Zeitzeuge berichtet
"Ich war Hitlerjunge Salomon"

Sally Perel kommt seit 1992 nach Oberhausen, um seine Geschichte zu erzählen. Er ist einer der letzten Zeitzeugen weltweit. | Foto: Christian Schaffeld
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  • Sally Perel kommt seit 1992 nach Oberhausen, um seine Geschichte zu erzählen. Er ist einer der letzten Zeitzeugen weltweit.
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"Nur aus der Geschichte kann man lernen, was Deutschland falsch gemacht hat." Mit diesen mahnenden Worten begann der Holocaust-Überlebende Salomon "Sally" Perel am heutigen Mittwoch seine Geschichte zu erzählen. Der 93-Jährige entkam dem Tod nur knapp - das Opfer ist riesig. Er trat als Jude der Hitlerjugend bei. Wir erzählen seine Geschichte.

Es ist kurz vor 9 Uhr, als der Holocaust-Überlebende Sally Perel am heutigen Mittwochmorgen an der Lichtburg Oberhausen vorgefahren wird. Das Kino ist bereits bis auf den letzten Platz mit Schülern des Elsa-Brändsröm Gymnasiums, des Heinrich Heine-Gymnasiums sowie des Sophie-Scholl-Gymnasiums gefüllt. Dazu sind einige Auszubildende der Stadt Oberhausen zu der Lesung eingeladen.

"Holocaust-Leugner sind Verbrecher" 

Gleich zu Beginn spricht Perel über Holocaust-Leugner. "Die Menschen, die es leugnen weil sie es nicht wissen, sind Dummköpfe. Die, die es wissen und trotzdem leugnen sind Verbrecher." Es ist mucksmäuschenstill im Kinosaal. Gespannt horchen die Kinder, die überwiegend in den zehnten Jahrgang gehen, den Worten Perels. 
Es war der 21. April 1925, an dem im niedersächsischen Peine ein Junge Namens Salomon Perel auf die Welt kam - seine Geschichte ist einzigartig. Als er acht Jahre alt war, kamen in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht. Für die jüdische Familie sollte sich in der Folge alles ändern. "Bis zu meinem zehnten Lebensjahr hatte ich eine traumhafte Kindheit in Peine", erinnert sich der heute 93-Jährige zurück. Danach war die Familie in Peine aber nicht mehr sicher.

Elterliche Geschäft verwüstet

Als 1935 das elterliche Schuhgeschäft von den Nazis verwüstet wurde und Sally einen Brief aus der Schule mit nach Hause brachte, in dem stand, dass Juden dort nicht mehr unterrichtet werden, begann eine Flucht durch halb Europa. Die Familie zog ins polnische Lodz, da Sallys Vater nicht damit rechnete, dass Deutschland Polen angreifen würde. Dass es anders kam, wissen wir längst. Doch was passierte mit den Menschen?

Schicksalhafte Entscheidung

Nachdem die Situation im Jahr 1939 immer brenzliger für die jüdische Familie wurde, fassten die Perels einen harten Entschluss: Sally und sein Bruder sollten alleine nach Ost-Polen fliehen, um wenigstens eine geringe Chance aufs Überleben zu haben. "Meinen Eltern war klar, dass es ein Abschied für immer sein sollte. Ich wusste das damals nicht. Hätte ich gewusst, dass ich Mama und Papa nie wieder sehen werde, wäre ich wohl nie gegangen", erzählt Perel traurig. Doch dann würde er heute wohl nicht in der Lichtburg sitzen.

Erinnerung an die letzten Worte seiner Eltern

"Ich erinnere mich noch genau an die letzten Worte meiner Eltern. Mein Vater sagte: Sally, egal was komme, bleib immer Jude, glaube immer an Gott. Gott wird dich beschützen." Später sollte Perel genau das leugnen. "Meine Mutter sagte: Sally mein Sohn, geh! Du sollst leben." Diese drei Worte prägen Sally Perels Leben bis heute. "Wegen diesen drei Worten bin ich heute hier: Du sollst leben." Bewundernswert ist für ihn bis heute die Kraft seiner Mutter, die ihren eigenen Sohn hat gehen lassen. In den zwei Jahren ging Sally in Grodno (Ost-Polen) zur Schule und lernte dort Russisch. 

