Stadtgeschichte Kriminalität: Die Polizistenmorde in Oberhausen-Sterkrade auf dem Tackenberg im Jahre 1972. Karl-Heinz Girod
Stadtgeschichte Kriminalität True Crime: Die Polizistenmorde in Oberhausen-Sterkrade auf dem Tackenberg im Jahre 1972. Teil 1.
- „Bitte um Kenntnisnahme“.
Der gesamte Artikel besteht aus vier Teilen.
Teil 1 das Geschehen am 15. Juni 1972
Teil 2 die getöteten Polizisten, Trauerfeier und eine kurze Vita
Teil 3 die Familie Girod
Teil 4 das Urteil
Diese Ausgaben erscheinen jeweils vier Wochen später. Vielleicht wird es auch einen fünften Teil geben, der sich dann mit euren Berichten vom Tag des Geschehens befassen wird.
Warum schreibe ich über diese sinnlose Bluttat nach solch einer langen Zeit? Es ist ja schon 52 Jahre her. Das hat mehrere Gründe: Einer, der wichtigste war meine Enkeltochter Chioma, damals 17. Sie hat mich gefragt: „Hey Opa, hast du mal was in der Kindheit erlebt, was du bist heute nicht vergessen konntest?“ „Und natürlich, was sich alle Enkelkinder fragen: Wie warst du früher mal drauf?“
Ja, da waren einige Dinge, die jeder behält, auch wenn es Jahrzehnte zurückliegt, der Tod der Großeltern in meiner Kindheit und Teenagerzeit. Da war aber noch was außerhalb der Familie, was alle Jahre wieder durchkommt und nie richtig verblasst. Die Bluttat auf dem Tackenberg.
Viele der Leserinnen und Leser werden über diese Morde auch nichts wissen oder von diesen Verbrechen gehört haben; in den Medien gibt es auch nur wenige Berichte, die über diese Verbrechen schreiben oder geschrieben haben. Wie die Geschichte immer wieder zeigt, gerät vieles in Vergessenheit oder man schweigt es zu Tode. Mir liegt es fern, alte Wunden bei den betroffenen Familien, Freunden oder Polizeibeamten aufzureißen. Mein Anliegen begründet sich darauf, dass man solche unmenschlichen Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten lassen sollte. Auch nicht in der eigenen Heimatstadt!
Ich glaube, an diese sinnlosen Gräueltaten werden sich noch viele „Ältere“ erinnern.
Die Angehörigen, Freunde und Arbeitskollegen der getöteten Polizisten werden es wohl nie verarbeiten können. Um ein solch sinnloses Verbrechen handelt es sich aus meiner Sicht. Die Polizeibeamten in Oberhausen werden jeden Tag daran erinnert durch die Ehrentafel der getöteten Polizisten, die im Polizeipräsidium Oberhausen Friedensplatz und auf der Polizeiwache Sterkrade Wilhelmplatz hängen.
Keiner konnte sich vorstellen, dass sich am 15. Juni 1972 auf der Beethovenstraße 24, solch ein unfassbares Verbrechen ereignen würde.
Unsere Stadt Oberhausen war früher sehr häufig in Zeitungen vertreten, durch unsere leistungsstarke Industrie, durch die hart arbeitende Bevölkerung und, dass unsere Stadt die Wiege der Ruhrindustrie ist. All diese positiven Eigenschaften wurden in nur wenigen Stunden zunichtegemacht, durch Karl-Heinz Girod.
An diesem Tag kam Oberhausen durch diesen Mann, der diese Bluttat zu verantworten hatte, in negative Schlagzeilen und es blieb viele Jahre im Gedächtnis. Bis heute ist solch eine grausame Tat nicht mehr geschehen. Der Sozialhilfeempfänger Karl-Heinz Girod erschoss kaltblütig drei Polizeibeamte und verletzte noch zwei weitere Polizisten schwer. Zum Glück sind die schwerverletzten Polizisten trotz Folgeschäden genesen. Eine Zivilperson wurde ebenfalls verletzt. Zum Glück nur leicht.
