Schmachtendorf/Elsdorf bei Bremen
Wo eine Glocke aus der Kempkenstraße zum Gottesdienst ruft - eine Spurensuche 300 km nordwärts
In der Schmachtendorfer Kempkensiedlung war es still geworden, seitdem die Glocken der dortigen Kirche nicht mehr zum Gottesdienst einladen. Ein Jahr ist es her, dass dieser letztmalig gefeiert wurde, Altar und Taufbecken haben das Gotteshaus verlassen. Das Geläut verstummte lange Zeit - trotz Wunsch und Versprechen, dies zu erhalten. Doch eine Schmachtendorfer Glocke ruft nach wie vor die Menschen zu Gottesdienst und Gebet. Warum aber davon in Schmachtendorf rein gar nichts zu hören ist, soll Gegenstand dieses Artikels sein.
Eine Spurensuche
Elsdorf bei Bremen, Lange Straße 41, über die A 1 300 Kilometer nördlich von Schmachtendorf. Hier steht die Evangelisch-lutherische Allerheiligenkirche. Eine Kirche mit Tradition. Die erste an diesem Standort wurde im 11. Jahrhundert errichtet, der Bau von 1796 steht im Kern noch heute. Der im Jahre 1945 gesprengte Turm wurde zehn Jahre später durch einen Neubau ersetzt. Und dieser ist ungewöhnlich glockenreich - schlagen in diesem doch gleich fünf ihrer Art .
Unser Augenmerk soll der zweitgrößten Glocke gelten, denn diese 1906 in der Glockengießerei Pfeiffer, Kaiserslautern, gegossene und 600 Kilogramm schwere Bronzeglocke in der Schlagtonlage fis'+1 hing nicht immer dort: Fast vierzig Jahre rief sie im Gotteshaus an der Kempkenstraße die evangelischen Mittelbauerschaftler (die erst 1917 amtlich-offiziell zu Schmachtendorfer wurden) zu sich.
Wie aber kam diese Glocke in den hohen Norden? Die Zeitreise beginnt im Dritten Reich mit dem Befehl Hermann Görings, alle Glocken während einer am Trinitatissonntag 1940 abgehaltenen "Glocken-Opferfeier Führer und Vaterland" für die wichtige Kriegsindustrie zu "opfern". Landesweit wurden alle Glocken in Kategorien eingeteilt - nach ihrer Bedeutung und ihres Schutzwertes. Natürlich war das Schmachtendorfer Geläut mit nicht einmal 35 Jahren viel zu jung, um überhaupt einen Schutz genießen zu können. Also verließen die Bronzeglocken auch diesen Kirchturm - bis auf eine verbliebene, denn eine Glocke durfte - zunächst - jeder Kirche verbleiben.
Die Schmachtendorfer hatten Glück im Unglück, denn diese Glocke wurde im weiteren Kriegsverlauf nicht ebenfalls eingeschmolzen, sondern überlebte an der Kempkenstraße Krieg, Wirbelsturm und Bombardierung. Für ein neues Vollgeläut fehlte der kriegsgeschädigten Gemeinde lange das Geld, Turm und Gebäude mussten instand gesetzt werden, Fenster waren auf legalem Wege schon gar nicht zu bekommen und immerhin war ja eine Glocke verblieben.
1953 für 3.000 Mark nach Elsdorf verkauft
Erst 1953 war es soweit und das Presbyterium konnte die Anschaffung eines neuen, dreistimmigen Geläuts beschließen. Da die Entscheidung aus finanziellen Gründen, aber auch, um sich von den Bronzeglocken der Umgebung abzuheben, zugunsten eines Stahlglockengeläuts gefällt wurde, passte die alte Glocke so gar nicht mehr dazu. Gutachter befanden den Klang der alten Glocke als "gut" und so wurde diese, nach Ausschreibung im "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt", für den Preis von 3.000,-- DM von der Elsdorfer Gemeinde gekauft und in Schmachtendorf abgeholt.
An ihre Stelle trat das uns heute so vertraute Geläut auf dis'-fis'-gis' mit den drei Glocken "Ich bin der Weg", "Ich bin die Wahrheit" und "Ich bin das Leben", welches am 28. September 1953, geleitet von 600 Schulkindern, vom Holtener Bahnhof eingeholt und in die Kirche eingebaut wurde. Längst ist es zum Teil der Schmachtendorfer Identität geworden und nicht wenige Schmachtendorferinnen und Schmachtendorfer erinnern sich zurück an ihre Kindheit, wenn sie "wenn es läutet" um 19 Uhr wieder zuhause sein mussten.
Tagzeitengeläut rief spontanen Applaus hervor
Wenn die drei Glocken auch heute nicht mehr zum Gottesdienst rufen dürfen, so ist es doch eine große Freude, dass das charakteristische Geläut seit Samstag, 4. April, wieder um 19 Uhr als Tagzeitengeläut zu hören ist. Derzeit vom Verein Kirche Schmachtendorf e.V. noch händisch betrieben, soll schon bald die - momentan reparaturbedürftige und nicht einsatzbereite - elektrische Läuteanlage diese Aufgabe übernehmen. Den Anwohnerinnen und Anwohnern gefällt es, endlich ihr Geläut zurück zu haben - Samstag und Sonntag standen sie vereinzelt in den Gärten der Kempkensiedlung und applaudierten spontan nach dem 19-Uhr-Geläut.
Autor:Tobias Szczepanski aus Oberhausen |
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