Die Künstlergruppe Obtisch präsentiert: Lithografien des Schriftstellers, Malers und Bildhauers Günter Grass
Das beliebte Künstlerlokal Gdanska freut sich, Lithografien von Günter Grass in ihren Räumlichkeiten den Gästen präsentieren zu können.
Wie in einer Galerie kann sich jeder Interessierte die Werke auch während der Öffnungszeiten einfach nur ansehen oder zusätzlich ein Los für 3 Euro bei Jochen Müller für die grosse Tombola am 28. Oktober ab 18 Uhr erwerben, bei der es neben der Lithografie " Kleiner Tango " auch noch zweimal Sonntagsbrunch im Hause Gdanska zu gewinnen gibt.
Der Organisator Jochen Müller hält sich zu diesem Zweck den Tag über im Lokal auf. Ceslaw und Maria lieben ihre Mischung aus künstlerischen Veranstaltungen aus den Bereichen Musik, Ausstellung, Lesungen, Restaurant u.a., die beim Publikum in der Regel gut ankommen.
Die Gdanskachefin liess es sich nicht nehmen, einige eröffnende Worte zu sprechen. Sie übergab an den Germanisten Dr. Wilfried Thürmer, der einen umfangreichen Vortrag über das schriftstellerische Werk im Hinblick auf Grass zeichnerisches Schaffen hielt. Die Obtischkünstlerin Hildegard Hugo las daraufhin Ausschnitte aus der Blechtrommel, die Appetit auf erneute Lektüre nicht nur dieses gross angelegten Romans machte.
Roza und Benedykt Frackewiecz brillierten in ihren musikalischen Beiträgen mit Saxophon, Klavier und Stimme.
Die Finissage am 28. Oktober leitet Walter Kurowski ( Kuro ) ein. Er spricht über Leben und Werk von Günter Grass. Mit musikalischen Passagen komplettieren erneut das Ehepaar Frackiewizc das anspruchsvolle Programm.
Weitere Informationen unter www.gdanska.de
www.obtisch.de
Mit dem Werk von Günter Grass, einem der vielseitigsten Künstler der Nachkriegszeit, dessen literarisches Werk zuweilen seine Graphik im Bekanntheitsgrad übersteigt, wird dem Publikum Grass Verständnis seines Kunstschaffens vorgeführt : Seine Lithografien zeigen eine unverwechselbare Handschrift in Symbiose aus Sprache und Bild.
Er selbst schrieb 1979 " Über das Zeichnen und Schreiben " :
" Ich zeichne immer, auch wenn ich nicht zeichne, weil ich gerade schreibe oder nichts tue. Und auch beim Zeichnen schreiben sich die Sätze fort, die angefangen auf anderem Papier stehen. Das Schreiben hebt raffend oder verschleppend die Zeit auf. Beim Zeichnen findet sich der knappe Ausdruck !
In diesem Zusammenhang muss man die Zyklen und Mappenwerke sehen, die in der Ausstellung in wenigen Beispielen zu sehen sind:
Dummer August
Moener Tagebuch
Der Schatten
Letzte Tänze
Küchenzettel
Der ehemalige Pankokschüler Grass zitiert auf originelle Weise seine literarischen Werke. So findet man Titel wie " Bei Kochfisch Agnes erinnert " oder in seinen letzten Tänzen " Ganz einfach der Schieber " .
Dieser Artikel kann die eigene sinnliche Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem vorgestellten grafischen Werk nicht annähernd ersetzen.
Da gibt es eine Lithografie, die sehr manieristisch auf den Betrachter wirkt. Denkt man an die Symbolik einer Heuschrecke auf der Nase einer Figur, die jenem Zeitalter gemäss eine Kappe trägt.
Oder die Skripturen, die um sein Hauptmotiv gestaltet sind, entpuppen sich nicht einfach als einfache Beischriften, sondern sind zur integralen künstlerischen Symbolik geworden.
Mir fehlte leider die Zeit, um hier in der Tiefe mich der ganzen Bandbreite der gezeigten Lithografien anzunähern. Auf den Besucher dieser Ausstellung wartet eine spannende Neuentdeckung und tiefergehendes Verständnis seiner barocken schriftlichen Werke.
Mit freundlicher Genehmigung Ausschnitte aus Dr. Wilfried Thürmers Einleitungs - Vortrag :
Zuvor jedoch : Günter Grass ist eine Doppel - , bzw. Mehrfach - Begabung - ein Phänomen, das in der deutschen Geistesgeschichte mehrfach vorkommt : Goethe malte / zeichnete sein Leben lang ( von den naturwissenschaftlichen Arbeiten einmal abgesehen ) ; Gottfried Keller und Adalbert Stifter waren längere Zeit unschlüssig, ob sie Bildende Künstler oder Poeten seien; Peter Weiss hat nicht nur Romane und Dramen geschrieben, sondern auch Bilder und Plastiken hinterlassen.
