Im Jahre 1957...

Im Jahre 1957, eine Woche nach Ostern, begann für mich der ,,Ernst des Lebens."
Obwohl mein erster Schultag schon einige Jahrzehnte zurückliegt, kann ich mich noch sehr gut daran erinnern.Viele Familien hatten in den fünfziger Jahren mehrere Kinder und das Geld war knapp. Darum gingen meist, die noch gut erhaltenen Sachen der grossen, in den Besitz der jüngeren Geschwister über. So auch bei mir.
Ich bekam zum ersten Schultag das noch gut erhaltene Schul-und Sonntagskleid meiner älteren Schwester.Ebenso den dunkelbraunen Ranzen mit Griffeldose, den Handarbeitskorb, die Tafel und alle Schulbücher. Diese wurden nur in neues Deckpapier eingepackt. Ob die Schultüte auch von meiner Schwester war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, Ich weiß nur noch, sie war hellbleu, glänzend und mit einem grossen Glanzbild auf der Vorderseite. Viel war auch nicht drin, denn Süssigkeiten gab es in den 50gern meist nur zum Geburtstag zu Ostern und zu Weihnachten. Meine Tüte war zur Hälfte mit Papier gestopft, darauf ein Apfel eine Banane und ein Schwamm für die Tafel. Einen neuen Tafellappen hatte mir die Oma gehäkelt . Der baumelte an einer Schnur seitlich aus dem Ranzen. Damit war ich für alle Schulkinder als i Männchen zu erkennen. Als i Männchen hatte man so das eine oder andere Spottlied zu ertragen. Ich weiß den Text noch heute und ich glaube, die meisten meiner Generation auch.
,, i Männchen, Kaffeekännchen, lass das Püppchen tanzen, wenn es nicht mehr tanzen kann, steck es in die Kaffeekann, Kaffeekann kippt um, i Männchen ist dumm!"
Unten auf der Strasse waren schon einige Mütter mit ihren Kindern auf dem Schulweg. Viele hatten wie ich eine Tüte.Ein kleiner Junge, mit dunklen Locken, war mit seiner Oma unterwegs.Er rannte mit seiner Tüte ständig neben uns die Strasse auf und ab.So kam er auch als erster am Schulgebäude an. Auf der obersten Stufe vor dem Schultor, drehte er sich lachend um und setzte sich seine Schultüte wie einen Hut auf den Kopf.Wir Kinder fanden das alle lustig und lachten laut. Die Mütter aber sahen sich betreten an. Ihnen tat der Kleine leid, denn seine Tüte war offensichtlich leer.
Wir hatten drei erste Klassen.A B und C mit jeweils 36 Kindern .
Mädchen und Jungen saßen damals noch strikt von einander getrennt hintereinander auf Zweierbänken. Auf der linken Seite die Jungen und rechts die Mädchen. In der Kirche war das ebenso.
Um halb Zehn war grosse Pause. Auf dem Schulhof beschäftigten wir uns mit Gemeinschaftsspielen, natürlch wieder nach Geschlechtern getrennt. Wir Mädchen spielten: Machet auf das Tor, 16Kinder hab ich schon, Mühle, Alle Fische auf den Tisch und als ich einmal reiste...
So vergingen Tage, Wochen und Jahre, bis eines Tages der nächste ,,Ernst des Lebens" auf mich zu kam : die Arbeitswelt, in der ich rasch, viel zu rasch, erwachsen wurde.
Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen und heute gehen bereits meine Enkelkinder zur Schule. So vieles hat sich seit meiner Einschulung verändert, doch die bunte Schultüte lieben Kinder von heute ebenso wie die Kinder von einst.

Autor:

Brigitte Böhnisch aus Bochum

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

13 folgen diesem Profil

4 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.