Ironman auf Hawaii bestanden
Beim härtesten Ironman der Welt auf Hawaii hat Arthur Pohl erfolgreich nach harten Strapazen in 14 Stunden und 17 Minuten das Ziel erreicht. Bei seinem 16. Ironman in 16 Jahren erhielt er somit den Ritterschlag des Triathlonsports und darf sich nun Hawaii-Ironman nennen. Was sich aber hinter dem Mythos Hawaii an Realität verbirgt, schildert er in folgendem Bericht.
7 Uhr morgens. Ich plansche mit fast 2000 anderen Athleten im Wasser der Bucht von Kona und warte auf den Startschuß zum Ironman. Die Emotionen sind hoch. Alle sind angespannt und in freudiger Erwartung, dass es endlich losgeht. Ich möchte weinen, kämpfe aber dagegen an. Und schon ertönt der Startschuss und für Emotionen ist keine Zeit mehr. Bereits auf dem Weg zum Start war ich überwältigt. Ich darf beim Wettkampf der besten Ironmänner teilnehmen und habe das Gefühl, ich gehöre nicht dazu. Doch ich bin Teil der Elite, schließlich habe ich mich ja qualifiziert; ich, der eigentlich nur seinem Hobby frönt wie so viele andere auch.
Nach dem Startschuß verwandelt sich das Wasser in ein Haifischbecken. Tausende von Armen schlagen auf das Wasser ein, und durch die Enge nicht nur auf's Wasser. Schläge auf alle Glieder sind die Folge, und ich mache fleißig mit, ohne Absicht natürlich, was die Sache aber auch nicht angenehmer macht. Überraschendenweise entzerrt sich das Feld aber relativ schnell, und man kann ruhiger schwimmen, bis die schnelleren Frauen, die 15 Minuten später gestartet sind, in Gruppen auf uns aufschwimmen und wieder Hektik verbreiten. Von Mythos nichts zu spüren
. Nicht einmal die ansonsten schöne Meereswelt ist sichtbar, da die Fische bei der großen Menschenmenge offensichtlich das Weite gesucht haben. Der Wellengang hält sich in Grenzen, so dass die erste Disziplin ohne große Probleme vonstatten geht. Lediglich das durch das Salzwasser erzeugte unangenehme Kratzen im Hals bleibt auf dem Rad noch lange erhalten.
Erste Wechselzone
Nach 1:37 Stunde in die Wechselzone. Alles wie bei jedem Ironman. Kein Mythos zu erkennen. Man muss sich schon selber sagen: Das ist Hawaii! Das ist etwas Besonderes.
Auf dem Rad lässt sich alles recht gut an. Bei der Ausfahrt aus der Wechselzone suche ich nach meiner Familie. Würden sie mich sehen? Plötzlich ertönt die Stimme meines Sohnes. Sie sind da, und ich bin glücklich. Wieder stehen mir die Tränen in den Augen. Doch dafür bleibt keine Zeit. Ich sehe meine Frau, meinen Sohn und seine Freundin noch zweimal auf den ersten 12 km, bevor ich auf den sich endlos schlängelnden Highway abbiege. Ich mache gute Fortschritte.
Die Hitze ist erwartet, und ich bin mental darauf eingestellt. Viel trinken und mit Wasser kühlen. Allerdings sind die gereichten Getränke so süß, dass sich nach kurzer Zeit eine Aversion breitmacht. Die Alternative, nur Wasser zu trinken, ist zu riskant, da Mineralien verstärkt gebraucht werden. Zur weiteren Ernährung gibt es Bananen, Riegel und Gels. Alles ebenfalls extrem süß. Im Magen entwickelt sich mit der Zeit ein echter Kompot.
