Strasbourg ein Jahr lang Welthauptstadt des Buches
Schmelztiegel im Herzen Europas
In ihr steckt ganz schön viel: Sie ist Hauptstadt Europas, Sitz des Europa-Parlaments, Heimstatt des Buchdrucks und der französischen Nationalhymne und nun für ein Jahr UNESCO-Welthauptstadt des Buches: Es reicht schon ein kurzer Rundgang durch die Gassen und entlang der Kanäle, um Straßburgs bedeutsamen historischen und kulturellen Status in Vergangenheit und Gegenwart zu erfassen.
Es ist fürwahr einfach auf den Punkt zu bringen: Die Mischung macht’s. Der Slogan spricht aus, was die elsässische Metropole so einmalig macht. Über Jahrhunderte verwebten sich dabei Elemente rechts und links des Rheins zu einem facettenreichen urbanen „Teppich“, mit einem durch und durch eigenen Charakter, ja gar einer selbstbewussten Identität.
Diesem Erbe, das sich im Laufe der Zeit bildete, indem Straßburg einmal zu Deutschland und dann wieder zu Frankreich gehörte, lässt sich an vielen Stellen des bereits 1945 zur europäischen Hauptstadt erklärten historischen Zentrums des Elsass nachspüren – und dies auf ganz greifbare und schöne Weise schlendernd zu Fuß.
Um die deutschen und französischen Merkmale, die sich im alten und neuen Straßburg etabliert haben, bei einer entspannten Tagestour zu erkunden, begibt man sich geradewegs ins Herz des örtlichen Lebens, auf die Grande Île, eine Insel im Fluss Ill im historischen Kern der Stadt: Direkt auf dem Platz vor der kunstvoll-filigranen Westfassade der seit über 1000 Jahren bestehenden Kathedrale, weltweit eines der größten Sandsteingebäude, kann gestartet werden oder man wirft zuvor noch einen Blick in das Münster, dessen 142 Meter hoher Turm beinahe während der Französischen Revolution zerstört worden wäre.
Dazu gibt es Spannendes zu erzählen: In den Jahren 1793/94 erlebte die Rheinstadt gleichwohl eine Zeit des Terrors, angeführt von Eulogius Schneider, einem ihrer radikalen Wortführer, ehemaliger Franziskanerpater aus Deutschland, der dafür stritt, den damals höchsten Turm Europas als Symbol klerikaler Arroganz abzureißen. Stattdessen sollte ein Tempel der Vernunft an seine Stelle treten, was jedoch bei der Bürgerschaft nicht fruchtete, deren Herz zwar für den politischen Umsturz schlug, allerdings nicht so stark wie für den geliebten Kirchturm, sodass er stehenblieb und damit auch die über 12 Meter große Fensterrose, Ende des 13. Jahrhunderts von Erwin von Steinbach entworfen, einem der genialen Meisterarchitekten der Cathédrale Notre Dame de Strasbourg.
Neben dem großen Baumeister hielten sich namhafte Personen in einem der großen europäischen Zentren der Reformation und des Humanismus auf: Calvin, Rousseau, Goethe, Metternich, Mozart, Gustav Doré, Tomi Ungerer oder Gutenberg. Unweit des Münsters steht eine große Statue des Erfinders des Buchdrucks, der eine Seite aus der Bibel mit den Worten „Und es ward Licht“ in Händen hält. An ihr kommt unweigerlich vorbei, wer den Rundgang westlich des Münsterplatzes fortsetzt. Fast 600 Jahre, nachdem Johannes Gutenberg den Buchdruck in der reichen Handelsstadt entwickelte, kehrt Straßburg nun ins Bücheruniversum zurück – und zwar im großen Stil als UNESCO-Welthauptstadt des Buches: Ab April 2024 feiert man ein Jahr lang unter dem Motto Lire notre monde die Kultur des Buches, des Lesens, der Sprachen und der Bibliotheken mit einem Programm für die breite Öffentlichkeit, eingebettet in fünf verschiedene Themen-Schwerpunkte (mehr Infos dazu am Ende des Beitrags).
An Orten wie dem Gutenberg-Platz oder dem malerischen Gerberviertel (La Petite France), das man leicht über die Grand Rue erreicht und eines der ältesten Quartiere der weitgehend autofreien, von der Ill umflossenen Altstadt ist, finden manche der über 200 Veranstaltungen statt: Umrahmt von Wasserkanälen, prächtigen Fachwerk- und Patrizierhäusern und markanten Bauwerken wie dem einstigen Renaissance-Rathaus.