Ich selber war einer der vielen Neugierigen, die damals dieses Spektakel miterlebt hatten. Dieses unsinnige Verbrechen ist mir bis heute im Kopf geblieben. Manche Geschehnisse von diesem Tag sind verblasst, ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern.
Im Nachhinein muss ich gestehen, dass all die Leute es den Polizisten nicht erleichtert haben. Die Beamten mussten öfters herumrennen und den Leuten sagen: „Kopf einziehen und aus dem Schussfeld raus“. Manche mussten heruntergedrückt oder in Sicherheit gezogen werden, sie begriffen bestimmt den Ernst der Lage nicht. Ich war zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt.
- Wie begann alles und wie kam ich dahin?
Ein damaliger Kumpel, heute kann ich mich nicht mehr recht entsinnen, kam mit seinem Fahrrad vorbei und sagte: „Am Tackenberg wird geballert.“ "Komm, lass uns hin.“ Ich dachte erst, der labert nur blödes Zeug, dann aber merkte ich, dass es kein Witz war. Wir sind dann mit dem Rad dort hin. Den Tag habe ich bis heute nicht vergessen.
Was mir nicht aus dem Kopf geht, obwohl es schon 52 Jahre her ist: das dämliche, arrogante Grinsen von Girod! Das habe ich immer noch lebhaft vor Augen.
Ich sehe auch noch das traurige und Tränen erfüllte Gesicht eines jungen Polizisten vor mir.
Da war auch noch der beißende Tränengas-Nebel, der der Straße ein gespenstisches Aussehen verlieh.
Und dann immer wieder Schüsse. Polizisten, die herumliefen, um Leute zu warnen. Es wurden immer mehr Zuschauer.
Die tosenden Schreie und hasserfüllten Rufe der Leute, als die Polizisten das Subjekt Girod ins Polizeiauto brachten. Was für ein Gedränge, was für eine unbeschreibliche Wut in der Luft lag. Wildfremde Leute schrien hasserfüllte und bösartige Worte, immer weiter zu den Beamten drangen, die Girod beschützten. Die Polizisten mussten alle Kräfte aufbringen, um die Meute zurückzudrängen, was war das für ein Tumult. Ich bewundere heute die Beamten. Was das für eine Beherrschung war, den Mann zu schützen, der gerade ihre Freunde, Polizeikollegen getötet hatte.
Folgende Stunden werden für viele Menschen unvergessen bleiben. Das Massaker, das folgte, ist eine traurige Geschichte aus Oberhausen.
WDR Familie Girod gegen die Polizei: Tödliche Schießerei in Oberhausen
- Warum wurden die Beamten zur Familie Girod gerufen?
Girod, ein ehemaliger Geschäftsführer und Chemiefacharbeiter, hatte sich bereits vor Jahren vergeblich um eine Erwerbsunfähigkeitsrente bemüht. Beim Sozialamt war er erfolgreich. Seit 1965 zahlte das Amt etwa 100.000 DM Unterstützungsgelder, daneben war die Behörde — so Oberstaatsanwalt Otto— ständig bemüht, eine Vertrauensbasis zu der achtköpfigen Familie herzustellen.
Nachdem die Stadt Girod mehrmals vergebens zu einer ärztlichen Untersuchung aufgefordert hatte, erstattete sie im Juni 1971 Strafanzeige wegen Verletzung der Unterhaltspflicht. Es bestand der Verdacht, dass Girod simuliert.
Nach einem Beschluss des Amtsgerichts Oberhausen sollte der Familienvater schließlich auf Arbeitsfähigkeit und strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit untersucht werden. Diesen Beschluss focht er mit Erfolg an. Zu einer amtsärztlichen Untersuchung erschien er ebenfalls nicht. Daraufhin erließ das Amtsgericht zwangsweise die Vorführung für den 19. April 1972.
