark von 1929 bis 1965, 2015, Grugapark Essen
- Grugapark Webseite: Kunstwerke im Grugapark
- Wikipedia: Artikel zu Grugapark, Skulpturen im Grugapark, sowie zu einzelnen Künstlern
Autor:Johannes Wirges aus Essen |
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