69. Kurzfilmtage, 26. April - 1. Mai 2023
Against Gravity. The Art of Machinima
Nicht nur für Gamer: Die Kurzfilmtage präsentieren dieses Jahr ein noch junges Genre einer breiten Öffentlichkeit: Machinima. Was muss man sich darunter vorstellen? Machinima wird definiert als „die Kunst, animierte Filme mit Hilfe einer virtuellen Echtzeit-3D-Umgebung zu machen“ und nutzt Videospiele oder Spiele-Engines, um Bewegtbilder zu produzieren. In der Gamingszene schon lange sehr bekannt, nutzen auch immer mehr Künstlerinnen und Künstler diese Technik.
Sie erstellen virtuelle Umgebungen, um Veteranen mit PTSD zu helfen. Sie programmieren Avatare um, die daraufhin tanzen statt zu kämpfen. Sie stellen legendäre Filme mit Bildern aus Videospielen nach und nutzen Spiele-Engines, um eigene Zukunftsvisionen zu entwerfen.
Sie erkunden, analysieren und dekonstruieren die Konventionen von Game-Welten wie Grand Theft Auto oder Red Dead Redemption, werfen Schlaglichter auf deren politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen. Kuratiert von Vladimir Nadein und Dmitry Frolov, besteht das Thema aus acht Filmprogrammen, darunter eine Live-Performance, und einer Podiumsdiskussion. „Against Gravity“ bietet Gelegenheit, ein Genre zu erleben, das über die Gaming-Subkultur hinausgewachsen ist und sich zu einem neuen künstlerischen Medium entwickelt hat.
„Machinima ist ein junges, aber schnell wachsendes Medium in einer Zeit, wo die Frage nach dem spezifischen Medium einer Arbeit mehr und mehr an Bedeutung verliert. Die Grenzen zwischen dem traditionellen Kino und neuen Formen des Filmemachers verschwimmen rapide. Wir sind überzeugt, dass Machinima für visuelle Künstler*innen ein Werkzeug der Befreiung sein kann und mit Fug und Recht als Form des Avantgarde-Films betrachtet werden darf.“ (Vladimir Nadein/Dmitry Frolov)
Die Filmprogramme
THEMA 1: Start the Game ↵ (Live Performance)
„Against Gravity. The Art of Machinima” eröffnet mit einer neuen Version der Performance Everyday Daylight der preisgekrönten Medienguerilla-Gruppe Total Refusal (Österreich), live in Oberhausen präsentiert. Auf einer Tour durch Los Santos, die Nachbildung von Los Angeles in GTA V, stellt das Kollektiv Filme, Performances und Kunstprojekte vor. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf dem vieldiskutierten Hyperrealismus in Videospielen.
THEMA 2: Hold the Controller ↵
Hier geht es um die duale Natur von Computerwelten und Avataren, mit denen wir gleichzeitig wir selbst und jemand oder etwas anderes sein können. Die Auswahl der Arbeiten reicht von einem Musikvideo, in dem zwei Avatare zu Breakdancern umprogrammiert wurden (Dance Voldo Dance, Chris Brandt), über virtuelle Realitäten, die Soldaten bei der Bewältigung von PTSD helfen sollen (My Own Landscapes, Antoine Chapon) oder ein „Tutorial“, das sich mit Vorstellungen rund um Muster in der Natur und unserer Existenz auseinandersetzt (How to Fly, David Blandy, im Auftrag der John Hansard Gallery), bis hin zu der sinnlichen und gender-fluiden Erfahrung in But I wanna keep my head above water von Federica die Pietrantonio.
THEMA 3: Crack the Code ↵
Die ersten Machinimas wurden von Hardcore-Gamer*innen gemacht, die die Codes von Computerspielen knackten, um ihre Filme zu produzieren. Diese subversive Kraft ist auch heute noch eine der Hauptantriebsfedern von Künstler*innen, die mit Machinima arbeiten. Die Filme in diesem Programm enthüllen patriarchalische und kapitalistische Ideologien in Second Life (Ain’t Free, George Roxby-Smith), ziehen Parallelen zwischen der Ausbeutung digitaler Körper und der Geschichte der Kolonialisierung (It’s in the Game ‘17, Sondra Perry) und untersuchen, wie vorherrschende Kulturkonventionen in die Games-Welt hineinwirken (Why Don’t the Cops Fight Each Other, Grayson Earle).
THEMA 4: Don’t Forget to Save ↵
In diesem Programm geht es um die Nutzung von Machinima als historisches Archiv und Gedächtnis der digitalen Welt. Mit Arbeiten, die voller Nostalgie für Games-Erfahrungen der Vergangenheit stecken (Codes of Honor, Jon Rafman; The Grannies, Marie Foulston), digitale Welten und ihre Bewohner*innen archivieren (Le Moment Fabriqué, Alan Butler), oder mit Hilfe von Machinima in Videospielen versteckte historische Narrative freilegen (End Time and the Trajectories of Ancestors, Edwin Yun-Ting Lo).
THEMA 5: Open the Map ↵
Ein Programm, das Machinima, ein perfektes Werkzeug für die Fantasie, als Katalysator utopischer Ideen auslotet. Mit diesem Werkzeug können Künstler*innen Zukunftsmodelle erschaffen und testen, wie die schöne neue Welt, die sich queere New Yorker Teenager in Minecraft erschaffen haben (Tracing Utopia, Nick Tyson, Catarina de Sousa), oder drei mit Hilfe eines Spiele-Engines geschaffene Modelle für eine Besiedelung des Mars (The Martian Word for World Is Mother, Alice Bucknell).