Am 18. April suchte ein Polizeibeamter Girod in seiner Wohnung auf, um ihn auf den Termin hinzuweisen. Der Beamte, dem Girod zu verstehen gab, er werde sich nicht mit Gewalt aus seiner Wohnung holen lassen (wobei er den Besitz einer Pistole andeutete), gewann den Eindruck, dass eine Vorführung nicht ungefährlich sei. Dies führte zur Absetzung der geplanten Vorführung. Die Akten gingen zurück zur Staatsanwaltschaft Duisburg.
Amtsgerichtsrat Haller unterschrieb daraufhin einen Hausdurchsuchungsbefehl (nach Waffen), mit deren Durchführung Kriminal-Hauptmeister Schulte-Holthaus beauftragt wurde. Der neue Termin wurde auf den 15. Juni 1972 gesetzt.
- Tatort: Oberhausen. Beethovenstraße 24
Am 15. Juni 1972 trafen 7 Polizeibeamte auf der Beethovenstraße 24 ein. Vier von ihnen waren in Zivil, die anderen in Uniform. Die Kripobeamten in Zivil klingelten gegen 9:30 Uhr bei Girod.
- Familie Girod
Die Familie Girod wohnte in einer 3 1⁄2-Zimmer-Wohnung auf der 1. Etage. Zu dieser Zeit waren folgende Personen in der Wohnung. Karl-Heinz Girod (43), Frau Brunhilde (36) geb. Schürmann, die Söhne Karl-Heinz (15), Peter (13), Ulrich (11), Klaus (9), Horst (8).
Tochter Christa (12) war als einzige in der Schule.
- Einlass der Beamten
Karl-Heinz Girod öffnete die Tür, die Beamten zeigten ihre Marken, danach ließ er folgende Beamten in die Diele: Kriminal-Hauptmeister Karp (43), Kriminal-Hauptmeister Alfred Rötters (44), Kriminal-Hauptmeister Hermann Schulte-Holthaus (58) und Kriminal-Hauptwachtmeister-Anwärter Udo Laufs (25). Draußen im Flur stand Polizeimeister Günter Olfen (24) und Polizei-Hauptkommissar Jürgen John (36) und hielten Wache. Schutzpolizist Wilhelm Gräwe stand auf dem Hof und sollte bei einer Flucht Girod den Weg abschneiden.
- Der Durchsuchungsbefehl wird gezeigt, erste Beschimpfungen
Das Gespräch und Girod waren am Anfang ruhig und freundlich, bis Einsatzleiter Schulte-Holthaus den vom Amtsrichter unterschriebenen Durchsuchungsbefehl zeigte. Sofort stießen das Ehepaar Girod wüste Beschimpfungen aus. Beide waren sehr erregt und warfen mit Beleidigungen nur so um sich. Jahrelang werden wir tyrannisiert… , der Richter ist ein Schwein. Girod war nicht so auf brausend wie seine Frau Brunhilde.
- Die Lage wird unruhiger und aggressiver. Frau Girod stachelte die Stimmung an.
Es wurde von Minute zu Minute unruhiger, einen großen Anteil daran hatte Ehefrau Brunhilde, sie spitze die Lage immer mehr zu. Durch ihre keifenden Worte wurde die Lage immer bedrohlicher. Sie heizte und stachelte ihren Mann förmlich an. „Glaube das alles nicht, Karl-Heinz, die wollen nicht die Waffen, die wollen dich holen.“
Einsatzleiter Schulte-Holthaus sagte jetzt energisch: „Entweder geben Sie die Waffen freiwillig heraus, oder wir durchsuchen die Wohnung.“ Plötzlich klopfte es an der Tür. Frau Girod öffnete die Tür und brüllte ihren Mann zu: „Da sind noch mehr Polizisten". Draußen standen im Hausflur Jürgen John und Günter Olfen. John und Olfen wollten sich erkundigen, wie weit ihre Kollegen mit der Durchsuchung gekommen seien. „Es dauere noch etwas!“, und die Türe wurde schon wieder geschlossen.
- Das Auftauchen neuer Beamte und die Hetze von Frau Girod brachten das Fass zum Überlaufen.
