„Kirche darf auch Spaß machen!“
Neuer Stadtdechant für Oberhausen
Bischof Franz-Josef Overbeck hat mit sofortiger Wirkung Propst André Müller zum Stadtdechanten von Oberhausen ernannt. Müller folgt damit Dr. Peter Fabritz, der nach mehr als zehn Jahren als Offizial in das Erzbistum Köln wechselte. Zusammen mit Katholikenratsvorsitzendem Thomas Gäng bildet André Müller, der seit Oktober auch Propst der Pfarrei St. Clemens ist, damit die „Doppelspitze“ der Katholischen Kirche in Oberhausen.
Mit dem gesamten Oberhausener Katholikenrat freut sich Thomas Gäng „auf die Zusammenarbeit und wünschen Kraft, eine gute Hand und Gottes Segen“. Man wolle die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit fortsetzen, um der Katholischen Kirche auch weiterhin eine Stimme und einen Platz in der Gesellschaft zu geben. Gleichzeitig dankte er Pfarrer Thomas Eisenmenger für die zwischenzeitliche kommissarische Ausübung des Amtes.
André Müller übernimmt mit dem Amt des Stadtdechanten in diesen für die Kirche oft schwierigen Zeiten keine leichte Aufgabe, dessen ist sich der gebürtige Sauerländer durchaus bewusst. „Veränderung ist ja die Überschrift über allem“, so Müller. „Ich glaube, wir müssen mit diesen permanenten Wechseln leben. Das macht vielen Menschen zu schaffen, da bin ich ziemlich realistisch.“ Kirche sei möglichst lange im Stadtteil gewesen, obwohl sich ringsum die Gesellschaft schon total verändert habe und sich z.B. auch Kommunen schon lange in Umwälzungsprozessen befänden. „Als Institution bzw. Organisation sind wir da eigentlich viel zu spät dran, müssen jetzt aber dringend Veränderungen umsetzen, weil sich auch für uns die Gegebenheiten geändert haben“, ist Müller überzeugt.
Die Gestalt von Kirche müsse und werde sich verändern. Diese Gestalt sei einerseits 150 Jahre alt, als das Denken in Pfarreien und milieuspezifischen Verbänden aufkam. „Das ist jetzt entschieden an ein Ende gekommen, und damit auch die Volkskirche, die damit verbunden war.“
Andererseits habe Kirche über 1500 Jahre die Bildungs- und Meinungshoheit gehabt - „die haben wir jetzt nicht mehr“, so Müller. „Wir sind jetzt Teil dieser Gesellschaft, und die Gesellschaft verlangt von uns, dass wir eine Organisationsform in dieser liberalen Demokratie sind. Und diese Rolle anzunehmen, damit tun sich viele Leute schwer – auch die, die in »Amt und Würden« sind.“
Müller sieht die Herausforderungen realistisch: „Wir müssen immer wieder um unsere Glaubwürdigkeit kämpfen. Auch und gerade mit den ganzen Skandalen, die wir mit uns rumschleppen und die dringend der Aufarbeitung bedürfen.“ Die Gesellschaft wolle die Katholische Kirche als Organisation und Institution wahrnehmen, wolle aber auch, dass sie nach wie vor in den Dingen brilliere, die sie immer schon konnte: Den Glauben an Gott den Menschen von heute sakramental und katechetisch anbieten, Beziehungen herstellen, soziale Wärme ausstrahlen, in Freude und Leid. „Viele Menschen trauen uns das noch zu“, ist der 53-jährige überzeugt. „Doch wenn wir jetzt in «Strukturitis» machen, dann wird es kalt, dann wird es technokratisch, und dann wird es schwierig.“
