Himmel auf Erden
Das Von der Heydt-Museum hat mit der aktuellen Ausstellung ein Kunst-Paradies der Klassischen Moderne geschaffen - und zugleich einen höchst informativen Rundgang durchs Lehrbuch der Kunstgeschichte.
Die Ausstellung ist nicht nur etwas für Kenner und Genießer, sondern insbesondere auch allen Kunst-Neulingen zu empfehlen, da sie einen komprimierten Crash-Kurs durch die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts bietet - sowohl was die Gemälde und Grafiken, als auch die Skulpturen der jeweiligen Epoche angeht.
Das Erstaunlichste ist, dass all dies ausschließlich mit Exponaten der reichhaltigen und exquisiten Sammlung des Hauses möglich ist.
Der Name von der Heydt ist untrennbar mit der Sammlung europäischer Kunst verbunden, die Eduard von der Heydt (geb. 1882 in Elberfeld, gest. 1964 in Ascona) zu Lebzeiten seiner Geburtsstadt Wuppertal schenkte und die heute im Von der Heydt-Museum präsentiert wird.
In Zeiten schmaler Ausstellungsbudgets konzentriert sich das Von der Heydt-Museum im Sommer 2013 auf das Herz des Museums: Die Sammlung.
Den Museumsleuten stand eine Auswahl aus 4 000 hauseigenen Gemälden, 30 000 Grafiken und 500 Skulpturen zur Verfügung. Ein geradezu himmlischer Schatz, der leider nur auf die irdischen begrenzten Ausstellungsflächen des Hauses zu beschränken war.
Seit dem 14. April zeigt das Von der Heydt-Museum unter dem Titel „Himmel auf Erden“ Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.
Der Rundgang beginnt mit der Zeit von 1900 bis zum Ersten Weltkrieg.
Hier empfangen uns Klassiker wie Georges Braque (Der Hafen von Antwerpen, um 1906) oder Henri Matisse (Blumen in einem Krug, 1898).
In den folgenden Räumen erschließen sich die besonderen Kunstströmungen der "Brücke" und des "Blauen Reiters", die schon deutliche Tendenzen zur Abstraktion zeigen.
Ernst Ludwig Kirchner, "Vier Badende" von 1909/10 hat als stilistisches Mittel u.a. Farbflächen zusammengefasst, wie auch Wassily Kandinsky in seiner frühen Münchener Zeit, so in "Riegsee-Dorfkirche" von 1908. Die Bronze-Skulptur von Alexander Archipenko "Schreitende", 1912 steht im Raum vor E.L. Kirchners "Frauen auf der Straße" von 1914.
Welche bildnerische Umsetzung das Aufkommen der Psychoanalyse unter Siegmund Freud hatte, ist im Raum "Surrealismus und Verwandtes" zu erleben.
Ein späteres Werk von Wassily Kandinsky (Scharfes Heiß, 1927) zeigt auch seine persönliche Entwicklung. Karl Hartungs "Vogelform" von 1935 in Messing korrespondiert mit Salvador Dalí's "Das wahre Bild der Toteninsel Arnold Böcklins zur Stunde des Angelus" von 1932.
Der Wiederaufbau Europas nach dem Ersten Weltkrieg findet sein künstlerisches Pendent im Konstruktivismus und in der Philosophie des Bauhauses.
Ernst Barlach's "Singender Mann" (Zinnguss, 1928) ist hier ebenso zu finden, wie die Gemälde von Willi Baumeister (Atelierbild I, 1923), Otto Freundlich (Komposition, 1931) und Oskar Schlemmer (Interieur mit drei Figuren vor Fenster, 1937).
Die Neue Sachlichkeit und der Magische Realismus der 1920er und 30er Jahre verblüffen mit ihrer kühlen Distanziertheit.
Fünf Skulpturen von Hermann Haller, Karl Röhrig und Renée Sintenis erschließen das Thema "Boxer" für die Kunst, während Erich Wegner mit "Wirtshaustheke" von 1928 und Christian Schad mit "Halbakt" von 1929 kühle Verführung verströmen.