Der Grund war, dass Girod panische Angst davor hatte in der „Klapsmühle“ zu landen. Seine Frau, die diese Angst kannte, schürte sie durch ihre Worte weiter an.
Das Auftauchen weiterer Polizisten war wohl für Girod der Auslöser für das kommende unvorstellbare Blutbad.
- Die Familie bewaffnete sich heimlich
Was die Beamten nicht wussten und nicht mitbekommen hatten: die beiden Söhne, 13- und 15-jährig, bewaffneten sich im Schlafzimmer mit Revolvern. Brunhilde Girod schrie unterdessen wie eine Furie, und rannte in Windeseile ins Schlafzimmer und holte sich aus dem Kleiderschrank ebenfalls eine Schusswaffe zu holen. Dieselbe wurde später bei ihrer Festnahme unter ihren Kittel wiedergefunden. All das sahen die Polizisten nicht.
- Es folgt, mit Heimtücke und List, die grauenvolle Tötung mehrerer Beamten
Aus heiterem Himmel bittet der zuckerkranke Girod sich eine Insulinspritze setzen zu dürfen. Herr Schulte-Holthaus antwortete: „Selbstverständlich dürfen Sie das.“ Jetzt folgte das feige und unbegreifliche Handeln von Girod und von seinen Familienangehörigen. Girod drehte sich blitzschnell halb um und zog eine Pistole aus der Hosentasche und schrie: „Hier habt ihr meine Waffe!“, und richtete ohne zu zögern, die Waffe nah an den Kopf des Beamten, der ihm gerade noch höflich geantwortet hatte. Ohne Gnade schoss Girod aus weniger als 15 cm Entfernung in den Kopf des Mannes; das wurde später bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung festgestellt. Vier oder fünf weitere Schüsse folgten.
- Binnen weniger Sekunden verloren die Beamten ihr Leben
- Ein Schuss durch die Tür traf Olfen
Draußen vor der Haustür schrie Olfen auf, eine Kugel durchschlug die Wohnungstür und traf ihn genau ins Herz.
- Rötters sprang ins Badezimmer
Polizist Rötters konnte sich ohne Schussverletzung ins Badezimmer retten. Zum Glück war ein Schlüssel in der Tür. Er schloss ab und nahm Deckung in der einzigen Möglichkeit, die sich ihm im Badezimmer bot, in der Badewanne. Zwei Kugeln, die durch die Badezimmertür schlugen, verfehlten zum Glück ihr Ziel. Nach einigen Minuten, als Rötters meinte, man könnte es riskieren, sprang er wagemutig aus dem Fenster.
- Karp und Laufs wurden getroffen
Im Kugelhagel wurde Karp getroffen und stürzte auf seinen Kollegen Laufs. Dieser riss geistesgegenwärtig noch die Wohnungstür auf und beide Beamten stürzten in den Flur. Ihre Füße waren noch in der Diele. Und wieder wurde feige und ohne Gnade auf die wehrlosen Beamten geschossen. Laufs wurde dabei am Oberschenkel getroffen. Er merkte seine Verletzung erst später und überlebte das Blutbad schwer verletzt, denn mit letzter Kraft rettete er sich auf dem Flur.
- Auf den am Boden liegenden Karp wurde weiter geschossen
Auf den verletzen, mit dem Gesicht zu Boden liegenden Werner Karp, wurde mehrmals geschossen und fünf Schüsse, die aus verschiedenen Waffen abgegeben worden waren, trafen ihn. Eins der Projektile traf auch einen Hinterkopf.
- John brachte Olfen runter
Beamter John hat seinen tödlich verletzten Kollegen Olfen herunter gebracht.
• Gräwe kam und holte seinen Kollegen Laufs und Karp
Gräwe rannte sofort ins Treppenhaus, als er die Schüsse gehört hatte. Dort fand er seinen Kollegen Laufs, dieser war durch einen Schuss am Oberschenkel getroffen worden, mit letzter Kraft wollte er die Treppen runter. Gräwe trug seinen Kollegen nach draußen in Sicherheit.
