Zur laufenden Ausstellung des wichtigsten dänischen Gegenwartskünstlers Per Kirkeby Eindrücke einer Lyrikerin von dem umfangreichen Schaffen des studierten Geologen

Per Kirkeby auf der Vernissage im MKM | Foto: Frank Gebauer
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  • Per Kirkeby auf der Vernissage im MKM
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Per Kirkeby sagte einmal, " er brauche diesen riesigen Apparat, um überhaupt anfangen zu können " .
Er ist ein außergewöhnlicher intellektueller Maler, der die Beobachtung aus dem Blickwinkel der Wissenschaft wählt.
Sei es als promovierter Geologe, als Leser und Verfasser vieler Bücher, eigener Gedichtbände, Buchumschläge.
1982 wird er zum Mitglied der dänischen Literaturakademie ernannt. Er versteht nach eigener Aussage etwas von Kunstgeschichte, Räumlichkeit und Philosophie. Ebenso können u.a. seine Expeditionen nach Grönland oder seine Reisen ins Land der Mayas als Quelle seiner Inspiration angesehen werden.
Sein Wissen und seine Erfahrungen dienen ihm als Orientierung, die er überwinden muss, wenn er den eigentlichen Malprozess angeht, wobei sein Instinkt den schöpferischen Impuls leitet. " In dem Moment, in dem das alles weg ist, entsteht das Bild, " sagt er.

Die Ausstellung in Duisburg spürt deshalb im Gegensatz zu früheren Werkschauen zum ersten Mal ganz bewusst dieser Schaffensweise in ihrer Gesamtheit nach, die sich bei Kirkeby in der Vielfalt seiner lebenslangen künstlerischen Arbeit niederschlägt.
Man trifft deshalb in der ersten Begehung der vorderen Ausstellungsräume zunächst auf sein Frühwerk, seine Fotografien und filmischen Experimente.
Mitte der sechziger Jahre verwendete er Achtmillimeterfilme für den Amateurgebrauch. Er liess den Film zweimal durch die Kamera laufen und erzielte somit eine Doppelbelichtung.
In der Überlagerung erkennt der Lyriker die Metaphorik, derer sich Kirkeby bedient, um eine komplexe Bildwirkung zu schaffen, einen künstlerischen Kosmos an Assoziationen zu ermöglichen.

Sein Ausgangspunkt ist die Beobachtung von Formen in der Natur, die er - erdschichtengleich - sich überlagernd - in künstlerische Strukturen übersetzt.
Wie lässt sich eine Beobachtung festhalten ? Und die Wahrnehmung, die Fragwürdigkeit des direkten Sehens künstlerisch umsetzen ?
" Aus der Wechselwirkung sich gegenseitig bedingender Muster entstehen Wiederholungen von Formen, die in sich selbst überlassenen Prozessen hervortreten. Bei der Auseinandersetzung mit Maltechniken habe ich viel mit zufällig entstehenden Mustern experimentiert, deren Ähnlichkeit mit natürlichen Strukturen mich interessierte, da sie deren Darstellung erleichtert und ein Gespür für ihre Entstehung gibt, " schrieb einmal der Münchener Maler Hans Wißmeier.

