Kunstausstellung zum Ersten Weltkrieg - Das Menschenschlachthaus
Das Menschenschlachthaus
Der Erste Weltkrieg 1914 bis 1918 in der französischen und deutschen Kunst
Der Erste Weltkrieg brachte in Europa die bisherigen Ordnungen zu Fall, schuf neue politische Systeme und verschob Staatengrenzen. Für jede einzelne Familie in Europa bedeutete er aber vor allem Not, Hunger, Krankheit, Verstümmelungen, Elend und die Trauer um 20 Millionen Tote.
Mit dem Titel "Das Menschenschlachthaus", welcher dem gleichnamigen Kriegsroman von Wilhelm Lamszus entliehen ist, bereitet die Ausstellung auf die in Bilder gefassten persönlichen Schicksalsspuren deutscher und französischer Künstler vor.
Das Von der Heydt-Museum realisiert in enger Zusammenarbeit mit dem Musée des Beaux-Arts in Reims eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg, denn Reims war die erste französische Großstadt, die 1914 dem Bombardement deutscher Truppen ausgesetzt war. Dabei fanden nicht nur viele Menschen den Tod, auch die berühmte und für das französische Nationalbewusstsein so überaus bedeutende Kathedrale, jahrhundertelang Krönungsstätte der französischen Könige, wurde schwer beschädigt.
Deutsch-französische Rivalität oder zerstörerisches Leiden auf beiden Seiten?
Am 1. August 1914 zog die Jugend los - nicht in den Sommerurlaub, sondern in den Krieg. Man war euphorisch oder nervös gespannt, glaubte an die Überlegenheit der eigenen Truppen, an die Waffentechnik, an einen schnellen Sieg. Ganz Europa war in Militärbündnissen miteinander verwoben, keiner bemühte sich um deeskalierende politische Lösungen und so wurde ganz Europa zu Schicksalsgefährten, egal auf welcher Seite.
1914 - 2014, der Ausbruch des "Großen Krieges" ist einhundert Jahre her. Er wurde weitgehend durch den folgenden, noch schlimmeren Zweiten Weltkrieg aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt. Zahlreiche europäische Museen versuchen derzeit mit unterschiedlichen Ansätzen, sich der Zeitepoche des Ersten Weltkrieges zu nähern und diesen aus der Vergessenheit zu holen.
Das Von der Heydt-Museum will auf die "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich fokussieren und die anderen europäischen Kriegsschauplätze ausblenden. Im Zentrum der Ausstellung steht die Wahrnehmung des Krieges durch die bildenden Künstler und die Frage, wie haben Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz und andere auf der deutschen Seite und Pierre Bonnard, Maurice Denis, Georges Rouaultund andere auf der französischen Seite dieses welterschütternde Ereignis in Kunstwerken von Rang verarbeitet? Wie haben die existenziell bedrohlichen Kriegserlebnisse nachhaltig Einfluss auf die Kunst und die Künstlerschicksale ausgeübt?
In neun Kapiteln, aufgeteilt in entsprechenden Museumsräumen, erzählt die Ausstellung nicht nur vom unmittelbaren Kriegsgeschehen und von den Kampfhandlungen, sondern auch davon, wie es zu diesem Krieg kam, wie die Menschen an der „Heimatfront“ lebten und litten, von den Zerstörungen und Ruinenfeldern, vom Ausgang des Krieges, der Revolution in Deutschland und dem Erstarken konservativer Kräfte, aber auch vom individuellen Leid und von jenen, die Gewinn aus diesem Krieg zogen.
Der Rundgang, für den man sich mindestens zwei Stunden Zeit nehmen sollte, beginnt in der Vorkriegszeit. Die farbintensiven Expressionisten in Deutschland stehen den "wilden" Fauves und den feinteilig geometrisch zerlegenden Kubisten in Frankreich gegenüber. Manche Künstler malten und zeichneten ihre bösen Vorahnungen, andere erträumten sich den Krieg als etwas "Reinigendes".