Nochmal ging er hoch, um den blutüberströmten Kollegen Werner Karp zu holen.
- Die Tür zu Girods Wohnung war jetzt geschlossen.
Die Wohnungstür der Familie Girod war in diesem Moment geschlossen. Die Söhne Karl-Heinz und Peter zogen den Toten Schulte-Holthaus, der im Korridor lag, ins Wohnzimmer hinter einen Schrank und Frau Girod bedeckte das Gesicht des Toten mit einem Handtuch. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Beamten nicht, dass ihr Kollege Schulte-Holthaus nicht mehr am Leben war. Ein Schrank wurde umgekippt und vor die Wohnungstür gelegt, um das Eindringen der Beamten zu verhindern und gleichzeitig als Kugelfang zu dienen. Auf und vor dem Schrank kamen noch Stühle, Tisch, Sessel usw. als Barrikade.
- John wollte Bericht erstatten und wurde getroffen
Jürgen John verließ seine Deckung und rannte zum Streifenwagen und wollte seine Kollegen warnen, und sowie einen Lagebericht durchgeben. Genau in diesem Augenblick wurde er von einer Kugel in den Hals getroffen und fiel mit dem Gesicht auf den Boden. Er war lebensgefährlich verletzt worden.
- Weitere Schüsse folgten aus Girods Wohnung Richtung Dorstener Straße
Einige Minuten später waren noch zwei Schüsse zu hören, aber diese waren nicht zuzuordnen. Hinterher fand man heraus, dass diese Schüsse auf eine etwa 100 m entfernt liegende Wohnung abgegeben wurden. Sie galten Frau Deitert, die Ehefrau von Dr. Deitert auf der Dorstener Straße. 262.
Der Grund dafür war, dass Girod sich der Anordnung des Arztes nicht fügen wollte. Er war der Meinung, dass Dr. Deitert ein negatives Urteil über ihn beim Gesundheitsamt und an der Rentenversicherungsstelle abgegeben hatte. Er sah Frau Deitert hinter der Gardine und schoss. Sie erhielt einen Streifschuss an der Schulter und die andere Kugel ging ganz knapp an ihrem Kopf vorbei. Sie hatte sehr viel Glück gehabt.
- Verstärkung und Krankenwagen trafen ein. Die Polizisten wurden ins Krankenhaus gebracht.
Kurze Zeit später trafen Polizei und Feuerwehr ein. Es wurde sich so schnell wie möglich um die Schwerverletzten gekümmert.
Der Beamte Günter Olfen verstarb auf dem Weg zum Krankenhaus. Udo Laufs (24), der zusammen mit seinem Kollegen John im Sterkrader Joseph Krankenhaus kam, hatte einen glatten Weichteildurchschuss durch den Oberschenkel vom Knie bis zur Hüfte und einen Streifschuss an der Hand davongetragen. Zwar war der Blutverlust nicht gering, aber er war schnell wieder auf den Beinen. Jürgen John hatte einen Einschuss in die obere Schlüsselbeingrube mit Durchtrennung der Halsnervenstränge. Die Kugel trat neben der oberen Brustwirbelsäule aus. Er erlitt dabei einen Bluterguss in der linken Brusthöhle. Ein Arm war einige Zeit gelähmt, es bestand aber keine Lebensgefahr.
- Polizisten schossen zurück
Die Wohnung der Girods wurde von zwei Seiten unter Beschuss genommen.
Von den beiden Seiten des Hauses peitschten ganze Salven aus Schnellfeuergewehren in Wohn- und Schlafzimmer der Familie ein. Girod hatte mit seiner Frau Brunhilde und seinen beiden Söhnen Karl-Heinz und Peter zudem Unterstützung. Sie waren ebenfalls bewaffnet. Schnell erkannte die Polizei, in der Zwischenzeit waren über 50 Beamte im Einsatz, die ziemlich schwierige Situation und stellte das Feuer zeitweise ein. Selbst ein speziell aus Düsseldorf angereister Scharfschütze der Polizei konnte kein Ziel hinter dem Fenster, an dem die Vorhänge zugezogen waren, während der Feuerpause bis 10:45 Uhr finden.