Die Gesellschaft traue der Kirche zu, „dass wir inszenieren können - und das meine ich im guten Sinne: etwas in Szene setzen“, so Müller. Die Kirche könne „mit Inszenierungen wunderbarster Art dafür sorgen, dass sich der Mensch einfach wohl fühlen kann. Da können wir richtig etwas anbieten: In Szene setzen an den Schnittstellen des Lebens, ein Stück Lebensdeutung bieten. Wir können sehr gut in die Interaktion gehen und Menschen niederschwellig zusammenbringen. Das wird immer gefragt sein“, erklärt Müller, und man spürt seine Begeisterung. „Ich glaube, dass das größte Problem in der Gesellschaft die Einsamkeit ist, für junge und alte Leute. Da müssen wir etwas bieten, und da werden immer Menschen kommen, die sich davon angesprochen fühlen.“
Kirche sei jetzt eben Teil dieser modernen Gesellschaft, und das müsse sie annehmen. „Kirche sind nicht mehr die Mächtigen, die sich der Kontrolle entziehen, sondern Kirche ist eine Organisation. Und da müssen wir auch mit den Regeln einer Organisation arbeiten, mit allen Transparenzen.“ Müller glaube, dass tief im Innern viele Menschen religiös seien. „Aber ob sie das religiöse Leben in einer Institution leben wollen – da habe ich Zweifel.“ Der moderne Mensch, das Individuum, habe oft ein Misstrauen gegenüber großen Institutionen. Als Beispiele nennt er die Volksparteien, die es in ihrer alten Form nicht mehr gebe, oder die Gewerkschaften. „Die letzte Institution, die in Deutschland noch geblieben ist, ist der ADAC“, meint Müller schmunzelnd, „der übrigens mit dem Begriff „Gelbe Engel“ mit religiösen Symbolen wirbt“.
Müller weiß: „Wir brauchen Organisationsformen, die ins Heute passen, keine Mauscheleien hinter versteckten Türen. Wenn wir das jetzt gut und ehrlich machen, nimmt man uns das auch ab, obwohl wir ja schon viel Vertrauen verspielt haben.“
Er versuche immer, „mit Augenzwinkern Freude und Hoffnung und eher das Positive zu sehen, und die Motivationen und die Liebe vieler Menschen zur Kirche. Da brennt in vielen Menschen immer noch ein Feuer, ob durch das Evangelium oder das Gemeinschaftsleben.“ Die Kunst sei jetzt, das Feuer nicht auszutreten und zu schauen, was die Bedarfe der heutigen Menschen seien. Damit meint er nicht nur diejenigen, die in den Kerngemeinden sind, denn die werden ja immer weniger. Er glaubt, dass heute ganz andere Zugänge zu kirchlichem Leben nötig seien: „Das Leben ist vielfältig und bunt. Wieso bilden wir immer nur für eine Gruppe von Menschen Angebote und Kirche ab? Wie kriegen wir das hin, ein buntes Bild von Kirche zu bieten?“
Er stehe dafür, Netzwerke zu bilden, Menschen zusammenzubringen und Vertrauen aufzubauen. Müller möchte weg von dem Ansatz, die Kirche wisse, „was gut für euch ist und wir machen jetzt mal ein Angebotsprogramm, denn das funktioniert heute nicht mehr“. Er möchte vielmehr passgenau das bieten, was die Menschen wollen, und diese Angebote zusammen mit den Menschen entwickeln. „Dazu gehört aber dann auch zu sagen: Es gibt eine andere Form von Kirche, die hat sich über Jahrzehnte etabliert – das ist vielleicht gar nichts für euch, aber ihr dürft voneinander wissen, euch treffen und austauschen.“
Wichtig sei, dass bei aller Unterschiedlichkeit alle das Gefühl entwickeln: Wir sind Kirche, wir gehören dazu. Müller weiß aber auch: „Man kann das nicht erzwingen. Ich kann nur eine Haltung an den Tag legen, dass wir als Getaufte zusammengehören. Dem anderen nicht das Katholisch-sein abzusprechen, das ist wichtig. Ich bin ein großer Freund von diesem Wort, dass es eine Einheit in Vielfalt geben darf.“ Und er ist überzeugt: „Kirche darf auch Spaß machen!“
Autor:Gers Hülsmann aus Oberhausen |
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