Briefkontakt zu seinen Eltern

Über Briefe hielt er noch einige Zeit Kontakt zu seinen Eltern, die mittlerweile im mit Stacheldraht eingezäunten Ghetto von Lodz leben mussten. Um nicht aufzufliegen trat Sally später der Hitlerjugend bei und wurde "ein Teil von ihnen". "Ich überlebte nicht in Ausschwitz, sondern unter Nazis. Für mich waren es dort nicht vier Jahre, sondern vier Ewigkeiten." Er stellte sich oft vor, was passieren würde, wenn er auffliegt. Mit der Zeit brannte sich die Ideologie aber auch bei ihm immer weiter ein, wie er offen zugibt. "Das war keine Verkleidung mehr. Ich wurde ein echter Hitlerjunge." Mit einem Punkt konnte er sich aber nie identifizieren: Mit der Judenvernichtung.

"Ich habe die Hand gehoben und Sieg Heil gerufen"

In seinem Kopf ist ein "nicht mehr gut zu machender Schaden entstanden". "Ich habe auch die Hand gehoben und Sieg Heil gerufen." Oft hat er sich die Frage gestellt, ob es richtig ist, was er tut. "Währen meine Glaubensbrüder vergast wurden, lebte ich mit dem Feind zusammen." Aber Sally erinnerte sich immer wieder an die Worte seiner Mutter: "Du sollst leben."Am 22. Juni 1941 kam es dann zum Überfall auf die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa). Sally musste nach Minsk fliehen. "Der Weg dorthin war die Hölle. Alles brannte, überall lagen Leichen auf dem Feld." In Minsk angekommen, wurden die Ausweise der Geflüchteten überprüft. War man Jude, wurde man im Wald erschossen. "Ich habe mich in der längsten Schlange angestellt, um Zeit zu gewinnen", sagt Sally. Um nicht aufzufliegen vergrub er in der Erde seinen Ausweis. Vorne angekommen kam dann die Frage des Nationalsozialisten: "Bist du Jude?"

Sally hört auf die Worte seiner Mutter

Sally dachte an die Worte seines Vaters. "Ich musste zwischen Leben und Tod entscheiden, zwischen Vater und Mutter." Da das Recht auf Leben für ihn über jeder Religion steht, hörte er auf seine Mutter und antwortete: "Ich bin kein Jude. Ich bin Volksdeutscher." Der Wachmann glaubte ihm und brachte ihn sofort zur Stabskompanie. "Dort habe ich das einzige Mal eine Waffe benutzt: eine Lüge." Auf die Frage nach seinem Namen antwortete er: "Josef." Das war der erste Name, der ihm in den Kopf kam.

Der fiktive Name Josef machte ihn zum "Hitlerjungen"

Diese Antwort machte Salomon Perel zum "Hitlerjungen" Josef Perjell. "Ich wurde dort dann Jupp genannt", erinnert sich Sally. In der Hitlerjugend kam ihm ein Junge dann immer näher. "Ich wusste am Anfang gar nicht, was er wollte." Das merkte Sally dann eines Tages, als er unter der Dusche war und dort von diesem Jungen überrascht wurde. "Da habe ich gemerkt, dass er homosexuell ist." In dem Moment dachte Sally "es sei vorbei", da der Junge sah, dass er beschnitten war. Sally fing an zu weinen. Doch der Junge sagte, dass er sich keine Sorgen machen braucht und nichts sagen würde.

Gefühl von Menschlichkeit

"Das war der einzige Moment in dem ich in der Hitlerjugend Menschlichkeit spürte." "Jupp es gibt auch ein anderes Deutschland", waren die aufmunternden Worte. Später ist dieser Junge im Krieg gefallen. Sally Perel ist später nach Lodz zurück gekommen, um seine Eltern im Ghetto zu suchen. "Ich bin mit der Straßenbahn zwölf Tage durchs Ghetto hin und her gefahren, da die Straßenbahn im Ghetto nicht gehalten hat." Er sah überall eingefrorene Leichen auf dem Boden liegen. Diese Bilder hat Sally nie vergessen.

Sallys Eltern sind tot

Seine Eltern sah er nie wieder. "Menschen, die bis Kriegsende im Ghetto gelebt haben, sagten mir, dass meine Eltern beide ums Leben kamen", sagt Sally traurig. 

Mehr zu seinem Besuch in Oberhausen lesen Sie hier.

Buch und Film erhältlich:

Wer die ganze Geschichte von Sally Perel erfahren will, kann diese in dessen Buch "Ich war Hitlerjunge Salomon" nachlesen. Dieses ist unter der ISBN Nummer 978-3-453-53483-4 in jeder Buchhandlung erhältlich. Sein Leben wurde auch verfilmt. Die DVD "Hitlerjunge Salomon" ist ebenfalls in jeder Buchhandluntg erhältlich.

Autor:

Christian Schaffeld aus Oberhausen

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