19. Hexe Tina ... eröffnet mit Freunden die Sommersaison!
So, meine Tage, in denen ich als schrullige Hexe herumlaufe beziehungsweise -fliege, sind bald vorbei. Dann geht es zurück in die Zivilisation. Doch vorher muss ich euch einfach von meinen letzten Tagen erzählen. Also, es gibt da tief im Münsterland mitten im Wald ein Holzhaus, zu dem es mich, meine Familie und gute Freunde immer wieder hinzieht. Warum, fragt ihr euch nun? Hmm, liegt es an dem zeitlosen Tagesablauf? Der urigen Einrichtung des Hexenhäuschens mit Kamin? Oder der anziehenden Feuerstelle, an dem uns unsere Freunde, die Fledermäuse abends im mystischen Flammenschein besuchen? Jeder von uns wird hier, an diesem magischen Ort, von etwas völlig anderen angezogen ...
Magie liegt in der Luft!
Aber zuvor müssen immer einige Prüfungen bestanden werden, bevor man sich hier an diesem zauberhaften Ort durch den Tag lümmeln kann. Dieses Jahr geschah Folgendes: Zuerst musste ich den Geistern des Waldes ein Geschenk abtreten, jawohl. Ich überlegte fieber-, aber schleierhaft, doch da entschied das Schicksal. Ich bekam überdeutliche Zeichen, meine Zahnfee aufzusuchen. Ohne zu zögern, stimmte sie mit den Waldgeistern überein und verringerte meinen Zahnbestand. Damit ich nicht allzu traurig war, fabrizierte sie mir ein esoterisches ... ehm, nö ... leider ein provisorisches "Brückenteil", das meine restlichen Zähne und meine Zunge leider strikt boykottierten. Das bedeutete, ich hatte ab nun einen mächtigen Sprachfehler und irgendwie auch noch längere Zeit Schmerzen im gesamten Innenrachenbereich. Aber tapfer nahm ich die Herausforderung an. Echte Hexen kennen keinen Schmerz (was für ein blöder Spruch – ab jetzt weiß ich genau, was richtige SCHMERZEN sind, grumpf!)! Aber das hielt mich nicht davon ab, mein eigentliches Ziel zu erreichen.
Noch an meinem Heimatort streikte mein Flugbesen, also der, den einige von euch "Twingo" nennen würden. Aber auch davon ließen wir uns nicht aufhalten. Der sture Teufelsbraten wurde umgepackt und mit vereinten Kräften zurück in die Verbannung (seinem Parkplatz) geschoben. Ha, so durfte nun doch der rote Flugflitzer meiner Tochter mit ins Abenteuerland. Beim Umladen jedoch ging das "glasartige Zuhause" ihrer beiden Zaubermäuse entzwei, das unbedingt mitmusste! Okay, tief durchgeatmet, Scherben weggefegt und den Ersatzglaskubus eingepackt.
So. Konnte nun noch etwas schiefgehen oder konnten wir endlich losfliegen? Des Besens Durst gestillt und ab ging es. Raus aus der Stadt – hinein in die Natur. Unsere Opfergaben stimmte sogar die Wettergöttin milde, denn ab und zu kam sogar die Sonne heraus. Jawohl! Wenn Hexen reisen ...
Unser Flug verlief also fröhlich und entspannt. Im letzten Moment fiel mir und meiner Mama jedoch auch auf, dass wir uns noch auf Nahrungsmittelsuche begeben sollten. Tascha, meine Tochter, war ja schon mit so einem japanischen, hochmodernen, echt spacy aussehenden Flugbesen ihres Wikingerfreundes Patrick zu unserem Waldhäuschen vorausgeflogen. Gesagt, getan. Wer will auch so viele unnötige Hexentaler mit sich herumschleppen. Mama und ich jedenfalls nicht. Diese Dinge passten auch noch auf den Flugbesen und dann trennten uns nur noch einige Kilometer von unserem eigentlichen Ziel. (Ich möchte jetzt nur kurz nebenbei das unangenehme Pochen meines nicht mehr vorhandenen Zahnes erwähnen.) Unser Häuschen und die gesamte Wiese drum herum waren mit mächtig viel braunem Laub vom letzten Jahr zugedeckt. Beim Besen meiner Mama, sicherlich freuten wir uns darüber, nur, dieses Laub wieder zu entfernen, sah nach mächtig viel Arbeit aus. Egal, wir waren endlich wieder hier.