Lars Morell, einer der Kuratoren Per Kirkebys, spricht von " Strukturbildern, die bei Kirkeby komplizierter, komplexer, mehrdeutiger erscheinen " , als Strukturalismus und Poststrukturalismus in den 60zigern aufzeigten, zu der Zeit diese Strömung als Modephilosophie galt.
" Das Besondere bei Kirkeby findet sich in der Struktur beziehungsweise in der Überlagerung vieler Strukturen. "
Seine besondere Bildauffassung liegt in seinem strukturellen Standpunkt. Nicht im Motiv oder der bloßen Komposition.
Das wäre aus meiner Sicht zu wenig, um tiefergehende Entwicklungen, Transformationen, z.T. im Rückgriff auf früheren Zitat - und Gedankenvorrat bildlich darzustellen.
Seine metaphorische Verwendung naturwissenschaftlicher Begriffe, die Gesetzmäßigkeiten in der Natur folgen und damit das Spektrum auf allgemeine Prozesse deckungsgleich in historische wie auch moderne Bereiche öffnen, das sich durch die unmittelbare Betrachtung seiner Bilder nicht sofort erschliesst, sondern erst durch eigene Kenntnis von allgemeingültigen Zyklen, konzentrischen Kreisen, Veränderungen, Rückgriffen und Entwicklungen nachvollzogen werden und dadurch Assoziationen hervorrufen kann.
Wobei bildliche Metaphern da anfangen, wo die Sprache aufhört.
Die gewählte Abstraktion den Eindruck von etwas völlig Eigenständigem herstellt, sein allumfassender pantheistischer Stilvorrat meines Erachtens Kirkebys Grösse offenbart.
Brüche, mehrere sich überlagernde Strukturen oder verborgene in Form von Zitaten, Kodierungen, Verschlüsselungen.
Eine überaus lyrische Herangehensweise, wenn ein Poet, der er ja auch ist, mit mehrdeutigen geologischen Metaphern arbeitet.
Seine Fotografien auf seinen Expeditionen nach Grönland zeigen ein geologisches Material, " aus dem Kirkeby Kunst macht, " wobei sich der Prozess im tiefsten Inneren nicht kontrollieren lässt " .
Es ist, als vollzöge Kirkeby unbewusst eine zeitlose Entwicklung künstlerisch nach - dynamisch wie in einem Film - von der man am Anfang nicht weiss, wohin sie führen wird, das Resultat veränderlich bleibt, in der sich die Strukturen erneut ausrichten werden.
Seine früheren Collagen mit Pop-Art-Zitaten zeigen die unterschiedlichen Strukturen, die einander überlagern, auf. Collage und Montage bleiben von nun an unterschwellig als Voraussetzung in seinem kommenden Werk bestehen.
Er ist ein Bricoleur, der sich aneignet, was er findet. Versucht in den Sechzigern, seine eigene Auffassung der Collage auszuloten, indem er sich von Max Ernsts surrealistischen Collagen über die Werke der Dadaisten bis zur Dékollage anregen lässt.
In seinen Feldbüchern in Form von achzig Radierungen sind wiederkehrende Inspirationsquellen aus Übermalungen, Collagen, Verweisen auf Comics und geologische Karten zu entdecken.
Grosse Teile seines Werks sind kaum je rezipiert worden, die frühen Masonitarbeiten aus den Jahren 1964/65, wichtige Höhepunkte seines grafischen Werks, die grossen Zeichnungen und die Monotypien. Seine spätere Wandmalerei in einer Kapelle in Italien.

