Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
UK WOMEN - Britische Fotografinnen zeigen starke Fotos aus dem Vereinigten Königreich
Unter dem Titel "UK Women – Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität" zeigt die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen 28 Foto-Serien aus dem Vereinigten Königreich. Das Besondere daran, alle Fotos sind ausschließlich von Fotografinnen aus drei Generationen erstellt. So eine Ausstellung von britischer Fotografie aus rein weiblicher Sicht wurde bisher noch nie in Deutschland gezeigt. Eine echte Pionierausstellung und unbedingt sehenswert!
Was fällt einem ein, denkt man an Großbritannien? Man mag an die Royal Family denken, an Teatime in plüschigen Sesseln, an Cornwall-Postkarten-Idylle, natürlich an den Brexit, an Fußball und Liverpool, an die unsterblichen Beatles, an den nervigen Linksverkehr und die roten Doppeldeckerbusse... Der Inselstaat ist mit vielen Klischees behaftet, die aber nicht über gesellschaftliche und soziale Umbrüche, über politische Instabilität und hohe Arbeitslosigkeit hinwegtäuschen können.
Wie 28 britische Fotografinnen aus drei Generationen ihr United Kingdom sehen, zeigt die Ausstellung in 220 starken Bildern, kuratiert von Ralph Goertz. Von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart beleuchten sie Themen wie Sozialkritik, Migration, Genderidentität, Community und Diversität in ihren seriellen Arbeiten. Es handelt sich aber nicht ausschließlich um dokumentarische Fotos, sie bringen auch ihre ganz persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit ein, stellen sich auch selbst in den Fokus und kreieren zudem auch ihre ganz eigene Bildsprache. Die Fotografie wird dabei zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel. Je nach der Zeit, in der die Fotografien entstanden sind, überwiegt das eine mehr als das andere.
Spannende Entdeckungsreise durch 28 fotografische Positionen
Die Ausstellung ist eine spannende Entdeckungsreise, denn die Fotoarbeiten werden nicht chronologisch präsentiert, sondern in jedem Raum stehen sich Fotoserien aus verschiedenen Zeiten und Themen gegenüber. Man wird immer neu überrascht. Jede Fotoserie erzählt eine ganz individuelle Geschichte. Kleine Wandtexte geben Auskunft zur Fotografin, erleichtern die zeitliche Zuordnung, erklären Themen und Beweggründe.
Zu empfehlen ist das Booklet, darin werden die Fotografinnen und ihre Arbeiten in zeitlicher Abfolge vorgestellt.
Hier ein kleiner Überblick:
In den 1970er Jahren überwiegt die Dokumentarfotografie in harten, grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Markéta Luskačová, 1975 von Tschechien nach England immigriert, fotografiert Menschen an der Küste von Whitley Bay in Nordengland. Man spürt förmlich das raue Klima eines typisch englischen Sommers, das den Familien bei ihrer Freizeit am Strand offensichtlich nichts anhaben kann.
Fran May hält Szenen von Flohmarktverkäufen auf der Brick Lane in London fest. Nur ein Häuserblock vom feinen Finanzbezirk entfernt, verkaufen sozial schwach gestellte Leute ihr wenig Hab und Gut aus dem Kofferraum heraus. Auch die Serien von Tish Murtha und Margaret Mitchell können der Gesellschaftsreportage zugeordnet werden. Ihre eindringlichen Fotos aus sozial benachteiligten Vierteln, über "gewöhnliche Menschen mit einem gewöhnlichen Leben" dokumentieren soziale Ungleichheit und die daraus folgende Perspektivlosigkeit der jungen Generation.
Ab den 1980ern kommt zusehends Farbe ins Spiel. Und bis in die 1990er hinein werden die Fotografinnen experimentierfreudiger und suchen ihre eigene künstlerische Bildsprache für die Themen, die sie bewegen bzw. reizen. Anna Fox zeigt die oftmals skurrile Arbeitswelt in den Büros in der Ära von Premierministerin Margret Thatcher. Elaine Constantine entwirft das Gegenbild zu den in den 90ern berühmten Supermodels. Sie fotografiert stattdessen Teenager in wilden, verrückten Posen.