Oberbürgermeisterin Luise Albertz, Stadtdirektor Schwarz und Polizeidirektor Meier-Gerdingh waren schon sehr früh am Tatort eingetroffen, der inzwischen fünf Polizisten zum Verhängnis geworden war.
- Neugierige waren gefährdet
Die Polizei hatte ständig alle Hände voll zu tun, die leichtsinnigen Neugierigen – zu denen auch ich gehörte – aus den direkten Schusslinien zu bringen. Die Polizisten mussten die Schaulustigen in Deckung oder aus der Gefahrenzone „schieben“. Manchen war es nicht bewusst, wie gefährlich es war. Ein Wunder, dass keiner der Schaulustigen getroffen wurde. Ich selber war immer im Bereich der Gaststätte Berghof. Es machte schnell die Runde, dass auf dem Tackenberg geschossen wurde. Es wurden immer mehr Menschen. Überall wurde getuschelt und keiner wusste eigentlich, was genau los war.
- Girod nutzte jede Möglichkeit zu schießen
Ein weiteres Geschoss verfehlte den Kopf eines Scharfschützen nur knapp, als dieser von einer Wohnung des Hauses Dorstener Straße 259 Girods Schlafzimmer unter Beschuss nahm.
- Girod forderte explizit RA Schöller
In einer Feuerpause wollte Girod einen Anwalt sprechen. Nicht irgendeinen, sondern RA Schöller. Das war alles nicht so einfach, denn RA Schöller war im Gerichtssaal. Die Polizisten setzen alles in Bewegung.
- Die Gewalttat an der Beethovenstraße 24 hatte auch Auswirkungen auf das Amtsgericht Oberhausen
Wie an jedem Tag waren im Amtsgericht Polizisten im Dienst. Nachdem bekannt werden der Vorfälle, eilten sie zu ihrer Dienststelle und entschuldigten sich für die notwendig gewordene Nichtbeachtung der Termine, zu denen sie geladen waren.
- Das Schöffengericht wurde unterbrochen.
Um 12 Uhr musste die Sitzung des Schöffengerichts unterbrochen werden.
Der Sterkrader Amok-Schütze hatte ausdrücklich RA Schöller gefordert.
Im Polizeiwagen wurde er zur Beethovenstraße 24 gefahren.
- Girod wollte mit RA Schöller sprechen, 12:45 Uhr
Gegen 12:45 Uhr öffnete Girod die Tür und wollte mit RA Dr. Schöller, seinen angeforderten Rechtsanwalt, sprechen und anschließend mit seinem Bruder (34). Währenddessen seine beiden ältesten Söhne Wache mit Waffen in den Händen. Girod ließ sein FN-Schnellfeuergewehr nicht aus den Händen. Als ihn die Sirenen der anrückenden Polizeiverstärkung nervös machten, drohte er: „Ich lege alles um“, betonte aber immer, dass er an den Geschehnissen
unschuldig sei. Und immer wieder kam seine Überheblichkeit und das miese Grinsen zum Vorschein. All die ganzen Bemühungen, die die Beamten unternahmen, trugen keine Früchte; auch Polizeihauptmeister Axt, der immer wieder das Gespräch zu Girod suchte, hatten keinen Erfolg. Die Polizisten wollten, dass der verletzte Schulte-Holthaus (zu diesem Zeitpunkt dachte man, dass er noch lebend, aber schwerverletzt in der Wohnung lag) herausgeholt wird. In Wirklichkeit war der Beamte aber bereits verstorben. Auch sollten seine Frau und Kinder die Wohnung verlassen. Girod zeigte absolut kein Verständnis und die Beamten brachen die Gespräche ab.
- Die Polizisten sahen keine andere Möglichkeit und griffen an
Von einem Haus auf der Beethovenstraße gegenüber der Todeswohnung wurden deren Fenster mit Tränengas eingedeckt, ebenso von der Hofseite.
