Eurovision Song Contest 2011: Punktejonglage mal anders

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Und auch in diesem Jahr ging es wieder darum, um den heißbegehrten Preis des Eurovision Song Contestes oder wie die heutige Jugend zu sagen pflegt "ESC" zu kämpfen. Gestern fand der 56. ESC statt und dann auch noch in Deutschland. Unser Land, in dessen Hosentaschen sich die Mäuse Plattfüße laufen, blätterte mal eben rund 25 Mio. € hin, um eine wirklich atemberaubende Show zu liefern. Ja, das ist uns wirklich gelungen! Lichteffekte, ausgefallene Bühnentechniken und eine Atmosphäre wie im Bilderbuch. Das war dann wahrscheinlich auch das einzig Gelungene an diesem Abend.
Ich überspringe mal gepflegt die Berichterstattung bzgl. der Sendung, da laut dpa-Meldungen eh über 50% der deutschen Bürger und Bürgerinnen zumindest vor dem Fernseher dabei waren und man bei geschickter Google-Bedienung auch binnen weniger Sekunden mehrere tausend Beiträge auf sämtlichen Sprachen dazu bekommt. Demzufolge widme ich mich lieber dem Ende und meiner innerlichen Wut.
"Song Contest"... zu Deutsch "Musikwettbewerb". Ich schaute extra nochmal in meinen Wörterbüchern nach, kam aber trotzdem zu dem Ergebnis, das meine ganz persönliche Übersetzung "neighbourhood solidarity" (Nachbarschaftszusammenhalt) oder "Points juggling" (Punktejonglage) heißen würde. Von Jahr zu Jahr wird es extremer. Kaum einer von uns kann sich auch nur im Traum vorstellen, was da eigentlich bei den Juroren los ist. Schon lange wird gemunkelt, dass sich die einzelnen Länder die Punkte zuschieben, aber auch da wird es wahrscheinlich von Jahr zu Jahr anders zugehen. Vor 10 Jahren schrieben sie sich Briefe, um sich auf einen Punktestand zu einigen. Darauf folgten dann kleine short messages (SMS) wie "Hallo Hans-Dieter! Gibt ihr uns 10? Dann kriegt ihr von uns 8. Dass Euer Lied Mist ist, weiß ja eh jeder! Liebe Grüße, Antonio!". Letztes Jahr konnte man bei genauem Hinhören schon Gespräche belauschen wie "Hast du den Post bei fb von Attila auch schon geliked? Er bietet ****€ für n 12er. Wir sollen nur mal kurz PMen" (PM = Private message). Mittlerweile stöbere ich schon ununterbrochen bei Twitter herum mit der Hoffnung, dass auch mir mal ein paar Punkte angeboten werden, die ich dann für viel Geld an ein beliebiges Land verkaufen kann.
Mein eigentliches Anliegen ist doch leider gar nicht so humorvoll wie es gerade den Anschein macht. Ich bin erbost und entsetzt darüber, wie Lieder zu Beginn des ESC-Hypes gefeiert werden, aber dann doch nur auf den letzten Plätzen herumdümpeln. Ein Geheimfavorit sämtlicher deutscher Musikexperten war beispielsweise die Ungarin Kati wolf mit ihrem Pop-Schlager "What About My Dreams?". Was bekam sie aus Deutschland? HUNGARY: 0 POINTS Ihr Stimmvolumen gleicht dem von Whitney Houston oder Céline Dion. Ihr Lied lädt zum Tanzen ein und verleitet schnell zum Ohrwurm. Die Halle tobte während ihres Auftrittes und auch während aller Durchläufe im Anschluss an alle Live-Acts. Nur Lenas Applaus war größer. Hier war klar, dass Kati auf jeden Fall in die Top 10 kommt. Welchen Platz erreichte sie letztlich? Platz 22! Natürlich... die Zuschauer entscheiden. Aber oft wird außer Acht gelassen, dass die Zuschauer gerade mal 50% der Stimmen besitzen. Die anderen 50% gehören nämlich der Jury. Hier stellt sich mir die Frage, wer denn nun seinen Liebling aussuchen soll?! Die Jury? Eine Ina Müller? Oder die meist unparteiischen Zuschauer rund um die Welt, die ja letztendlich auch die CDs kaufen oder zumindest online bestellen.
Gehen wir aber mal davon aus, dass eine Jury Voraussetzung ist. Okay... aber warum werden die Punkte denn nicht genannt, die jeweils von fünf oft unbekannten Püppchen in jedem Land verteilt werden? Ich mein, es geht hier schließlich um FÜNFZIG Prozent, um Gerechtigkeit und um Künstler, die sehr hart arbeiten um für ihr jeweiliges Land eine gute Performance abzulegen. Da halte ich es persönlich für sehr suspekt, dass (um bei meinem Beispiel zu bleiben) eine Kati Wolf erst hoch gehandelt wird, die Halle zum ausflippen bringt, die Zuschauer an die Telefone reißt und trotzdem im letzten Fünftel der 25 Länder landet. Was bekam sie denn nun von den Juroren?
Wenn es bei diesem Contest wirklich noch um Gerechtigkeit und musikalisches Talent geht, dann wäre ich für eine 100%ige Zuschauerauswahl oder eine Offenlegung der Jurypunktevergabe. Anders lässt sich das "Points Juggling" meines Erachtens nach nicht mehr unterbinden.
Mein Fazit:
Als fair lässt sich dieser Wettbewerb schon lange nicht mehr bezeichnen, nur scheint es von Jahr zu Jahr extremer zu werden.
Bestimmte Länder haben selbst mit mit Abstand den besten Liedern, SängerInnen und Bühnenshows gar keine Chance mehr, auch nur unter die Top 10 zu kommen. Der ESC ist Tradition und sollte meiner Meinung nach auch weiterhin bestehen bleiben, jedoch sollte die Punktevergabe überdacht werden, um auch kleinen und eventuell auch manchmal politisch nicht ganz so korrekten Ländern die Chance zu geben, den Pokal mal mit nach Hause zu nehmen.
Ansonsten stellt sich die Frage: Geht es hier überhaupt noch um Musik?

Autor:

Géraldine Körner aus Oberhausen

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