Dominierend, auch in der gesellschaftlichen Anerkennung unseres Günter Grass ist aber deutlich das literarische Werk und innerhalb dessen wiederum : die Epik. Besonders von ihr ausgehend sei hier eine Annäherung ans graphische Werk versucht - das wir in bescheidener Auswahl vor Augen haben; und ein solcher Annäherungs - Weg wird von Grass selbst ausdrücklich gewünscht. Versuchen werde ich, eine Korrelation b e i d e r Werk - Bereich sichtbar zu machen; womöglich deren konstitutionelle Homologie zu begründen; einen inneren, systematischen / strukturellen Zusammenhang der Werk - Komplexe : Literatur / Epik und Grafik.
Die hier gemeinte Werk - Charakteristik, auf dessen Kunst - Charakter abzielend, ist verständlicherweise nur in erheblichen Abstraktions - Schritten möglich. Dabei lautet die zentrale Frage : lässt sich ein Konstitutions - Prinzp für den epischen Prozeß im Werk des Günter Grass identifizieren ? Ist solch ein Prinzp dann, und sei es auch nur zu heuristischen Zwecken, auf das grafische Werk übertragbar ?
Dem nähere ich mich mit der Frage : Was widerfährt dem Leser Grassscher Texte ?
Er wird meist überschwemmt, überschüttet, überflutet -
mit Geschichten, Neben - Handlungen, Anekdoten, Episoden; schier endlosen Assoziationsketten -, Variations -, Aufzählungs -, Reihungs- ketten :
ob das nun die Röcke der Großmutter und deren Umschichtung im Wochen - Turnus sind - oder Dörfer der Kaschubei ; oder eine herunter - hinauf - gebetete Farbskala bei einer ärztlichen Untersuchung ; ( " Blechtrommel " ) ; ...
oder ob wir uns in den schier endlos durchgespielten / variierten / fortgesponnenen Märchenmotiven anlässlich drohenden Waldsterbens in der " Rättin " bewegen : den Eindruck, überflutet zu werden, hat man allemal ; und der Erzähler nennt das im " Treffen in Telgte " : Der Sprache den Freipaß geben, damit sie laufe, wie sie gewchsen sei " ( S.154 )
Zu beachten hat der Leser Grassscher Texte aber auch ganze Serien integrierter Selbst - Reflexionen, Appelle, produktionslenkender Stumuli : das also, was der Erzähler, während des Erzählens, über seinen Schreib - Akt denkt, von ihm fordert :
Da heisst es in der " Rättin " : " nichts auslassen, immer das noch und das " ( S. 455 ); " immer auf Nebenhandlungen bedacht sein " ( S. 283 ) ; " Geschichten, die alle gleichzeitig aus ihren Anfängen drängen ( S. 63 ); " eine Handlung, die immer weiter will, drängt, springen möchte " ( S. 124 ).
In dem Roman " Ein weites Feld " ist von der Vergangenheit als " kaum zu erschöpfender Fundgrube " die Rede ( als " gut vorsortierbare Fundgrube " kehrt das in " Unkenrufe " wieder ); " Vergangenes / sei / zu beleben und der Gegenwart als mächtiger Kraftstrom zuzuleiten " , " enthemmt / fühlt sich der Erzähler / weil jenseits aller Zeitbarrieren " ( beide Male : " Ein weites Feld " , S. 74,82, S. 192 ).
" Gestern wird sein, was morgen gewesen ist " - lautet der glänzend - geniale Eingangs - Satz im " Treffen von Telgte " : die vollendete Paradoxie ; Aufkündigung aller Zeitenfolge ; des Zeit - Kontinuums geradezu ;
" gibt es Geschichten, die aufhören können ? " , so wird rhetorisch in " Katz und Maus " gefragt ( S. 105 ) ;
als " / ... / ein nicht enden wollendes Strömen " schließlich dklariert in der " Rättin " der Erzähler sein Erzählen ( S. 86 ).
Quintessenz: Die ganze Welt, Alles soll herbei in die Gegenwart des sich erzählenden, den Autor nur als Medium einsetzendes Textes - was am rapidesten und rigorosesten, exzessiv geradezu, in dem Roman " Der Butt " durchexerziert wird.