Nach einem Bummel durch die kleinen Gässchen mit ihren schicken Läden und einer kurzen Pause am Place Benjamin Zix, an dem rund um die Terrasse mit Blick aufs Wasser hübsche Lokale zur Einkehr locken, erreicht man über eine über 140 Jahre alte Drehbrücke die Reste der einst mächtigen Stadtbefestigung – die Ponts Couverts, imposante Steinbrücken mit Wachtürmen, ehemals überdacht mit Holz, was ihnen den Namen Gedeckte Brücken einbrachte. Von hier lässt sich noch ein Schlenker hinüber zur Panorama-Terrasse, der vom Sonnenkönig beauftragten Barrage Vauban, unternehmen, bevor es in einer Kehre in südöstlicher Richtung entlang des Quai Saint-Thomas zurück zum Münster-Platz – in seiner Art einer der schönsten in Europa – zurückgeht.
Allerdings nicht ohne noch einen Blick in das Elsässische Museum - vor über 100 Jahren gegründet -, kurz vor der Raben-Brücke geworfen zu haben: Stilvoll renoviert zeigt es auf raffinierte Weise in mehreren miteinander durch Treppen und Gängen verbundenen mittelalterlichen Häusern rund 5000 Exponate zu Alltag, Kultur und Volkskunst vorwiegend des ländlichen Elsass aus verschiedenen Epochen. Zu entdecken gibt es hier neben den lokaltypischen Exponaten regionale Besonderheiten und Gepflogenheiten buchstäblich in großer Dimension, wie rekonstruierte traditionelle Arbeits- und Wohnräume oder eine Küche und eine Apotheker-Alchemisten-Werkstatt, die allesamt ein Bild der Identität der elsässischen Lebensart vermitteln. Mit seinen wechselnden Veranstaltungen gelingt es dem Haus zudem, den Besuchern immer wieder spannende Themen im Kontext zwischen Tradition und Moderne zu präsentieren.
Apropos präsentieren: Im Umkreis der Grande Île wartet Strasburg mit einer Reihe weiterer lohnender Entdeckungen auf. Dazu bedarf es nur ein paar Schritte die Altstadt hinaus und man steht mitten in einem einmaligen Gründerzeit-Komplex, dem sogenannten „Deutschen Viertel“ oder „La Neustadt“, erbaut im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Vom einstigen Kaiserpalast über den Platz der Republik, das einstige Parlament des Reichslandes Elsass-Lothringen, heute Théâtre National de Strasbourg, flaniert man auf breiten Avenuen bis zur imposanten Universitätsbibliothek und erreicht dahinter eine grüne Oase, den großen Botanischen Garten, einer der ältesten in Frankreich. Mit seiner Fülle an Pflanzen auf dem über drei Hektar großen Parkareal ist es zu jeder Jahreszeit ein lohnendes Ziel für ein entspanntes Flanieren unter großen Bäumen, entlang an Gewächshäusern und Teichen.
Nicht nur auf der Grande Île und in der „Neustadt“ – beide sind UNESCO-Welterbestätten – kreuzen sich historische Epochen und Ereignisse. Am Broglie-Platz, gerade mal ein Katzensprung vom Münster entfernt, entstand sogar ein wahrer Welthit: Im dortigen Gebäude der Banque de France hat Rouget de Lisle ihn aus der Taufe gehoben – eine „Sternstunde der Menschheit“, so der Schriftsteller Stefan Zweig über die Geburtsstunde des Kriegslieds, die „Marseillaise“, vor über 220 Jahren. Damals war der Hauptmann in Straßburg (es ist das dritte Jahr der Revolution) stationiert, als der Krieg ausbricht gegen Österreich und Preußen, die als restaurative Mächte die alte Ordnung in Europa wiederherstellen und die junge Republik beseitigen wollen. Dagegen will man sich verteidigen – und was man dafür benötigt, ist ein Lied. Der Straßburger Bürgermeister, Baron de Dietrich, hat das begriffen. Am 24. April 1792 bittet er bei einer Abendgesellschaft seinen Gast: „Monsieur de Lisle, schreiben Sie uns doch ein schönes Lied für die Soldaten, die gerade von allen Seiten ihrem Vaterland zu Hilfe eilen.“
Text / Fotos: Daniel Basler
Touristische Infos finden sich auf den Seiten: www.visitstrasbourg.fr, www.strassburg.eu, www.int.strasbourg.eu, www.visit.alsace, www.atout-france.fr
Näheres zum Programm Welthauptstadt des Buches gibt es unter: www.lirenotremonde.strasbourg.eu
Autor:Daniel Joel Basler aus Dortmund |
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