Heftiger Wind
Nach 50km kommt die erste Abbiegung und es ist vorbei mit dem zügigen Fahren. Ein heftiger Wind macht sich breit, der das Tempo enorm drückt, und als nach weiteren 15km auch noch verstärkt Steigungen ins Spiel kommen, legt der Wind noch zu, so dass ein vernünftiges Vorankommen gar nicht mehr möglich ist. Das Gefühl, am Berg von einem überdimensionalen Fön von vorne rechts beblasen zu werden, entzieht dem Körper unendlich viel Energie. Dazu muss man das Lenkrad mit aller Kraft festhalten, um nicht von der Straße geweht zu werden. An der Wende bei 96km, dem höchsten Punkt der Strecke, endlich wieder ein Ort. Anfeuerung durch die Zuschauer, gute Stimmung, Unterstützung. Man fühlt sich wieder lebendig und geschätzt und vergisst für kurze Zeit die vorangegangene Quälerei. Die recht schnelle Fahrt bergab macht wieder Mut, doch nachdem der Highway wieder erreicht ist, geht es erneut ziemlich einsam durch die heiße Lavawüste geradeaus über 50km zurück in die Stadt. Frustriert muss ich feststellen, dass ich immer langsamer werde, nicht zuletzt wegen eines heftigen Gegenwindes. Ich kämpfe so gut es geht gegen Wind, Hitze, abstoßende Nahrung und Getränke. Es gibt keine Alternative. Kurz vor Erreichen der Stadt sehe ich schon eine große Anzahl von Läufern, die mir entgegenkommt, aber auch einige, die sich dem Ziel nähern. Nicht sehr aufbauend, wenn man weiß, dass man noch Stunden unterwegs sein wird. So kann sich auch kein Mythos-Feeling einstellen.
Mythos Hawaii
Nach für mich traurigen 6:52 Stunden auf dem Rad erreiche ich völlig erschöpft die Wechselzone und schleppe mich langsam über eine gefühlt ewig lange Strecke ins Wechselzelt. Schuhe wechseln, ein bisschen Abkühlung, ein Toilettengang, eine neue Lage Sonnencreme und wieder hinaus auf die Strecke. Warum habe ich nicht das Gefühl, dass alles anders ist als sonst? Ich bin doch auf Hawaii?
Ich zwinge mich, Laufbewegungen zu machen, die zugleich Magenbeschwerden und Oberschenkelschmerzen verursachen. Nach nur wenigen Metern sehe ich meine Frau und nehme die Gelegenheit wahr, kurz anzuhalten, um mir einen Energiekuss abzuholen. Kurze Zeit später treffe ich auf meinen Sohn und seine Freundin, die mich euphorisch ermuntern und versuchen aufzubauen. "Du schaffst das!" Ein Spruch, der ständig an der Strecke wiederholt wird. Vielleicht nicht immer der richtige Ausdruck, denn ich weiß am besten, dass ich es schaffen werde, wenn mir nicht der Himmel auf den Kopf fällt. Dafür bin ich hier. Was ich nicht schaffen würde, war mir aber auch klar. Eine für mich akzeptable Zeit. Jetzt zählt nur noch, alles mit so wenig Schmerzen wie möglich zu Ende zu bringen.
Ich hatte mir dafür eine Taktik zurecht gelegt, die das bewerkstelligen sollte. Kurze Strecken joggen, dann besonders bei den Verpflegungsstellen, die es ca. alle 2km gibt, ein bisschen spazieren, wieder laufen, spazieren usw. Wenn da nicht diese seltsamen Magenbeschwerden wären. Ich muss etwas richtiges essen. Zu meinem Glück gibt es an einigen Ständen kleine Bretzel und zweimal sogar Nüsse, die für den Magen Wunder bewirken.
Schmerzen in den Beinen
Dafür treten dann die Schmerzen in den Beinen in den Vordergrund. Das im Vorfeld verletzte Knie zeigt keine Reaktion. Kann ja nicht so schlimm sein!
Nach 2 Stunden habe ich schließlich 16km geschafft und sehe, wie immer mehr Athleten mir entgegenkommen und das Ziel ansteuern. Keine motivierende Situation. Immerhin kann ich an diesem Punkt nochmal meine Familie treffen und über das Handy meines Sohnes eine kurze Videobotschaft an meine Fangemeinde nach Hause schicken.
Danach kommt der sportlich gesehen unbefriedigendste Teil. Die Dämmerung setzt ein, und es geht zurück auf den Highway, den ich schon vom Rad kenne. Nicht viel später ist es vollständig dunkel. Knicklichter werden verteilt, damit man sich nicht gegenseitig umrennt. Einige Teilnehmer haben sie wie Heiligenscheine auf dem Kopf befestigt. Ein gutes Omen! Meines hängt wie bei den meisten um den Hals. Die unbeleuchtete Straße ist damit allerdings nicht zu erkennen. Die einzigen Lichtspender sind einige wenige Ampeln und die Verpflegungsstationen.
