AM 29.03. GEHT EINE ÄRA ZU ENDE
EINE STRAßE WIRD "EVAKUIERT"
Am 8. Dezember 1985 lief die erste Folge der "Lindenstraße". Nach 1758 Folgen ist Schluss. Es heißt "GOODBYE LINDENSTRASSE".
Ich bin seit der ersten Folge dabei. Seit vielen Jahren gehört das sonntägliche Lindenstraße-Gucken zu meinen Alltag so wie das Zähneputzen morgens und abends, das Autowaschen am Samstag und das tägliche Wechseln der Unterwäsche.
Die "Lindenstraße" wurde zu einer festen Institution für viele Deutsche. Bewohner wie die Beimers, Zieglers und Zenkers wurden schnell ins Herz geschlossen. Man wollte wissen, wie es mit den Protagonisten weitergeht.
Politische und soziale Themen bewegten die Bewohner der berühmten Strasse in all den Jahren: Islamismus, Alzheimer, Drogensucht, Neonazis, Sterbehilfe, Scientology und Homosexualität.
Legendär ist auch der erste Kuss zwischen zwei Schwulen im deutschen Fernsehen (1990).
Wie wäre wohl die Corona-Krise in die Lindenstraße eingebaut worden? Wer hätte sich infiziert? Wer hätte verbotenerweise Corona-Partys gefeiert? Und wer wäre vielleicht sogar gestorben? Auf diese Fragen wird es nie eine Antwort geben.
Die Handlung der Lindenstraße spielt in München. Gedreht wurde aber auf dem WDR Studiogelände in Köln-Bocklemünd. Dieses Produktionsgelände habe ich vor vielen Jahren mal besucht. Dieser Besuch ist mir (und meiner Cousine) immer noch in besonderer Erinnerung.
Ab dem 13. März 2005 bekam die Serie dann eine neue Sendezeit und wurde von 18:40 Uhr auf 18:50 Uhr gelegt. Das war damals für viele Menschen schon komisch, wo man doch knapp zwanzig Jahre lang immer zu dieser Zeit den Fernseher angeschaltet hatte. Und heute nun geht diese Kultserie zu Ende.
In 35 Jahren TV-Geschichte gab es 56 Todesfälle, 37 Hochzeiten und 21 Geburten. Insgesamt 28 Regisseure/Regisseurinnen, 42 Drehbuchautoren/Drehbuchautorinnen und 183 durchgehende Hauptrollen haben zu 7032 Drehtagen beigetragen.
Es gibt viele Szenen und Charaktere, die einem in den ganzen Jahren in Erinnerung geblieben sind: mal lustig, mal traurig und auch mal nachdenklich.
Der unkonventionelle "Zorro" Pichelsteiner mit seinen verrückten und chaotischen Ideen.
Die ungewöhnliche, aber harmonische und tiefe Freundschaft von Chris Barnsteg und Lydia Nolte.
Oder der nervende Matthias Steinbrück, der sein Priesteramt ablegt, kein Glück mit den Frauen hat und von Lisa mit einer Bratpfanne erschlagen wird.
Szenen wie Onkel Franz in Helgas rosa Bademantel im Sessel sitzt, Mary den unsympathischen Olaf Kling mit der Geflügelschere entmannt oder Amelie von der Marwitz gemeinsam mit ihrem fünften Mann Ernst Hugo von Salen-Priesnitz den Freitod wählt,.... Mir fällt noch so viel ein.
Wobei zwei Personen eigentlich die Lindenstraße in besonderer Weise geprägt haben: Else Kling und Mutter Beimer.
Diese beiden fallen dem Großteil der Zuschauer namentlich zuerst ein.
Else Kling, die Hausmeisterin aus Haus Nummer drei. Mit Schrubber und Putzeimer hat sie über Sitte und Anstand gewacht und mehrfach "Sodom und Gomerra" in ihren spießigen Moralpredigten verwendet. Und dennoch hat sie sich in die Herzen vieler Zuschauer gemeckert.
Mutter Beimer, die sich aufopferungsvoll (vielleicht auch teilweise etwas zu übergriffig) um ihre Lieben gekümmert hat, sich immer Spiegeleier in der Pfanne gebraten hat, wenn sie etwas bedrückte und jedes Jahr ihre schwarzen Raben zu spät aus dem Ofen geholt hat. Nach dem Tod der Schauspielerin Inge Meysel galt die Rolle von Mutter Beimer als neue Mutter der Nation.
Eine Ära geht heute leider zu Ende. Was machen wir nun ab nächster Woche jeden Sonntagabend um zehn vor Sieben? Gerade jetzt, wo wir den Tag größtenteils zuhause verbringen und der Alltag wegen Corona ein anderer ist.
Vielleicht projizieren wir die Charaktere unbewusst in unser Leben. So begegnet uns zum Beispiel beim Arzt auch eine oftmals schlecht gelaunte Arzthelferin (Lisa), in der Nachbarschaft wohnen vielleicht gleich mehrere Else Klings, die hinter der Gardine stehen und meckernd das Verhalten der Mitmenschen kommentieren. Euer Trainer im Sportstudio sieht vielleicht so aus wie Nico (wobei der eindeutig zu wenig Muskeln hat) und die Kellnerin in eurem Lieblingsbistro erinnert vielleicht an Marcella. So hat jeder von uns bestimmt auch eine Mutter Beimer in seinem Freundeskreis oder seiner Familie, die nicht nur in Coronazeiten ein offenes Ohr hat und sich immer liebevoll um ihre Mitmenschen kümmert. Ich kenne auf jeden Fall eine (Danke, Sabine).
Die Küche von Mutter Beimer kommt übrigens ins Museum. Das Haus der Geschichte in Bonn nimmt diese und auch die Bushaltestelle Lindenstraße/Kastanienstraße bei sich auf.
Die Deutsche Kinemathek in Berlin bekommt auch besondere Highlights: die Speisekarten des "Akropolis" und die Bademäntel von Anna Ziegler und Mutter Beimer.
Schaltet heute Abend schon um 18Uhr ein. Dann heißt es "Bye, Bye, Lindenstraße". Ein Rückblick auf 35 Jahre Fernsehkult.
Und alle die, die momentan und in der nächsten Zeit coronabedingt zuhause bleiben, haben die Möglichkeit sich alle Folgen der Lindenstraße am Stück anzugucken. Das sind 36,6 Tage.
Die letzte Folge heute heißt" Auf Wiedersehen". Beim Abdrehen der letzten Folge im Dezember wusste noch keiner wie sich das alles mit Corona entwickeln würde und trotzdem passt der Titel gut in die heutige Zeit und die heutigen Geschehnisse.
Auf Wiedersehen - das möchten wir so schnell wie möglich die Menschen, die uns am Herzen liegen.
Für die Lindenstraße gibt es kein Wiedersehen. Ich sage "Tschüß und Danke" an alle Menschen vor und hinter der Kamera dieser wunderbaren Serie.
Autor:Nina Benninghoff aus Oberhausen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.