DU STELLST MEINE FÜßE AUF WEITEN RAUM
DAS MISEREOR HUNGERTUCH
Das Misereor Hungertuch "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" stammt von Lilian Moreno Sanchez, einer in Chile geborenen Künstlerin. Das Bild entstand zu Beginn der Pandemie im Augsburger Atelier der Künstlerin, die seit 1996 in Deutschland lebt.
Das Tuch besteht aus drei Teilen (Triptychon). Mit schwarzen Linien wird das Röntgenbild eines mehrfach gebrochenen Fußes dargestellt. Dieser Fuß gehört zu einem Menschen, der durch die Polizei bei einer Demonstration in Santiago de Chile schwer verwundet wurde.
Dort protestieren auf dem "Platz der Würde" seit Oktober 2019 viele Menschen gegen ungerechte Verhältnisse. Unzählige Demonstranten wurden durch die Staatsgewalt brutal geschlagen und verhaftet. Somit steht dieser Fuß mit seinen sichtbaren Verletzungen stellvertretend für alle Orte, an denen Menschen gebrochen und zertreten werden.
Das Hungertuch besteht aus wenig Farben und ist auf dreierlei Bettwäsche aus einem Krankenhaus und einem bayerischen Frauenkloster gemalt. Damit möchte die Künstlerin deutlich machen, dass es auf die körperlichen und seelisch spirituellen Gesichtspunkte von Krankheit und Heilung ankommt.
Auf dem "Platz der Würde" hat Lilian Moreno Sanchez Staub eingesammelt. Diesen hat sie in die Laken gerieben. Graue Flecken und Falten überziehen den Stoff, der vielfach übereinander gelegt wurde; an Schnittmuster erinnernd, auseinander klaffend wie verletzte Haut und mit goldenem Zickzack wieder zusammengenäht, um Heilung zu ermöglichen.
Sehen wir uns das Hungertuch an, werden wir durch die schwarzen Linien des Röntgenbildes, den verwendeten Materialien (Zeichenkohle, Staub, Leinöl) und die karge Bildsprache auf das Sterben Christi und das Leiden der Menschen verwiesen. Das Gold und die Blumen stehen dagegen für Hoffnung und Liebe.
Das Röntgenbild zeigt die ganze Härte des Schmerzes, während die Blumen aus Blattgold Kraft und Schönheit des neu erblühenden Lebens symbolisieren. Zudem greifen sie das Muster der Klosterbettwäsche auf.
Neben aller Schwere vermitteln die Linien auch ein Gefühl von Leichtigkeit. Es sieht so aus, als ob sie tanzen. Sie sagen uns, dass Leben ein Prozess ist, der weitergeht. Auch mit verwundeten und gehemmten Füßen vertrauen wir auf die Kraft der Solidarität.
Den Titel des Hungertuches "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" kennen einige vielleicht aus Psalm 31. Dieser beschreibt, was im Glauben alles möglich ist. Der Psalm ist vor etwa 2500 Jahren entstanden (wohl in der Zeit des babylonischen Exils), in dem Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit, Verzweiflung und Unterdrückung verarbeitet werden.
Die Menschen haben immer schon Zuflucht bei Gott gesucht und gefunden und blickten aus der Enge der Angst hinaus ins Weite und schöpften Kraft für einen Neubeginn.
Das Hungertuch ist seit mehr als dreißig Jahren ein zentraler Bestandteil der MISEREOR Fastenaktion. Alle zwei Jahre gestaltet ein(e) Künstler(in) das aktuelle Hungertuch.
Autor:Nina Benninghoff aus Oberhausen |
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