Gleichzeitig erscheinen in den 20er und 30er Jahren auch menschenbezogene Themen in der Sozialkritik und dem Verismus.
Karl Röhrig beschreibt mit seiner Skulptur aus Holz und Aluminium "Der Mann von der Winterhilfe" von 1933 treffend das Bonzentum der NS-Zeit. Das vieldeutige Gemälde von Georg Scholz "Industriebauern" von 1920 lädt zum genauen Betrachten und Nachdenken ein.
Ein weiterer Raum präsentiert die Künstler (auch solche der sogenannten "entarteten Kunst") während des Zweiten Weltkrieges.
Paul Klee's "Le Rouge et le Noir" von 1938 ist hier ebenso zu finden, wie Oskar Schlemmer's "Kopf" von 1942 aus Fundsteinen und Fliesenscherben in Zementguss.
Nach dem Zusammenbruch des alten Systems mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann sich die Kunstszene etwas völlig Neuem zuzuwenden - die Blütezeit der Abstraktion begann.
In einem großen Museumsraum werden das Informel und die diversen Tendenzen der 60er Jahre gezeigt.
Der geistige Vater des Informel, Karl Otto Götz, ist mit gleich mehreren seiner legendären "Schönen Schwünge" vertreten. Hier ist vielleicht schon ein Vorgeschmack auf die große Ausstellung, welche das Götz-Museum für das Jubiläumsjahr 2014 des dann 100-jährigen und immer noch aktiven Ausnahmekünstlers vorgesehen hat.
Aber auch Joseph Albers "Huldigung an das Quadrat" von 1956 oder Günter Fruhtrunk's "5 Grün" von 1968/69 sind nicht zu verachten.
Ein besonderer Aspekt wird dem Zero und dessen Umkreis gewidmet, der Kunstrichtung, die eine radikale Minimierung der Mittel gegen Null (Zero) anstrebt.
Legendär ist Günter Uecker's Nagelbild "Weisses Feld" von 1964, dessen wechselnder Schattenwurf das eigentliche Kunstwerk ausmacht. Die Schlitzbilder von Lucio Fontana (Concetto Spaziale - Raumkonzept von 1962) auf Aluminiumblech öffnen den Bildraum in die dritte Dimension, die Tiefe zur Wand hin.
Nachdem die Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, mit insbesondere der Farbfeldmalerei gezeigt wird, tritt der Besucher wieder an den Anfang des Rundgangs und damit in die Jetzt-Zeit ein.
Hier finden wir Künstler, die schon zu Lebzeiten Klassiker wurden, aber auch solche, die die neuesten Tendenzen markieren.
Im Raum für Aktuelle Kunst finden wir die Grafik von Joseph Beuys "Elch" von 1975, die seine Naturmystik mit blutroter Farbe passend illustriert. Hier ist auch Gerhard Richter's Unschärfebild "Scheich mit Frau" von 1966, mit dem er den Stellenwert der Malerei gegenüber der Fotografie thematisiert. Konrad Klapheck imponiert mit dem akribischen Gemälde "Die Sexbombe und ihr Begleiter" von 1963. Mehr gegenständliche Malereien von Klapheck gibt es übrigens noch bis zum 4.8.13 im Museum Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.
Dieter Krieg läutete die Neue Figuration ein, eine gegenständliche Malerei, die aber auch die Erkenntnisse der Abstraktion beachtet. Als eine der jüngsten Neuerwerbungen des Museums sei hier auf Krieg's Meisterschüler und heutigen Professor an der Kunstakademie Münster, Cornelius Völker, verwiesen.
Versäumen Sie nicht, auch die Skulpturen des 20. und 21. Jahrhunderts zu besichtigen.
Die Themen von Wahrnehmung im Raum, Material und Form und besonders das wechselnde Verhältnis von Sockel und Skulptur können hier anhand der Exponate gut beobachtet werden.
Das Museum bietet neben Führungen auch Familienprogramme und Kreativprogramme an.
Vielleicht machen Sie sich auch mal eine lange Museumsnacht am 28.6.13 von 18 bis 23 Uhr? Es lohnt sich!
Mehr Informationen gibt es auf der Homepage des Museums: www.von-der-heydt-museum.de
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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