Tja, und dann zickte doch tatsächlich die Pumpe herum, die für unser Wasser aus dem Brunnen zuständig war. Eigentlich. Beleidigt, die Kleine, weil wir anscheinend zu lange fort gewesen waren! Ein verwandter Zauberer, der schnellstens von uns herbeigerufen wurde, überredete sie schließlich, es doch noch einmal für uns zu versuchen. Tatsächlich nahm sie ihre Arbeit langsam wieder auf.
Dann ließen wir erst einmal ein lustiges Kaminfeuer zum Leben erwecken. Schnell wurde die Hütte warm und der Tag neigte sich bald dem Ende zu.
Zwei Nachteulen, meine Höllenhündin Diva la Jessy und ich, ließen sich im nächtlichen Dunkeln noch ein wenig von schillernden Bildern verführen. Nein, keine Sternenbilder, vielmehr bewegte Flimmerbilder, im Allgemeinen auch als "Fernsehen" bekannt. Nun ja, war so, nur ein bisschen. Grusel mitten im dunklen Wald, bei knisternden Kaminfeuer, hach, so richtig schön schaurig. ABER alles hat auch seinen Grund. Im Winter nisten sich in unserem Häuschen gerne kleine Nagerkobolde ein, die den Winter über hier sicherlich Privatpartys schmeißen und die sturmfreie Bude genießen. Damit war jetzt aber Schluss! Ordnung muss schließlich sein, auch im Hexenhaus!
Zurück zu unserem ersten Abend. Also Diva la Jessy und ich wollten irgendwann friedlich schlafen gehen, da hörten wir ein kratzendes Geräusch. Wir horchten sofort auf! Leise schlich ich zu der Eckbank und hob vorsichtig den Sitz hoch. Was glaubt ihr nun, wer mir da frech entgegensprang? Richtig, eine waschechte Partymaus! Diese entkam uns jedoch tatsächlich! Diva la Jessy nahm aber die Spur auf. Eifrig ließ sich meine kleine, schwarze Teufelin von ihren Jagdhundinstinkten leiten. Ha, und was soll ich sagen? Die zweite Partymaus gehörte ihr. Obwohl ich nicht ganz mit ihr übereinstimmte, gewann Diva la Jessy dieses Spiel und blieb erfolgreiche Siegerin. Zufrieden konnten wir im Morgengrauen endlich schlafen gehen.
Am nächsten Tag durchstreiften wir zusammen unsere holländischen Lieblingsläden und kamen stolz mit ereignisreichen Neuanschaffungen zurück. Hexen brauchen ab und zu neue Dinge, auch wenn sie nicht immer sofort wissen, wofür. Aber, und das hingegen wissen sie genau, es gibt Gegenstände, die unbedingt heute mitgenommen werden müssen. Ob oder wann diese Dinge eingesetzt werden, das werden Hexen spüren, ganz bestimmt.
Auch einen Medicus haben wir gefunden. Meine Mama benötigte wichtige Zaubersäfte, aber unser Hauptmedicus ist einfach auf und davon geflogen, unverschämt, ohne uns zu benachrichtigen. Urlaub nennt er so etwas, tzztzz. Aber mit der nötigen Hartnäckigkeit haben wir ihr selbstverständlich das Gewünschte besorgt. Und da wir schon mal in dieser wundervollen Kleinstadt waren, haben wir uns einige Spezialitäten servieren lassen. Ihr müsst bedenken, wir hatten Patrick, unseren furchtlosen und kräftigen Wikinger an der Seite!
Übrigens, Patrick, der sturmerprobte Wikinger, den die Runen hier an diesen magischen Ort für Tascha vor zwei Jahren schon vorhergesagt hatten, bewährte sich bestens. Am Abend, als die Dunkelheit übers Land zog, wurde er in wilde Feuerrituale eingeweiht. Göttin! Zuerst zitterte ich über sein jugendliches Engagement. Er war völlig fasziniert von den "Symphonien der Vernichtung" durch die mächtigen Feuerflammen. Alles, wirklich alles hätte er den Flammen geopfert! Aber er war willig genug, in meinen Bann gezogen zu werden und sich einer Feuerprüfung zu unterstehen, wenn doch nur endlich Niki Potter eingeflogen wäre. Gemeinsam wollten wir Patrick dieser Prüfung unterziehen. Die Entscheidung würde fallen. Entweder hatte er es kapiert und durfte wieder hierherkommen oder er würde das Opfer der Flammen. So sind die Hexengesetze!
