Mitschuld an schweren Menschenrechtsverletzungen
"Waffenlieferungen an Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen aussetzen"
Verbündete Israels und Unterstützer bewaffneter palästinensischer Gruppen sollten Waffenlieferungen an die Konfliktparteien in Israel und im Gazastreifen aussetzen. Es besteht ein reales Risiko, dass der Einsatz dieser Waffen zu schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen führt, so Human Rights Watch heute. Länder, die Waffen liefern, welche offenkundig und in erheblichem Maße bei unrechtmäßigen Angriffen eingesetzt werden, können sich so mitschuldig an Kriegsverbrechen machen.
Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen haben während der aktuellen Feindseligkeiten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, die Kriegsverbrechen gleichkommen. Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben am 7. Oktober 2023 vorsätzlich Hunderte von Zivilist*innen in Israel getötet und mehr als 200 Geiseln verschleppt. Israel hat daraufhin die Versorgung der Bevölkerung des Gazastreifens mit Strom, Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser unterbrochen und die lebensrettende humanitäre Hilfe stark eingeschränkt – alles Akte einer kollektiven Bestrafung.
Mitschuldig an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen
"Zivilist*innen werden in einem Ausmaß bestraft und getötet wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte Israels und Palästinas", sagte Bruno Stagno, Chief Advocacy Officer bei Human Rights Watch. "Die Vereinigten Staaten, der Iran und andere Regierungen riskieren, sich mitschuldig an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu machen, wenn sie weiterhin Parteien unterstützen, die bekanntermaßen Menschenrechtsverletzungen begehen."
Israels wichtigste Verbündete - die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada und Deutschland - sollten ihre Militärhilfen und Waffenverkäufe an Israel aussetzen, solange die israelischen Streitkräfte ungestraft umfangreiche, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen, die Kriegsverbrechen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung gleichkommen. Der Iran und andere Regierungen sollten die Lieferung von Waffen an bewaffnete palästinensische Gruppen, einschließlich der Hamas und des Islamischen Dschihad, einstellen, solange diese systematisch Angriffe verüben, die Kriegsverbrechen gegen israelische Zivilist*innen darstellen.
Seit dem 7. Oktober wurden nach Angaben der örtlichen Behörden etwa 1.400 Menschen in Israel und mehr als 9.700 Palästinenser*innen getötet. Viele der Opfer waren Zivilist*innen.
Im Rahmen der aktuellen Feindseligkeiten wird die Zivilbevölkerung im Gazastreifen Opfer einer Kollektivstrafe durch die israelischen Streitkräfte, die ihr Wasser, Strom und Nahrungsmittel verweigern und die Lieferung humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen mutwillig erschweren.
Die israelischen Streitkräfte haben zudem wiederholt Sprengstoff mit großflächiger Wirkung in dicht besiedelten Gebieten eingesetzt, wodurch ganze Häuserblocks und große Teile von Stadtvierteln in Schutt und Asche gelegt wurden. Dies ließ den Verdacht aufkommen, dass es sich um wahllose Angriffe handelte. Ferner haben sie in besiedelten Gebieten im Gazastreifen und im Libanon wahllos weißen Phosphor eingesetzt, eine hochentzündliche Substanz, die schwere Verbrennungen und lebenslanges Leid bei Menschen verursachen kann. Amnesty International hat zudem Fotos verifiziert, die den Einsatz von 155-mm-Artilleriegeschossen mit weißem Phosphor der Serie M825 durch die israelischen Streitkräfte in der Nähe der libanesischen Grenze und der Zäune des Gazastreifens zeigen.
Gefahr einer Massenvertreibung
Das israelische Militär hat außerdem mehr als eine Million Menschen im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, sich aufgrund der Militäroperationen im Norden in den Süden des Gazastreifens zu begeben, obwohl die Menschen dort nirgendwohin können und es keine sicheren Evakuierungsrouten gibt. Breit angelegte statt konkreter Warnungen vor bevorstehenden Angriffen deuten darauf hin, dass der gesamte nördliche Gazastreifen von militärischen Angriffen bedroht ist. Diese Anordnung zur Evakuierung birgt die Gefahr einer Massenvertreibung, welche wiederum ein Kriegsverbrechen darstellt. Israel hat außerdem seine Grenzübergänge für alle abgeriegelt, die versuchen zu fliehen.
Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben vorsätzlich Zivilist*innen getötet und weitere Zivilist*innen als Geiseln genommen, welche sie noch immer gefangen halten. Zudem haben sie Tausende Raketen auf israelische Gemeinden abgefeuert - all das sind Kriegsverbrechen.
Die Führung Israels und der bewaffneten palästinensischen Gruppen haben Erklärungen abgegeben, die vermuten lassen, dass die schwerwiegenden Übergriffe ihrer Streitkräfte weitergehen werden. Israelische Beamte haben versucht, die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens für den Angriff vom 7. Oktober verantwortlich zu machen; ein Minister sagte, es gebe "keinen Grund", der Bevölkerung humanitäre Hilfe zu leisten, solange die israelischen Streitkräfte die Hamas nicht "eliminiert haben". Ein Sprecher des militärischen Flügels der Hamas drohte damit, die "Hinrichtung einer feindlichen zivilen Geisel" in Ton und Bild zu übertragen.
Völkerrechtswidrige Angriffe
Künftige Waffenlieferungen an Israel angesichts der anhaltenden schweren Verstöße gegen das Kriegsrecht bergen die Gefahr, dass sich die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Kanada und Deutschland an diesen Verstößen mitschuldig machen, wenn sie wissentlich und in erheblichem Maße zu ihnen beitragen, so Human Rights Watch. Die Lieferung von Waffen an bewaffnete palästinensische Gruppen wiederum birgt die Gefahr, dass sich der Iran an diesen Verstößen mitschuldig macht, da die bewaffneten Gruppen weiterhin völkerrechtswidrige Angriffe durchführen.
Die gegenwärtigen Verstöße folgen auf jahrelange systematische Verstöße, darunter rechtswidrige Luftangriffe auf den Gazastreifen durch israelische Streitkräfte, das wahllose Abfeuern von Raketen auf zivile Gemeinden in Israel durch bewaffnete palästinensische Gruppen und Israels Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Apartheid und Verfolgung an Palästinenser*innen, die bislang ungestraft geblieben sind.
US-Präsident Biden hat 14,3 Milliarden US-Dollar für weitere Waffen für Israel beantragt, zusätzlich zu den 3,8 Milliarden US-Dollar, die Israel ohnehin jährlich an Militärhilfe erhält. Am 2. November verabschiedete das US-Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf, der diese Militärhilfe für Israel billigt. Seit dem 7. Oktober haben die Vereinigten Staaten unter anderem Bomben mit kleinem Durchmesser, JDAM-Lenkungssätze (Joint Direct Attack Munition), 155-mm-Artilleriegeschosse und eine Million Schuss Munition an Israel geliefert bzw. entsprechende Lieferungen angekündigt.
Großbritannien hat seit 2015 den Verkauf von Waffen im Wert von umgerechnet 539 Millionen US-Dollar an die israelischen Streitkräfte genehmigt, darunter Flugzeuge, Bomben und Munition. Kanada exportierte in den Jahren 2021 und 2022 Waffen im Wert von umgerechnet 33 Millionen US-Dollar. Deutschland hat zwischen 2015 und 2019 Lizenzen für Waffenverkäufe an Israel im Wert von 862 Millionen Euro erteilt.
Die Hamas-Führung erklärte im Januar 2022 öffentlich, dass sie mindestens 70 Millionen US-Dollar an militärischer Unterstützung aus dem Iran erhalten hat, machte aber keine Angaben darüber, in welchem Zeitraum diese Unterstützung geleistet wurde.
"Wie viele Zivilist*innen müssen noch sterben, wie viele Opfer von Kriegsverbrechen werden, bevor die Länder, die Waffen an Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen liefern, den Stecker ziehen und so vermeiden, sich mitschuldig an diesen Gräueltaten zu machen?", so Stagno.
Autor:Carsten Klink aus Dortmund-Ost |
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