Das " nicht enden wollende Strömen " der Grassschen Texte, ihr Überschütten des Lesers mit allem und Jedem, idealiter mit der ganzen Erd - und Menschheitsgeschichte : es ist begreifbar als K o r r e l a t der W a r e n - Ü b e r f l u t u n g im " Consumismo " unseres ( späten ) Kapitalismus. Freilich ist das nicht materiell, sondern ideell gemeint : der Text wiederholt die Waren - Flut - Prozesse - transponiert,sublimiert sie aber im Medium der Sprache, in seiner " Artistik auf weißem Papier " , wie es in " Katz und Maus " heißt. ( VIII. Kap., S. 83 )
" Das nicht enden wollende Strömen " ist verstehbar als ein A n k ä m p f e n gegen die E n t w i r k l i c h u n g s - T e n d e n z unserer Wahrnehmungs - Welt, die erzeugt wird durch ein Überfluten mit " Wirklichkeits - Bildern.
Jetzt endlich haben wir den Übergang zum bildnerischen / grafischen Werk und dem angekündigten Problem der Korrelation, der Homologie. Noch einmal, pointiert und in aller Schärfe :
" Ruhe ", andauernde Anwesenheit des Substantiellen - betrachten wir als Resultat rasender Bewegung, eines nicht enden wollenden Strömens " ,
rasende Bewegung, " nicht enden wollendes Strömen " - verstehen wir als vom Erzähler erzeugt zum Zweck der " Ruhe " , substantieller Anwesenheit :
das erscheint als eine unübersehbar widersprüchliche Situation. Sie verlangt nach Auflösung ; und die glaubt sie zu finden in der Arbeit am grafischen Werk.
Denn : die G e g e n s t ä n d l i c h k e i t praktisch aller Grassschen grafischen Arbeiten impliziert für ihn das Vertrauen, im Umgrenzungsfeld der Konturen " Dauer " und " Anwesenheit " zu erreichen - geschützt und bewahrt durch die Linienkontur - das scheint mir die erste, tragende Bedingung seines grafischen Schaffens zu sein.
Innerhalb solcher Umgrenzungszonen ( und ich entfalte jetzt eine systematische, keine chronologische Gliederung der Werke ) innerhalb dieser Zonen also beobachten wir in der ersten Gruppe :
stetige, altmeisterliche - akribische Detailarbeit, in dewren Disziplin sich ruhe und Fetsigkeit sichern und bestärken lassen : Grass arbeitet, als wäre Albrecht Dürer aus Nürnberg sein Lehrmeister : betrachten Sie " Die Rättin " und " Butt in Sand gebettet " ( R 218, R 104 - charakteristischerweise die beiden teuersten Blääter ! ) ;
scheinbar mehr text - illustrativ, aber die üppige Pracht des Gegenstands doch auskostend, repräsentiert " Ratte, Vogel, Sonnenblume ( R 223 ) eine zweite Gruppe ;
Allegorese / mythisches Allegorisieren bildet eine dritte - hier deutlich vertreten in dem Blatt " Unke mit Nägeln " ( R 259 ) - denn die Nägel sind Schmerzens - und Sargnägel - wird doch in der Erzählung " Unkenrufe " an einem Versöhnungs - Friedhofs - Projekt gearbeitet, wo sich " Beerdigungswillige " , ehemalige Vertriebene " auf einem Deutsch - Polnischen Friedhof beisetzen lassen können.
Wir beobachten aber vor allem, und das in gesteigerter Häufigkeit : die Rückkehr der Textualität ins Bild : dessen Überschwemmung mit Text geradezu ; ja, man könnte von textueller Überfüllung sprechen - der Lesbarkeit nicht gerade zuträglich ; die Beispiele ( allesamt Lithografien ) springen ins Auge ( L 125, 127, 129 ).
Eine witere Stufe scheint mir indem Überwuchern, Überwuchertwerden des Figürlichen / Gestalthaften erreicht - z.B. " Küchenzettel ( L 131 ).
Dieser Stufe schließt sich, fast folgerichtig an : ein Zerstieben des Figürlichen von i n n e n her : jene Dynamik kehrt zurück, wogegen das " Figürliche ", die Arbeit an der " Gestalt " und in ihr, geschützt durch Kontur, gesetzt worden war : wir beobachten ein immer exzessiver sich gebährdendes Gestikulieren / Agieren / Grenzen- Sprengen ( bis hin zu den, hier nicht gezeigten, Kopulations - Akrobatik - Blättern ) in dem Band " Letzte Tänze " - Sie werden auch diese Blätter leicht identifizieren.
Facit : Die Annahme, im graphisch / bildnerischen Werk ließe sich der innere Widerspruch des epischen Konstitutionsprinzips auflösen - ist eine Illusion.
Aber das ist eine notwendige und höchst zweckmäßige Illusion :
Denn sie wirkt als Ferment und Katalysator für weitere künstlerische Produktion.
" Denn Bleiben ist nirgends. " ( Rilke, DE I, V 53 )
Und die Fortführung dieser künstlerischen Produktion, sowohl im Epischen - wie auch im grafischen Werk des Günter Grass, wünschen wir uns für noch lange Zeit !
Autor:Claudia Wädlich aus Oberhausen |
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