Die Gaspatronen wurden aus Duisburg eingeflogen. Für die Polizisten in vorderster Front waren kugelsichere Westen mit einem Hubschrauber aus Dortmund eingeflogen worden.
Die Maßnahme brachte endlich ein Ergebnis, Brunhilde Girod zeigte sich mit drei ihrer Kinder auf dem Balkon. Ein Beamter meinte: „Die betet, ja!“ Wenig später war die Munition verschossen, doch einige der Patronen hatten ihr Ziel gefunden. Langsam rollte der beißende Nebel durch die Straße, gefolgt von Schüssen und schreienden Menschen. Ich sah, wie einige Menschen herunterliefen zu mir, um der Tränengaswolke zu entrinnen. Überall war eine Unmenge an Stimmengewirr zu hören. Ganz anders, als vor einigen Minuten, bevor es losging, die Totenstille, im wahrsten Sinne des Wortes, bevor die Schießerei wieder anfing . Etwas später sah ich, dass am Fenster von Girods etwas passierte, aber konnte nicht erkennen, was. Später wusste ich es. Die Rettung der Kinder erfolgte.
- Durch das Tränengas kamen Frau Girod und die Kinder ans Fenster auf der Beethovenstraße, vor kurzem waren sie noch auf dem Balkon, der hinten lag zur Dorstener-Straße. Hustend und mit Tränen in den Augen versuchten sie sich etwas Linderung zu verschaffen am Fenster.
- Helden des Tages Werner Gesthuisen und der Bruder von Girod
Als das Tränengas in dicken Schwaden aus der Wohnung über die Straßen zog, und durch die zitternden und aufgebrachten jüngeren Söhne Ulrich, Klaus und Horst (elf, neun, acht Jahre) sah, ließ sich der Todesschütze dazu erweichen, dass seine Kinder den Gefahrenort verlassen durften. Die beiden ältesten wollten bei ihrem Vater bleiben.
Da schlug die Stunde eines 43-jährigen Fernsehmechanikers. Zusammen mit Girods Bruder lehnte der Mechaniker Werner Gesthuisen, Mellinghofer Straße, eine Leiter an das Haus Beethovenstraße 24. Die Leiter stammt noch von der Evakuierung der Hausbewohner, die auf der Hofseite stattfand. Die Beamten hatten die oberen Etagen evakuiert, von der Hofseite aus, die zur Dorstener-Straße zeigte. Während „vorne“ geschossen wurde, haben die Beamten die oberen Bewohner des Hauses evakuiert.
Eine nicht ungefährliche Aktion. Zum Glück bemerkte Girod es nicht. Diese Leiter nahm er, um die vier jüngeren Söhne, aus der Gefahrenzone zu holen. Um Hilfe flehend, streckten sich nach draußen durch das zerschossene Fenster an, die Kinder wurden dann in Sicherheit gebracht.
Girods Bruder und Herr Schutzpolizeidirektor Richter hatte immer wieder versucht, seinen Bruder Karl-Heinz dazu zubewegen, die Waffen niederzulegen.
Die Mutter, die eine Pistole in der weißen Kitteltasche hatte, lehnte mit verzerrtem Gesicht aus dem Fenster. Die Frau, schrie immer wieder: „Ich wollte nur meine Tochter, mein Kind sehen!“, während ihr Mann sich zu rechtfertigen versuchte: „Was haben wir denn getan?“.
Während Vater, Mutter und Sohn von Schutzpolizeidirektor Richter durch Gespräche am Fenster gehalten wurden, drangen drei Beamte durch die aufgeschossene Wohnungstür.
Das war kein leichtes Unterfangen, hinter der Tür hatte die Familie eine Barrikade aus Möbelstücken errichtet, die das Eindringen der Beamten sehr stark behinderte. Als dieses endlich geschafft wurde, konnten Karl-Heinz Girod, der schon vorher die Hände erhoben hatte, genauso wie sein Sohn Karl-Heinz, schnell überwältigt werden. Noch einmal versuchte Girod leichten Widerstand zu leisten, der sofort gebrochen wurde.
