Die stille Entfremdung: Wie wir uns zunehmend von der Natur entfernen

Es war ein stiller Morgen, als ich durch den nahegelegenen Wald spazierte. Der Tau lag noch schwer auf den Blättern, die Vögel zwitscherten, und ein sanfter Wind raschelte durch die Bäume. Ein Moment, den viele als idyllisch beschreiben würden, doch ich bemerkte, dass ich allein war. Früher waren Spaziergänge in der Natur ein alltäglicher Bestandteil des Lebens, doch heute scheint sich das Bild zu wandeln. Wir entfernen uns zunehmend von der Natur – und oft bemerken wir es nicht einmal.

Die Entfremdung wächst

In unserer modernen Welt, in der Technik, digitale Kommunikation und urbanes Leben dominieren, gerät die Natur zunehmend aus dem Blickfeld. Wo früher ein Spaziergang im Wald, ein Picknick am See oder das Beobachten der Sterne zur Wochenendroutine gehörten, ist heute häufig der Fernseher, das Smartphone oder der nächste Streaming-Marathon der bevorzugte Zeitvertreib. Besonders in städtischen Gebieten ist die Natur oft nur noch ein Hintergrundrauschen, das im hektischen Alltag leicht übersehen wird.

Die Entfremdung von der Natur zeigt sich nicht nur in unserem Lebensstil, sondern auch in unserer Sprache und Kultur. Traditionelle Kenntnisse über Pflanzen, Tiere und Wetterphänomene gehen verloren, da sie im Alltag keine Rolle mehr spielen. Kinder wissen oft mehr über virtuelle Welten als über die Natur vor ihrer Haustür. Das hat nicht nur Auswirkungen auf unsere Beziehung zur Umwelt, sondern auch auf unsere mentale und körperliche Gesundheit. Studien zeigen, dass regelmäßiger Kontakt mit der Natur Stress reduziert und das Wohlbefinden steigert. Doch wenn dieser Kontakt fehlt, entstehen Lücken, die nicht so einfach zu schließen sind.

Gründe und Folgen

Einer der Hauptgründe für die zunehmende Entfremdung ist die Urbanisierung. Immer mehr Menschen leben in Städten, die oft wenig Grünflächen bieten. Selbst dort, wo Parks und Gärten vorhanden sind, werden sie häufig als schmückendes Beiwerk und nicht als essenzieller Teil des Lebens betrachtet. Zudem verbringen viele Menschen den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen – sei es bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause. Der Drang, nach draußen zu gehen und die Natur zu erleben, schwindet oft, besonders wenn die Natur nicht direkt zugänglich ist.

Eine weitere Ursache ist die digitale Revolution. Mit der Verbreitung von Smartphones, sozialen Medien und digitalen Unterhaltungsangeboten verbringen wir immer mehr Zeit vor Bildschirmen. Die Natur wird oft nur noch in Form von Bildern oder Videos konsumiert, während der direkte Kontakt fehlt. Dies führt zu einer oberflächlichen Wahrnehmung der Umwelt, bei der tiefere Verbindungen und ein echtes Verständnis für die Natur verloren gehen.

Die Folgen dieser Entfremdung sind vielfältig und besorgniserregend. Ohne eine enge Verbindung zur Natur sinkt unser Bewusstsein für Umweltprobleme. Klimawandel, Artensterben und Umweltverschmutzung werden oft als abstrakte Themen wahrgenommen, die uns persönlich wenig betreffen. Doch diese Distanz kann dazu führen, dass wir uns weniger engagieren und weniger bereit sind, unser Verhalten zu ändern, um die Umwelt zu schützen.

Das Beispiel Oberhausen: Eine Stadt entfernt sich von der Natur

Ein besonders alarmierendes Beispiel für diese Entfremdung zeigt sich aktuell in Oberhausen. Die Stadtverwaltung hat in jüngster Zeit mehrere Entscheidungen getroffen, die zeigen, wie weit die Natur in den Prioritäten einer modernen Stadt gesunken ist. So plant die Stadt, große Teile des Sterkrader Waldes zu roden, um Platz für den Ausbau der A3 und A42 zu schaffen. Diese Maßnahmen dienen vorrangig dem Autoverkehr und wirtschaftlichen Interessen – auf Kosten der Umwelt und der Bürger.

Der Sterkrader Wald ist ein wertvolles Naherholungsgebiet für die Menschen in Oberhausen. Er bietet nicht nur Ruhe und Entspannung, sondern ist auch Heimat vieler Tierarten, die hier Schutz und Nahrung finden. Doch diese Bedeutung scheint für die Stadtverwaltung nachrangig zu sein. Die Entscheidung, den Wald für eine Autobahn zu opfern, zeigt, wie wenig Wert auf den Erhalt natürlicher Lebensräume gelegt wird.

Noch gravierender ist die Tatsache, dass durch diese Maßnahmen Tieren ihr Lebensraum entzogen wird. Zahlreiche Vögel, Kleinsäuger und Insekten sind auf die alten Bäume und das dichte Unterholz des Waldes angewiesen. Mit der Abholzung des Waldes werden diese Tiere obdachlos – und das in einer Zeit, in der der Verlust von Lebensräumen weltweit ein drängendes Problem ist. Die Stadtverwaltung nimmt in Kauf, dass diese Tiere entweder abwandern oder sterben, nur um Platz für den Verkehr zu schaffen.