Tascha bemühte sich aber die ganzen Tage, ihn zu lehren – ob sie mit ihm durch die Natur streunte, an seiner Seite das Ausland auf sportlichen Drahteseln unsicher machte oder mit ihm nachts durch die Dunkelheit streifte. Selbst teuflischen Getränken am heißen Feuer war er nicht abgeneigt. Kein Höllenhund war ihm zu wild, keine Geräusche der Nacht beunruhigte ihn. Aber wir haben ihn trotzdem an seine Grenzen gebracht. Und zwar durch zwei edle Rösser des Windes. Schwarz und tiefbraun, die nur durch mich und Tascha gebändigt werden konnten. Patrick ließ sich gleichwohl kurz überreden, sich für ein Foto neben diesen stolzen Feuerpferde zu stellen, die ihn mit hoch erhobenen Köpfen und geblähten Nüstern argwöhnisch musterten. Seine Erleichterung, ihnen nach kurzer Zeit wieder zu entkommen, war ihm deutlich anzusehen. Während Tascha und ich noch ein wenig mit den großen Tieren schmusten, flüchtete Patrick lieber zu dem neugierigen Stubentiger. Egal, Respekt für Taschas Wikinger.
Tja, und dann tauchte endlich Niki Potter auf. Am Abend wurde ohne Rücksicht Patricks lang ersehnte Feuerprüfung abgehalten. Piratengold floss durch unsere Adern und laute Schlagermusik hallte durch den dunklen Wald. Durch Taschas hervorragende Hexenkenntnisse konnten wir spät in der Nacht einen neuen Feuergott in unsere Mitte aufnehmen. Das fand übrigens auch meine Mama, die sich mit Regenschirm irgendwann zu uns gesellte. Ein kurzer Regenschauer, Grüße meines verstorbenen Paps, erinnerten uns daran, es nicht zu übertreiben. Wie denn auch? Niki Potter verführte uns doch nur mit kulinarisch außergewöhnlichen Songs wie "Das Tausend-Sterne-Hotel", "Das rote Kleid" oder "Die Hölle morgen früh". Dem Wetter trotzten wir, und noch hat es auch niemand geschafft, Niki Potters ungewöhnlicher Musikrichtung zu trotzen. Noch niemand!!!!!
Tascha und ich schmunzeln jedes Mal über unsere "Neulinge", aber genießen diese magischen Hexenabende am Feuer aus vollen Herzen. Schließlich sind wir beide hier in unserem Zauberwald aufgewachsen.
Natürlich flogen wir am nächsten Tag mit Herrn Potter gezielt ins Nachbarland, wo er endlich wieder seine "holländischen Frikandeln" genießen konnte. Ihr müsst wissen, Herr Potter ohne diese "holländischen Lebensretter" ist genauso wie ein modernes Automobil ohne Sprit. Nix geht mehr. Überhaupt nix. Aber, beim Besen meiner Mama, wir waren der holländischen Grenze ja sehr nahe.
Tja, und dann haben wir Patrick wieder in die Zivilisation entlassen müssen. Nicht vergessen möchte ich auch einige der mystischen Dinge, die hier noch passiert sind. Die Uhr meines letzten Jahres verstorbenen Paps tickte plötzlich wieder, sein geliebter Zinnteller fiel von alleine von der Wand. Nichts passiert hier ohne Grund. Zufälle oder Zeichen. An diesem mystischen Ort, hier im Zauberwald, ist wirklich nichts unmöglich, gleichzeitig aber alles möglich. Und jeder könnte die Magie spüren, man muss keine Hexe sein, aber sein Herz öffnen können. (Langsam gewöhne ich mich zähneknirschend auch an das Geschenk meiner Zahnfee, grrr!)
Bald bin ich wieder da, deshalb vergesst nicht, eure Besen zu schwingen.
Bis in einhundert Jahren
Eure Hexe Tina
Autor:Tina Becker aus Oberhausen |
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