Es werden anhand von Gemälden, Fotografien, Plastiken und frühen Stummfilm-Aufnahmen die handelnden Personen und Kriegstreiber gezeigt: Generäle, Politiker, der deutsche Kaiser, deutsche Pickelhauben und auch französische Uniformträger.
Der Besucherweg wird flankiert von Reflexionsflächen auf denen Dokumentarfilme zeigen, wie die Mobilmachung ablief: Von rechts die Ansprachen ans deutsche Volk, dann laufen die Deutschen zu Hunderttausenden los - von links die Ansprachen an die französische Nation, die Familien nehmen Abschied, die Söhne reihen sich ein und laufen los, beide Seiten aufeinander zu - und in der Mitte des Flurs stehen Sie - oder war es einer Ihrer Vorfahren?
Genau so spannend und packend geht der Rundgang durch die folgenden Räume weiter.
Die Ernüchterung kam schon nach wenigen Kriegswochen. Kleinformatige Zeichnungen und Aquarelle, die noch in den Schützengräben entstanden, geben Zeugnis vom Kriegsalltag. Herausragend in ihrer Eindringlichkeit ist z.B. die 50 Blätter umfassende Mappe "Der Krieg" von Otto Dix.
Aber es wird auch in Karikaturen mit Vorgesetzten abgerechnet. Der Angriff unter Gas wird Thema, ebenso wie der Schmerz und die Trauer. Bei den Deutschen Künstlern überwiegt die Abbildung des Grauens.
Die Franzosen malen z.B. eine Rauchpause am Fluss, fast romantisch in der Anlage, wäre da nicht die blasse unwirkliche Farbgebung in Rot und Grün. Bei ihnen wird der Krieg eher maltechnisch ausgedrückt.
Ein weiterer Museumsraum widmet sich der Situation hinter der Front und in der Heimat: Selbstgemälde verletzter und verstümmelter Künstler, Darstellungen der Lazarette und der Irrenhäuser für traumatisierte Soldaten, gemalte angst-einflößende neuartige Prothesen, Essensausgabe im Gefangenenlager, Freizeit im Bordell, ...
In der Heimat änderte sich die Rolle der Frau, sie wurde berufstätig, arbeitete in der Rüstungsindustrie oder als Briefträgerin und die Kleidermode passte sich zweckmäßig an.
Die Bildende Kunst und die Literatur korrespondieren miteinander. Die Bildexponate (Gemälde, Grafiken und Fotografien) erschließen sich durch zugehörige Auszüge aus Romanen oder Briefen. Die gemalten und gezeichneten Statements der deutschen Künstler und die der französischen Künstler hängen sich seitenweise gegenüber - wie im Kampf oder wie in einer Diskussion.
Dokumentarische Filmausschnitte und Fotografien lassen die Geschichte, die Chronologie und die Schrecken des Krieges zusätzlich erfahrbar werden.
In der deutschen und französischen Literatur, die während und nach dem Krieg publiziert wurde,
sind zentrale Gemeinsamkeiten im Erleben dieses Krieges zu finden, „Dreck“, „Verwundung“, „Tod“, „Gas“, „Hunger“, „Ungeziefer“, „Gestank“, „Gefechtslärm“, ein allgemeiner„Ekel“ und
vor allem die immer wiederkehrende Frage „Warum?“. Und das sind auch die Themen der Bilder jener schweren Zeit.
Der Irrsinn des Krieges kommt schließlich in der Gegenüberstellung von Unten und Oben, von Soldat und General, von Befehl und Gehorsam noch deutlicher zum Ausdruck. Der Sinn des Krieges wurde in Frage gestellt und nach den verheerenden Gefechten gab es Desertationswellen. Der französische General Pétain ließ jeden 10. desertierten Soldaten erschießen, um die Truppe zum Kampf zu zwingen.
