Sanieren statt planieren - Mutiges Projekt am Rothebusch
Von MARC KEITERLING
Es ist ein reizvolles Fleckchen Oberhausens an der höchsten Erhebung des Stadtgebiets am Rothebusch. Hier zwischen Bergstraße und Siepenstraße lebt es sich ruhig und schön - neue Eigenheime würden sich hier vermutlich ordentlich vermarkten lassen. Die Reimanns haben bezüglich des leerstehenden Waisenheims an der gleichnamigen Straße jedoch eine andere Idee.
Für Doris und Heinz Reimann gab es in der letzten Bezirksvertretung Osterfeld Glückwünsche aus dem Munde des Bezirksbürgermeisters Karl-Heinz Pflugbeil. Der Problemfall an der Waisenhausstraße, dazu hatte sich das Gebäude in den letzten Jahren zweifelsfrei entwickelt, ist vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung durch den Rat der Stadt gelöst. Der entsprechende Ratsbeschluss wurde noch nicht gefasst.
Danach wird das Gelände mit den insgesamt vier Gebäuden von den Reimanns erworben. Das westlich in Richtung Bergstraße angrenzende Wäldchen - dort befindet sich die aus Schlackensteinen erbaute Mariengrotte - verbleibt im städtischen Besitz. Eine Rodung ist nicht vorgesehen.
Der Kindergarten-Pavillion, zuletzt als Ausweichquartier durch die Waldorf-Kinder aus dem Bahnhof Osterfeld-Nord genutzt, soll im ersten Schritt renoviert werden. Der über eine Freifläche direkt angeschlossene Kindergarten St. Marien Rothebusch ist laut des kaufwilligen Ehepaares an einer Pacht interessiert.
Über eine Folgenutzung des zwischen 1907 und 1926 errichteten Waisenhauses wird laut Reimann nachgedacht. Zunächst muss das Gebäude kernsaniert werden. Dies trifft auch auf das Waschhaus mit Stallungen zu, wo ein Brand im Juli 2011 für den Teileinsturz des Dachstuhls sorgte. Auch das Blockhaus, einst Quartier des Hausmeisters, muss von Grund auf saniert werden.
„Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. An dieser Stelle solche Einfamilien-Reihenhäuser, alles zugebaut. Es ist doch wunderschön hier wie es ist. Mit der angrenzenden Kirche, den alten Bäumen“, lässt Heinz Reimann den Blick schweifen. Seine Ehefrau Doris ergänzt: „Wir haben hier als Kinder mit den im Heim lebenden Kindern gespielt. Die Jungs trafen sich auf dem Bolzplatz am Haus zum Fußball. Eine Reihenhaus-Siedlung würde diesen Ort zerstören.“
Das 1907 erbaute Gebäude an der Waisenhausstraße (vor 1937 Neustraße und von 1939 bis 1945 Ernst-von-Rath-Straße) diente zunächst als Altenheim, Waisenhaus und Kindergarten. Seinerzeit waren neben drei katholischen und zwei evangelischen Geistlichen als Waisenräte auch mehrere Waisenpflegerinnen tätig. Im April 1921 wandelte man einen Teil des Versorgungsheims in ein katholisches Waisenhaus um. Aus Mangel an Alteneinrichtungen wurde später das Dachgeschoss mit zwei großen Räumen ausgebaut. Da diese Maßnahme nicht ausreichte, beschloss die Stadtverordnetenversammlung 1924 eine Erweiterung des Gebäudes, um im Anbau eine Alteneinrichtung unterzubringen. Sie wurde im Juli 1926 ihrer Bestimmung übergeben.