Als man schließlich ins Energy-Lab abbiegt, ist praktisch gar nichts mehr zu sehen. Selbst die Verkehrshütchen, die die Läufer trennen sollen, sieht man erst im letzten Moment. Alles hat geisterhafte Züge und erinnert eher an eine Nachtwanderung als an eine Sportveranstaltung, da die meisten Teilnehmer kaum noch joggen. Ich halte an meiner Taktik fest, warte aber geduldig auf Teilstücke, die heller sind, bevor ich wieder ins Laufen komme. So elend ich mich auch fühle, so sehe ich doch, dass es den meisten anderen erheblich schlechter geht. Kurze Gespräche mit den Leidensgenossen, die schon lange keine Konkurrenten mehr sind, verkürzen gefühlt die Zeit, haben sie wahrscheinlich aber objektiv verlängert.
Ziel rückt näher
Das Ziel rückt näher, die Motivation steigt, nicht zuletzt, da ich eine für mich perfekte Ernährung entdecke: Hühnerbrühe. Ein selten kulinarischer Genuss, den kein 5-Sterne- Koch mir da hätte bieten können. Ich verzichte ab sofort auf das süße Zeug, und Wasser schütte ich mir nur noch über den Kopf.
Bei Kilometer 40 endlich wieder Licht und die Gewissheit, dass es gleich geschafft ist. Erste Gefühle, dass man in Kürze ein Hawaii-Ironman sein wird, zeigen in die Richtung eines Mythos. Selbstbewusst nehme ich mir vor, den Rest der Strecke durchzulaufen: hinunter die extrem steile Palani Road, die ich auf dem Hinweg noch quälend langsam hochgegangen bin. Heftiger Oberschenkelschmerz! Egal! Immer noch eine große Anzahl an Zuschauern, die jeden, der vorbeikommt, ermuntert. Da darf ich nicht mehr anhalten. Nach einer Linkskurve meine Familie. Ein flüchtiges Küsschen für meine Frau und noch einen Kilometer überstehen. In die Stadtmitte! Genug Ablenkung von den Schmerzen durch die Zuschauer. Auf den mit Teppich ausgelegten Zielkanal. Unzählige Arme strecken sich mir entgegen. Ich klatsche so viele wie möglich ab. Es fühlt sich gut an. Ich weiß nicht, ob ich weinen soll, aber kurioserweise habe ich dieses Bedürfnis zu dem Zeitpunkt nicht.
14:17 Stunden
Die Ziellinie überquere ich dann nach einem Lauf von 5:32 Stunden und einer Gesamtzeit von 14:17 Stunden. So langsam war ich noch nie, und dennoch ist es die größte Leistung. Ich bin nicht mehr nur ein Ironman, sondern ich erhalte den Ritterschlag: IRONMAN - HAWAII. Da ist er endlich: der Mythos! Doch nun ist er es nur noch für die anderen, all jene, die noch nicht hier waren. Für mich ist die Sache erledigt. Ich bin jetzt ein Teil dieses Mythos.
Im Ziel werde ich mit einer Halskette und einem Handtuch in Empfang genommen und schnell der Routineabfertigung zugeführt, nachdem ich meiner Frau noch schnell ein Küsschen geben durfte. Man zeigt mir die unterschiedlichen Stände für Essen und Trinken, einen Bierstand suche ich allerdings vergeblich. Das ist ein harter Schlag. Duschen sind nicht existent. Umziehen geht nur in einer engen Herrentoilette, was sich so alleine nur unter Schmerzen bewerkstelligen lässt.
Auf eine Massage verzichte ich, da mir die Wartezeit zu lang erscheint. So bleibt mir nur noch, meine Frau zu treffen, um mit ihr die strapaziösen 1,5km bergauf zu unserem Appartement zu gehen, wo ich letztendlich mein wohlverdientes Bierchen trinken kann.
Der Ironman Hawaii findet so ein recht profanes Ende, und dennoch fühlt es sich im Nachhinein an, als hätte ich nicht nur einen Wettkampf beendet. Ich habe einen Mythos bezwungen. Denn erst die Verarbeitung des gesamten Wettkampfs kann zu solch einem Gefühl führen. Die durchlebte Realität unterliegt anderen Kriterien. Es geht mir trotz der körperlichen Nachwehen extrem gut.
Autor:Jörg Vorholt aus Oberhausen |
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