Schulstart 2023 – Erste Wege aus der Lesekrise:
90% der Kinder verbessern ihr Textverständnis mit MENTOR – Die Leselernhelfer

In der Schule richtig lesen zu lernen, das ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr: Inzwischen scheitert jedes vierte Kind in der vierten Klasse an einfachen Texten, veröffentlichte die IGLU-Studie im Mai mit alarmierenden Zahlen. Hier ist Unterstützung dringend notwendig.

Daher begrüßt der MENTOR – Die Leselernhelfer Bundesverband e.V. die Pläne einiger Länder: bspw. führen Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig-Holstein erweiterte Lesezeiten in allen Fächern oder neue Konzepte zum Lesenlernen ein. Diese sind für die Grundschulen verpflichtend.

Wie erfolgreiche Leseförderung ergänzend zum Unterricht aussieht, zeigt der MENTOR-Bundesverband: Seit 20 Jahren fördern seine ehrenamtlichen Lesementor:innen Kinder und Jugendliche an den Schulen. Dadurch entdecken die jungen Menschen ihre Lesefreude, verbessern ihre Lesekompetenz und stärken ihr Selbstbewusstsein. Das belegen u.a. Befragungen von 526 Lehrkräften des regionalen MENTOR-Vereins in Hamburg:
Rund 97% lesen aufgrund der Leseförderung flüssiger vor. 95% der Kinder haben ihren Wortschatz erweitert. Ebenso viele Kinder verstehen gelesene Texte insgesamt besser. Fast jedes 2. Kind nimmt aufgrund der Leseförderung merklich aktiver am Unterricht teil.

Diese positive Entwicklung beobachtet auch die Kölnerin Roswitha Hentrich bei ihrem Lesekind Amina (9 Jahre). Die beiden treffen sich jeden Dienstag zur Lesestunde, darüber berichtet die medizinische Fachangestellte: „Ich habe direkt gemerkt, dass die Lesestunden für Amina sinnvoll sind. Sie brauchte aber ein bisschen Zeit. Nach und nach taute sie auf und nun konnte ich endlich ihren Spaß an den Stunden deutlich merken. Mit jedem Mal wurde sie mutiger und erzählte mir auch von zu Hause oder ihren Freunden.“ Die 64-jährige Mentorin findet die persönliche Beziehung zu Amina genauso bedeutend, wie das Lesen. Es ist für das Mädchen hilfreich, eine Vertraute zu haben.

Es geht um Lesefreude und den Aufbau von Lesekompetenz
Amina kam vor fünf Jahren aus Syrien, sie hat zwei ältere Brüder und eine Schwester. Ihre Mutter besucht Deutschkurse, aber sie kann ihren Kindern die Sprache nicht so vermitteln, wie die es für eine erfolgreiche Teilnahme im Schulunterricht bräuchten. Diese Lücke möchte Roswitha Hentrich schließen. „Wir lesen oft sehr einfache Kinderbücher und erarbeiten uns die Texte. Hauptsache das Kind hat die Bedeutung der Worte und Geschichten verstanden und hat dadurch ein Erfolgserlebnis.“
Die wöchentlichen Lesestunden sind bestimmt durch Humor, Lob und Zuwendung, damit sich das Mädchen wohl fühlt und ohne Notendruck lernen kann. Roswitha Hentrich tauscht sich mit der Klassenlehrerin aus. Die berichtet, wie positiv sich die Lesestunden auf den Unterricht auswirken: Amina hat deutlich an Selbstvertrauen gewonnen, sie traut sich nun, sich zu melden und vor der Klasse zu lesen.

Das Förderprinzip von MENTOR
Das Lesen ist der Schlüssel für die weitere Entwicklung von Amina und aller anderen Schüler:innen: Nur wer Texte lesen kann und sie wirklich versteht, ist in der Lage, am Unterricht teilzunehmen und einen Schulabschluss zu erreichen. Wie die ehrenamtlichen Mentor:innen ihre Schützlinge für das Lesen begeistern, erläutert Huguette Morin-Hauser, 1. Vorsitzende, MENTOR – Die Leselernhelfer Bundesverband e.V.: „Unser Förderprinzip beruht auf drei Säulen: Dem 1:1-Prinzip, d.h., jedes Kind wird ganz individuell betreut, ein Mal pro Woche, mindestens ein Jahr lang. Außerdem sind die Erfolgsfaktoren: Bildung durch Bindung und eine entspannte Lernatmosphäre.“

Mentor:innen schenken Zeit und Zuwendung
Auch Peter Dunger aus Kassel ist einer der 13.000 Lesementor:innen, die deutschlandweit 16.600 Schüler:innen fördern. Mit dem 10-jährigen Stefan arbeitete er bereits sechs Wochen vor den Sommerferien. Stefan ist etwas schüchtern, ohne erkennbare emotionale Rückmeldungen. Peter Dunger, der auch Vorstandsmitglied des regionalen Vereins MENTOR – Die Leselernhelfer Nordhessen e.V. ist, berichtet: „Ich fragte Stefan nach jeder Stunde, wie es war: ‚Alles gut.‘ – ‚Wollen wir uns nächste Woche wieder treffen?‘ ‚Ja, gerne.‘ Aber ich war verunsichert und wusste nicht, woran ich wirklich war. Bei einem Gespräch mit seiner Klassenlehrerin fragte ich, ob sie Rückmeldungen bekam. Sie sah mich erstaunt an und sagte: ‚Stefan fragt jeden Tag nach Ihnen!‘ MENTOR wirkt und füllt Lücken, die sonst unausgefüllt blieben. Für mich eine Erfolgsgeschichte und Bestätigung.“

In den wöchentlichen Lesestunden entscheiden Mentor:in und Kind gemeinsam, was gelesen wird, durch die Einzelförderung stehen die Interessen des Kindes im Mittelpunkt. Bei den Treffen liest mal der Erwachsene, mal das Kind, es wird erzählt, gelacht und gespielt. Das Kind erfährt Aufmerksamkeit und Wertschätzung, es entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis und erste Erfolge stellen sich ein. Auf diese Weise hat die Hamburgerin Antje Scharpff schon zehn Lesekinder gefördert, sie resümiert: „Selbst wenn die Kinder keine Leseratten werden, bekommen sie ein unglaubliches Rückgrat. Sie trauen sich plötzlich mehr und sind in vielen Fächern auf einmal aktiv. Ich freue mich, dass ich als Mentorin so einen positiven Einfluss ausüben kann.“

Professionelle Qualifizierung der Ehrenamtlichen
Auf ihren verantwortungsvollen Einsatz mit den Kindern bereiten sich die Mentor:innen in Einführungsseminaren vor. Die bundesweit 118 Vereine, in denen die 13.000 Ehrenamtlichen organisiert sind, regeln die Zusammenarbeit mit den Schulen, begleiten, bieten Weiterbildungen an. So auch für die Leseförderung mit digitalen Medien. Dafür hat der MENTOR-Bundesverband ein Konzept entwickelt und mit seinen Vereinen in Schulungen vermittelt. Huguette Morin-Hauser führt aus: „Wir machen unseren Lesementorinnen und -mentoren regelmäßig aktuelle, wissenschaftlich fundierte Methoden zugänglich. Je vielfältigere Materialien sie haben und kennen, desto mehr Kinder können sie erreichen und für das Lesen begeistern.“
Im nächsten Schritt wird eine Strategie für die Online-Leseförderung entwickelt, in Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Wer sich bei MENTOR – Die Leselernhelfer e.V. engagieren möchte, findet Informationen auf www.mentor-bundesverband.de .

Autor:

Agnes Gorny aus Oberhausen

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