Zum Ende des zweiten Weltkriegs 1945 - die Kinder waren nach Königshardt umquartiert worden - wurde das Haus bei einem Luftangriff stark beschädigt. Dennoch konnte schon bald der Betrieb als Kinderheim wieder aufgenommen werden. Wegen des eigenen Personalmangels schloss die Stadt 1949 mit den „Schönstätter Marienschwestern“ einen Betreuungsvertrag ab. Für die Schwestern dieses Ordens war Osterfeld nicht unbekannt, denn bereits 1928 hatten sie die Caritasarbeit für ganz Osterfeld übernommen. Im Oktober 1949 war es so weit und fünf Schönstätter Marienschwestern und ihre Oberin Schwester Ruth nahmen ihre Tätigkeit mit dem Ziel auf, den unter ihrer Obhut stehenden 50 Kindern, nach Mädchen und Jungen getrennt, ein Heim zu schaffen.
Anfang der 1950-er Jahre baute man neben dem großen Gebäude und vor dem kleinen Wäldchen einen Stall, der auch als Waschhaus genutzt wurde. Links vom Haupteingang entstand ein Blockhaus, welches dem Hausmeister als Dienstwohnung zur Verfügung stand. Mitte der 1950-er Jahre setzten sich in Deutschland neue Erziehungsprinzipien durch, die den herkömmlichen Heimbetrieb ablösten. Das Osterfelder Waisenhaus spielte in Nordrhein-Westfalen eine Vorreiterrolle. Nach umfangreichen Umbauarbeiten im Hause stellten die Verantwortlichen 1956 der Öffentlichkeit eine völlig neu strukturierte Einrichtung vor: Ordensschwestern mit sozialpädagogischer Fachausbildung wohnten nun mit den Kindern in abgeschlossenen Wohnungen mit Wohnzimmer, Schlafräumen, Küche und Bad. In jeder „Familie“ unterstützte außerdem eine Hausgehilfin die Wohngemeinschaft. Nachdem das Mädchenwohnheim aufgelöst und weitere Umbaumaßnahmen beendet waren, betreute die Einrichtung ab 1965 in acht Familien 90 Kinder.
Mit einem finanziellen Kraftakt in der Größenordnung von über 1,4 Millionen Mark - überwiegend von der Oberhausen aufgebracht - wurde ab 1973 das Gebäude von Grund auf saniert. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte das Waisenhaus insgesamt 13 Ordensschwestern. Bis 1986 betreuten die Schwestern das zuletzt nur noch von 16 Kindern bewohnte Kinderheim. Die Personal- und Betriebskosten sowie eine schlechte Finanzlage zwangen die Stadt, das Heim zu schließen.
Ende der 1980-er Jahre bezogen Aussiedlerfamilien aus Polen und der ehemaligen DDR das Gebäude. Um die zumeist katholischen Familien kümmerte sich die Gemeinde St. Marien Rothebusch. Durch Verhandlungen mit der Stadt gelang es der Pfarrgemeinde St. Marien 1989, für die Kinder der Bewohner in der ehemaligen Kapelle des Waisenhauses eine Kindertagesstätte mit 20 Plätzen einzurichten. Kontakt zu den Kindern der Gemeinde besteht schon deshalb, weil im Pavillon des ehemaligen Waisenhauses seit 1986 eine vierte Kindergartengruppe von St. Marien Rothebusch untergebracht war.
Als Anfang der 1990-er Jahre die bisherigen Bewohner in eigene Wohnungen wechselten, wurden das Waisenhaus für Aussiedlerfamilien, Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge eine vorübergehende Station. Sie kamen vorwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien und anderen Balkanstaaten. Auch hier konnte der Kindergarten, der seit dem Jahr 2002 in das Sprachförderungsprogramm des Landes integriert war, wertvolle Arbeit leisten. Nach Entspannung der Krisenherde in Osteuropa verblieb nur noch der Kindergarten in der ersten Etage des Gebäudes. Wegen der Einsparungen und Umstrukturierungen im Bistum Essen fiel letztendlich auch dieser am 31. Juli 2008 dem Rotstift zum Opfer.
Sanieren statt planieren - es ist angesichts ein völlig offenen, künftigen Nutzung ein mutiges Projekt, dass sich Unternehmer Heinz Reimann und seine Frau hier vorgenommen haben.
Autor:Marc Keiterling aus Essen |
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