- Die Menschenmenge tobte
Als Girod abgeführt wurde, hatte Girod wieder das höhnische Lächeln aufgelegt. Dieses dreckige Grinsen ist mir bis heute sehr präsent im Kopf geblieben. Kaum war er aus der Tür, tobte die Menge, sie bewegte sich in Richtung Girod. Wir Kleineren wurden an die Seite gedrängt, die ersten Worte fielen. „Totschlagen sollte man ihn!" Das waren noch harmlose Worte, es folgten noch viel schlimmere Worte; die Stimmung war bedrohlich, die Polizei musste mit aller Kraft die Menge zurückhalten. Das Bild von dem jungen Polizisten, der trotz Wut und Tränen erfüllten Augen anwesend war, blieb mir bis heute erhalten. Er hat, wie alle Polizisten auch, erfahren, dass der in der Wohnung liegende Beamte Schulte-Holthaus tot war. Was muss es für eine Kraft kosten, solches Subjekt zu schützen, das gerade seine Kameraden gnadenlos erschossen hatte. Das dämliche Grinsen, denke ich, heizte die Stimmung noch zusätzlich an. In dem ganzen Stimmengewirr fragte Girod nach seinen Kindern.
Ich weiß nicht, wie viel Leute jetzt dort waren, es wurden immer mehr. Eine Schar von Kamera und Fotografen von Fernsehen, Hörfunk und Presse waren auch schon zahlreich erschienen. Sie waren hinter der Polizeiabsperrung und verfolgten alles.
- Die Waffen und Munition, die die Polizisten sicherstellten und was sie bei sich trugen.
- 36-Jährige Ehefrau Brunhilde Girod, geb. Schürmann,
unter dem Kittel einen Patronengürtel, in der Kitteltasche eine Pistole.
- Auch der 15-jährige Sohn Karl-Heinz
hatte noch 70 Patronen bei sich.
- Karl-Heinz Girod
hatte 138 Schuss lose in den Taschen (2 Kilo).
- Die Mordkommission fand nach der Schießerei insgesamt 388 Patronenhülsen in der Wohnung der Familie.
- In der Wohnung der Girods stellte man noch folgende Dinge sicher:
- 1 Karabiner Mauser 98
- 3 Kleinkaliber-Gewehre,
- 1 Mehrlader
- 1 Luftgewehr
- 1 Walther PP
- 1 Selbstlade Duo Pistole
- 2 Revolver
- 2517 Schuss Munition
- Wildwestgürtel.
- Mehrere Messer
Dies hatte Karl-Heinz Girod sich alles leisten können durch die Zahlungen des Sozialamtes.
Kinder Girod
Die Kinder vier Söhne 8 bis 12 Jahre, die nach Verhandlungen mit seinem Schwager, Gesthuisen und Polizeihauptmeister Georg Axt freigegeben hatte, wurden mit einem Krankenwagen weggefahren.
Die zwölfjährige Christa wurde von der Polizei aus der Schule geholt. Sie war die einzige, die nicht in der Wohnung war. Später nahm sich das Jugendamt ihrer an.
Quellen:
Autor: Martin Grundmann. Historisches Oberhausen.
Vielen Dank an Claudia Mender für Vorschläge und das Korrekturlesen.
Zeitungen der WAZ, NRZ, aus den Jahren 1972, 1974.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dreifacher_Polizistenmord_von_Oberhausen
https://www.waz.de/staedte/oberhausen/article235615611/Tragischer-Einsatz-1972-Oberhausen-Drei-Polizisten-sterben.html
https://www.spiegel.de/politik/kriminalbeamte-liessen-sich-taeuschen-a-44b5fb21-0002-0001-0000-000041784640
Ich danke dem Team des Stadtarchivs Oberhausen. Ein besonderes Dankeschön an den Mitarbeiter des Stadtarchivs Herrn Uecker, für seine wertvolle Hilfe.
Autor:Martin Grundmann aus Oberhausen | |
Martin Grundmann auf Facebook |
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