Ab den 2000er Jahren bis in die Gegenwart wird die Fotografie immer mehr zu einem künstlerischen Medium. Die Fotografinnen verarbeiten persönliche Identitätsfragen, schaffen eindrucksvolle Portraitaufnahmen. Sandra Mickiewicz nimmt sich der in England kritisch beäugten Gruppe der "Gypsy & Travellers" an und zeigt sie als sympathische Community, während Arpita Shah ausschließlich Frauen mit asiatischer, indischer oder afrikanischer Herkunft fotografiert, um auf ihre besondere Situation zwischen Herkunft und Leben in einem fremden Land aufmerksam zu machen. Sejin Moon nimmt sich selbst in den Fokus und zeigt sich nackt, in einer Baumhöhle Schutz suchend im Schoß von Mutter Natur.
Gesellschaftskritisch geht es aber dennoch weiter. So prangert Tessa Bunney mit ihren Fotos die in der Upper Class zum Lifestyle gehörige Jagd an. Traditionen und Rollenspiele werden ebenfalls thematisiert. Kirsty Mackay greift sehr ironisch die Farbe rosa als Farbkodierung für Mädchen auf.
Fotografie verbunden mit Journalismus vereint sich in der Arbeit von Eliza Hatch. Ihre Portraits von Frauen vor Großstadtkulisse sind untrennbar mit den Berichten dieser Frauen über ihre erfahrenen Belästigungen im Alltag zu sehen. Sarah Maple versteht sich als Feministin und Aktivistin. Von ihr gibt es herrlich überspitzte Plakate.
Natürlich wird auch die Corona-Pandemie zum Thema. Alys Tomlinson portraitiert Jugendliche, die eigentlich ihren Abschluss in der extra für diesen Anlass gekauften Kleidung feiern wollten. Für sie ist es ein verlorener Sommer. Freya Najade fängt die Stimmung eines Sommertages in den umliegenden Wald-und Wiesenstücken unweit Londons ein. Die Natur als Ort zum Aufatmen. Mit ihren Fotos beginnt die Ausstellung und die Entdeckungstour zu 28 fotografischen Positionen.
So unterschiedlich die Arbeiten auch sind, alle 28 Fotografinnen eint ihr unbändiger Wille zu künstlerischer, sozialer und gesellschaftlicher Autonomie neben ihren männlichen Kollegen.
Ob man den Fotos ansieht, dass sie ausschließlich von Fotografinnen gemacht wurden? Darüber lässt sich diskutieren. Was allein zählt, ist die Qualität.
"UK Women – Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität" ist eine großartige Möglichkeit für die britischen Fotografinnen sich zusammen erstmals in einer Schau in Deutschland zu präsentieren. Das sollte sich niemand entgehen lassen!
Teilnehmende Fotografinnen:
Francesca Allen, Meredith Andrews, Laura Blight, Audrey Blue, Rachel Louise Brown, Tessa Bunney, Elaine Constantine, Anna Fox, Eliza Hatch, Sirkka-Liisa Konttinen, Markéta Luskačová, Kirsty Mackay, Zoe Natale Mannella, Sarah Maple, Fran May, Alison McCauley, Sandra Mickiewicz, Margaret Mitchell, Sejin Moon, Trish Morrissey, Tish Murtha, Freya Najade, Yan Wang Preston, Sophy Rickett, Michelle Sank, Arpita Shah, Hazel Simcox, Alys Tomlinson
Laufzeit: 26.Mai bis 15. September 2024
Zur Ausstellung ist ein Booklet im Museumsshop erhältlich.
Weitere Infos zu Besuch und Rahmenprogramm unter www.ludwiggalerie.de
Die Fotos entstanden kurz vor und während der Eröffnung, zu der drei Fotografinnen extra anreisten. Infos in den Bildunterschriften.
Ich freue mich über euer Interesse!
Autor:Andrea Gruß-Wolters aus Duisburg |
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