Ein weiterer Fall: Die Tiere der Familie Reißner an der Forststraße

Doch der Sterkrader Wald ist nicht das einzige Beispiel für die schleichende Entfremdung zwischen Mensch und Natur in Oberhausen. Ein weiteres trauriges Kapitel wurde kürzlich an der Forststraße geschrieben, wo die Stadtverwaltung die Unterkünfte der dort lebenden Tiere rücksichtslos abreißen ließ. Dieses Vorgehen offenbart nicht nur einen weiteren tiefen Bruch zwischen städtischer Politik und Naturschutz, sondern auch eine bedenkliche Missachtung des demokratischen Willens und des öffentlichen Interesses.

Die Familie Reißner, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Tieren der Umgebung ein sicheres Zuhause zu bieten. Ihre Mühen wurden von der Nachbarschaft geschätzt und unterstützt. Über die Jahre hinweg hatten sie eine Oase für Hühner, Enten, Wachteln, Gäsen und viele andere Tierarten geschaffen, die in der zunehmend urbanisierten Umgebung Oberhausens immer weniger zu finden sind.

Als die Nachricht über den geplanten Abriss bekannt wurde, regte sich schnell Widerstand. Petitionen wurden eingereicht, in denen Bürger ihre Sorge und ihr Unverständnis zum Ausdruck brachten. Sie forderten, den Lebensraum der Tiere zu erhalten und mahnten, dass der Schutz der Natur nicht dem Profitstreben geopfert werden dürfe. Doch die Stadtverwaltung schlug diese Einwände in den Wind. Der Abriss wurde trotz zahlreicher Proteste durchgeführt – und das ohne Rücksicht auf die Tiere, die dort lebten, und ohne den Bürgern eine echte Mitsprachemöglichkeit einzuräumen.

Dieser Fall zeigt auf dramatische Weise, wie weit die Stadtpolitik von den Bedürfnissen ihrer Bürger und der Natur entfernt ist. Während die Tiere ihre Heimat verloren haben, bleibt die Frage im Raum stehen, was mit den demokratischen Prinzipien geschehen ist, auf denen eine gesunde Stadtgesellschaft basieren sollte. Es scheint, als würden wirtschaftliche Interessen immer öfter über den Schutz der Umwelt und die Wünsche der Bürger gestellt.

Die Tiere der Familie Reißner waren nun obdachlos, und das Beispiel zeigt einmal mehr, wie wenig Bedeutung die Natur in unserer städtischen Planung noch hat. Es ist ein weiteres Symptom der Entfremdung, die uns langsam aber sicher von der Natur trennt – und dabei auch unsere menschlichen Werte und Prinzipien in Frage stellt. Die Stadt Oberhausen muss sich entscheiden: Will sie eine Stadt sein, die ihre Bürger und die Natur respektiert, oder wird sie weiter den Pfad der Zerstörung gehen, der am Ende uns allen schaden wird?

Unverantwortliches Handeln der Stadtverwaltung

Die Entscheidung der Stadt Oberhausen steht sinnbildlich für den Konflikt zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen, der sich in vielen Städten abspielt. Doch in Oberhausen hat sich die Verwaltung offensichtlich für den kurzfristigen wirtschaftlichen Nutzen entschieden, ohne die langfristigen Schäden für die Umwelt und die Lebensqualität der Bürger ausreichend zu berücksichtigen. Die Bürger werden mit den Folgen dieser Entscheidung leben müssen – schlechtere Luftqualität, weniger Grünflächen und ein irreversibler Verlust an Artenvielfalt.

Das Vorgehen der Stadtverwaltung zeigt eine erschreckende Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Natur und der Menschen, die von ihr profitieren. Der Sterkrader Wald oder die Tiere an der Forststraße hätten geschützt und als Teil der städtischen Umweltstrategie genutzt werden können. Stattdessen wird der Sterkrader Wald dem Straßenbau geopfert und die Tiere Opfer politischem Unverständnis, was einmal mehr verdeutlicht, wie entfremdet die städtische Politik von den natürlichen Bedürfnissen und den Interessen der Bürger ist.

Ist Umdenken möglich?

Trotz dieser Entwicklung gibt es Hoffnung. Immer mehr Menschen in Oberhausen und darüber hinaus erkennen die Bedeutung der Natur für ihr Wohlbefinden und erheben ihre Stimme gegen solche Eingriffe. Proteste und Bürgerinitiativen, die den Schutz des Sterkrader Waldes fordern, zeigen, dass ein Umdenken möglich ist. Auch wenn die Stadtverwaltung bisher an ihren Plänen festhält, könnten der öffentliche Druck und ein wachsendes Umweltbewusstsein dazu führen, dass zukünftige Projekte anders gestaltet werden.

Besonders wichtig ist es, bereits Kindern den Wert der Natur zu vermitteln, damit sie diese Verbindung nicht verlieren. Initiativen zur Umweltbildung und der Erhalt städtischer Grünflächen können dazu beitragen, die Entfremdung zu stoppen. Langfristig bedarf es jedoch eines grundlegenden Wandels in der städtischen Politik, der die Natur nicht als nachrangiges Gut behandelt, sondern als zentralen Bestandteil des städtischen Lebensraums.

Die Entfremdung zwischen Mensch und Natur ist ein stiller Prozess, der oft unbemerkt verläuft. Doch je mehr wir uns der Natur entfremden, desto mehr verlieren wir einen wichtigen Teil von uns selbst. Es liegt an uns allen – Bürgern, Politikern und Stadtplanern – diesen Trend zu stoppen und die Natur wieder in unser Leben zu integrieren. Die Entscheidung der Stadt Oberhausen mag ein Symptom dieser Entfremdung sein, doch sie kann auch der Auslöser für ein Umdenken sein, bevor es zu spät ist.

Autor:

Timo Müller aus Dinslaken

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