Erst Streiks in Deutschland und Frankreich, große Meutereien in der französischen Armee 1917, die russische Oktoberrevolution mit der Absetzung des Zaren, der Matrosenaufstand in Kiel, revolutionäre Unruhen in Österreich und ein gleichzeitiges militärisches Scheitern erzwangen eine Beendigung dieses weltweit geführten Krieges am 11. November 1918.
Unten und Oben in der Anordnung der Exponate: Ein Filmdokument zeigt oben auf der Wand Kaiser Wilhelm bei Ordensverleihungen an verdiente Krieger kurz bevor er selbst abdanken musste, darunter auf dem Boden wie ein Sinnbild für alle Kriegsleiden die Plastik "Der Gestürzte" von Wilhelm Lehmbruck.
Dem Von der Heydt-Museum ist eine Ausstellung gelungen, die nicht nur informativ sondern auch spannend arrangiert ist und fesselnd erzählt wird.
Die individuelle Sichtweise der Künstler und die Gegenüberstellung mit den Künstlerkollegen im Feindeslager weckt die kollektive Erinnerung und macht betroffen.
Wie der Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh im Katalog zur Ausstellung ausführt: "Der Krieg veränderte die Kunst, aber sie wurde dadurch genauso wenig "besser", wie der Rest der Welt, sie wurde nur anders: was insbesondere bei den deutschen Expressionisten so farbenstark, kraftvoll und sogar fröhlich begonnen hatte, ... endete in tristen Farben, die von Angstzuständen Verunsicherung, Bodenlosigkeit und massiven psychischen Gefährdungen stammeln oder ihre Not hinausschreien in eine Welt, die weder Zeit noch Interesse hat, sich mit diesen Kunstwerken und ihren Schöpfern auseinanderzusetzen, weil sie gerade in Scherben fällt."
Insgesamt umfasst die Ausstellung rund 350 Werke, die neben rund 30 privaten Leihgaben je zur Hälfte aus französischen und deutschen Museen zusammenkommen.
Trotz der Fülle der Exponate zeigt sich, dass das Grauen ein Ausmaß annehmen kann, mit dem es nicht mehr malbar ist. Herkömmliche Mittel der Kunst wie Gemälde oder Grafik können nur kleine Aspekte und individuelle Sichtweisen abbilden. Die neu entstandene Fotografie war schon eher in der Lage, den Moment des zerfetzenden Schusses einzufangen. Aber noch am ehesten darstellbar erscheint die Komplexität des Schreckens in der filmischen Darstellung oder als Kopfkino in der Literatur.
Das durch die Ausstellung erreichte Erinnern an die ungeschönte Schreckensrealität jeden Krieges sollte jedenfalls zu einem "Nie- Wieder- Gefühl" führen.
Die Ausstellung "Das Menschenschlachthaus" läuft vom 8.4. bis 27.7.2014 in Wuppertal. Dann wird die Ausstellung nach Reims weiterreisen, wo sie am 12.9.2014 von Angela Merkel und François Hollande im Rahmen der deutsch-französischen Beziehungen nochmals eröffnet wird.
Schon bei der Presseschau zeigte sich, dass das Faszinierende an der aktuellen Ausstellung ist, dass die Werke es schaffen, völlig fremde Besucher vor den Exponaten miteinander ins Gespräch zu bringen - über Familiengeschichten, über tradierte Erlebnisse in unterschiedlichen europäischen Herkunftsländern sowie über aktuelle politische Parallelen.
Meine Einschätzung: Unbedingt sehenswerte Ausstellung, Zeit mitbringen, um sich auf das zu Erlebende einzulassen und ruhig auch mal das Gespräch mit den anderen Betrachtern suchen.
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Informationen und Online-Tickets: www.menschenschlachthaus-ausstellung.de.
Eintritt: 12 € pro Person, ermäßigt 10 €, Familienkarte 24 €.
Umfangreiches Rahmenprogramm mit Führungen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen.
Katalog zur Ausstellung als Museumsausgabe für 25 €.
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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