THEMA 6: Unlock the Real ↵
Eine Auswahl von Filmen, die das komplexe Wechselspiel zwischen der physischen Welt und ihrer „realistischen“ technischen Darstellung untersuchen. Mit Arbeiten von Harun Farocki, der seinen letzten Film dem Thema Videospiele widmete (Parallel I), des französischen Künstlers Benoit Paillé, der das Scheitern des mimetischen Paradigmas anhand des Zeitraffereffekts in Grand Theft Auto V beleuchtet (Hyper timelapse GTA V (crossroads of realities)), oder von Jacky Connolly, die in Descent into Hell die Einsamkeit und Angst zeigt, die uns im Spannungsfeld zwischen virtueller und materieller Welt ergreifen.
THEMA 7: Cosplay as … ↵
Warum imitieren Menschen berühmte Kultwerke wie Mulholland Drive oder La Jetée? Was treibt Filmemacher*innen an, mit dem Erbe großer Künstler*innen wie Maya Deren oder Andy Warhol zu spielen? Remakes und Re-Enactments stehen im Zentrum dieses Programms, das fragt, was uns diese digitalen Doppelgänger über die Zukunft von Kulturproduktion und –konsum verraten können, von Clint Ennes‘ Rotterdam Tower bis zu Gina Haras Sidings of the Afternoon.
THEMA 8: Phil Solomon. Interplay ↵
Das Thema schließt mit einer Hommage an Phil Solomon, einem der wichtigsten amerikanischen Avantgarde-Filmemacher, der 1990 in Oberhausen für Remains to Be Seen einen Hauptpreis gewann. Nach einem radikalen Wechsel vom photochemischen Filmemachen zu Machinima schuf er seine erste Arbeit in Grand Theft Auto: San Andreas, gemeinsam mit dem befreundeten Filmemacher Mark Lapore, der kurz darauf starb. Dieses Programm umfasst Solomons Lapore gewidmete Trilogie In Memoriam sowie zwei wegweisende 16mm-Filme: The Secret Garden (1988) und Twilight Psalm II: ‘Walking Distance‘ (1999).
Podiumsdiskussion
Zwischen Film und Videospiel: Über das schwer zu fassende Medium Machinima
Ein Gespräch über die Beziehung zwischen Videospiel und Film und ein Blick auf die Evolution von Machinima, seine Grenzen und sein Zukunftspotenzial. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der jüngsten Praxis zeitgenössischer Künstler*innen und Filmemacher*innen, die mit Machinima arbeiten.
Mit: Alice Bucknell (Künstlerin und Autorin, London), IP Yuk-Yiu (Filmemacher, Medienkünstler, Kunstvermittler und Kurator, Hong Kong), Gemma Fantacci (Kuratorin, Milan Machinima Festival), Dr Tracy Harwood (Professor of Digital Culture, De Montfort University, Leicester).
Die Kuratoren
Vladimir Nadein (geb. 1993, Moskau) ist ein in Taipei, Taiwan, lebender Kurator, Künstler und Filmproduzent. Seine Arbeiten wurden in der Einzelausstellung Deep Play, im VT Artsalon und auf der Greater Taipei Biennale gezeigt. Er produzierte den preisgekrönten Film Detours, gefördert vom Hubert Bals Fund, der beim Les Arcs Filmfestival mit dem Eurimages Lab Project Award ausgezeichnet wurde und unter anderem bei der Woche der Kritik in Venedig, der Viennale, beim Thessaloniki Filmfestival, der Woche der Kritik in Berlin, FICUNAM, Jeonju Filmfestival, IndieLisboa, Beldocs, FILMADRID, Camden Filmfestival, TFAI und im Barbican Centre gezeigt wurde. 2016 war Nadein Mitbegründer des Moscow International Experimental Film Festival, das er fünf Ausgaben lang leitete. Er kuratierte unter anderem Filmprogramme für die 17. Architekturbiennale Venedig, das Hamburger Kurzfilmfestival, die Moscow International Biennale for Young Art, das Garage Museum und die University of California. Nadein lehrte an der Moscow School of New Cinema und ist Teil eines Regieduos mit Dina Karaman.
Dmitry Frolov (geb. 1988, Kaliningrad) ist ein in Izmir, Türkei, lebender Kunst- und Filmkurator und –wissenschaftler. Er hat einen BA in Cultural Studies der Russian State University for the Humanities und einen MA in Film Programming and Curating der Birkbeck, University of London. Er kuratierte eine Reihe von Filmprogrammen, Diskussionen, Performances und Ausstellungen zu Künstler*innen wie Maya Deren, Chris Marker, Tony Conrad, Vladimir Kobrin, Yoko Ono, Michael Snow, Annabel Nicholson, James Benning, Alain Cavalier, Aura Satz, Cao Fei, Ana Vaz, Cyprien Gallard und anderen. Seine Texte sind unter anderem in Iskusstvo Kino, Spectate, Colta-ru, Syg.ma erschienen. Seit 2017 arbeitet er als Kurator für das Moscow International Experimental Film Festival (MIEFF), außerdem ist er aktuell Filmkurator des Pushkin House in London.
Oberhausen, 12. Februar 2023
Pressekontakt: Sabine Niewalda, T +49 (0)208 825-3073, niewalda@kurzfilmtage.de
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