Was ist aber der Grund, auf geologische Schichten in seiner Malerei zurückzugreifen ?
In einem Ateliergespräch mit dem Kurator der Ausstellung, Prof. Siegfried Gohr, vom 22. September 2011, verdeutlicht Kirkeby den geologischen Begriff
" Verwerfung " : " In der Geologie spaltet eine Verwerfung Gesteinsschichten. In dem Spalt verschiebt sich alles. In dem Spalt entsteht eine andere Mineralstruktur. "
Felsenränder in byzantinischen Landschaften, Balken, die sich verlagern.
Eine Art, eine Komposition zu steuern, welche man nicht in Worte fassen kann.
Multistrukturelle Schichten, die übereinander liegen, die kollidieren.
In erster Linie verwendet Kirkeby Strukturen, um einen Bruch herzustellen.
In seinen Bildern sieht er schwarze Löcher, Verwerfungen, Verschiebungen, Faltungen, Erdbeben, aber auch Bruchlinien, Erhebungen und Senkungen, Strukturen der Landschaft, auf die Leinwand aufgetragen. Die zusammenbricht, damit kompliziertere Verläufe entstehen.
Nachvollzogen hat Kirkeby diese Abläufe in seiner Reise zu den versunkenen Mayakulturen 1971, wo er umfassend ihre Kultur und Architektur studierte.
Den Zusammenbruch ihres Systems, die Überwucherung der Reste und Fragmente ihrer architektonischen Hinterlassenschaft durch wirkende Natur - und Zeitprozesse, verarbeitete er in seinen Bildern.
Der Mensch ist ausser in seinem Frühwerk nicht abgebildet, sondern nur in seiner historischen Hinterlassenschaft anwesend, in gebrochenen Fundamentzeichen, die wiederum von anderen Strukturen überlagert werden.
Für mich als Lyrikerin sind das " Zeitalter der Verwerfungen " .
Sein Pilzmotiv durchzieht sein Werk, in alle Richtungen wuchernde Pilzmyzele, die nicht wie Bäume durch Wurzelwerk im Boden fest verankert sind. Nein, eine Struktur ohne Zentrum, die sich wie ein Krebsgeschwür in alle Richtungen ausbreitet. Eine Metapher, die Ängste hervorrufen kann.
Überhaupt fällt die düster und bedrohlich wirkende Farbgebung auf, die erst in seinen Spätwerken eine Wendung nimmt, durch heitere strahlende Farben überraschen, sich in Phantasmagorien steigern. Als feiere der Künstler zur Neige eines gestaltungsreichen Lebens die Schöpfung in ihrer Grossartigkeit bis hin zur Märchenhaftigkeit, so in " Portugallien " - ein Werk Selma Lagerlöfs -
die die Brüche und Verwerfungen in der Welt übersteigt oder durch sie erst zum Tragen kommt.
Seine Farbwelt ist ausgesprochen lyrisch; sein grenzüberschreitendes Werk der verschiedensten Künste schlägt sich auch in den vorherrschenden Namen wieder, die er seinen Bildern gibt : " Ohne Titel " .
Vielfach taucht auch der Titel " Restlandschaft " auf. Sie ist eigentlich ein Beleg für die Umnutzungsdynamik des gewaltigen Verbrauchs an Flächenressourcen des Menschen durch Verkehr und Industrie, erzeugen aber ihren eigenen rustikalen Reiz.

Die Problematik der Wahrnehmung, des unmittelbaren Sehens und der Zweifel am Erkennen ergibt neue Möglichkeiten für den modernen Künstler.
Siegfried Gohr zeigt dies an der Kreuzung der vertikalen Erinnerung mit der Horizontalen der Gegenwart auf. " Zwischen beiden Bewegungen blieben , Zonen des Ungewissen, für die der Künstler eine Struktur suchen musste, ohne die blinden Flecken zu negieren. "
Zwei schöpferische Energien ergaben sich für Per Kirkeby aus der verfahrenen Lage der modernen Kunst. Zum einen die Schwierigkeit des Erinnerns, der Traditionsbildung, zum anderen der Zweifel an der Zuverlässigkeit des Blicks.
Es geht um Wahrnehmungsverschiebung und die Rolle des einzelnen, sich auf Veränderungen durch Beobachtung einzustellen. Verschiedene Wahrnehmungstheorien haben sich mit dem Phänomen befasst.
Seine Skulpturen und Architekturmodelle weisen Oberflächenstrukturen auf, die an erodierendes Felsgestein erinnern, an denen der Zahn der Zeit seine Veränderungen in visueller und haptischer Form vornehmen wird.

Die abwechslungsreiche und höchst empfehlenswerte Werkschau läuft noch bis zum 28. Mai 2012.
Am 26. April um 18 Uhr 30 findet im MKM eine Führung mit Lesung der Texte von Per Kirkeby statt.
Eintritt : 8,- Euro ( Abendkasse im Museum ) incl. Eintritt in die Ausstellung.
Anmeldung : VHS Duisburg, Tel. : 0203-283 2206 oder a.thierfelder@stadt-duisburg.de

Kinder unter 18 Jahren haben freien Eintritt in die Ausstellung.

www.museum-kueppersmuehle.de
Fotos: MKM Pressebilder und Frank Gebauer

Autor:

Claudia Wädlich aus Oberhausen

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