Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz: Petition gestartet

"Wir fordern den Bundestag auf, ein Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes starten wir eine Unterschriftenaktion.", erklärt Digitalcourage. | Foto: Fabian Kurz, CC-BY 4.0
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  • "Wir fordern den Bundestag auf, ein Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes starten wir eine Unterschriftenaktion.", erklärt Digitalcourage.
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Der Verein Digitalcourage fordert, das Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen und startete dazu eine Petition am 23. Mai 2024.

"Ohne Smartphone keine Speisekarte, ohne E-Mail keine Fahrkarte, ohne App kein Paket, ohne Account keinen Arzttermin – dieser Trend zum Digitalzwang nimmt gerade an Tempo auf. An immer mehr Stellen werden wir genötigt, uns einzuloggen, online zu registrieren oder eine App herunterzuladen – und dabei immer mehr persönliche Daten preiszugeben", sagt Rena Tangens, Gründerin und Vorstand von Digitalcourage.

Digitalcourage bearbeitet das Thema Digitalzwang seit 2021 – täglich erreichen die Grundrechtsorganisation Beschwerden von Menschen über Benachteiligungen und de facto Ausschluss. Der Deutschen Post DHL hat Digitalcourage 2023 einen viel beachteten BigBrotherAward für den Digitalzwang bei ihren neuen Packstationen verliehen [1]. Auch der zunehmende Zwang, die Terminplattform des Unternehmens Doctolib zu nutzen, um einen Arzttermin zu bekommen, war mehrfach Thema [2]. Digitalcourage hat sich mehrfach gegen die Versuche der Deutschen Bahn ausgesprochen, Menschen zur Benutzung der App "DB Navigator" zu nötigen [3] und klagt gegen das übergriffige Tracking in dieser App [4].

Nun will Digitalcourage das Problem grundlegend angehen, erklärt Julia Witte, Redakteurin und Campaignerin bei Digitalcourage: "Wir wollen das Übel jetzt bei der Wurzel packen: Wir fordern den Bundestag auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen!”

Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes startet Digitalcourage deshalb eine Unterschriftensammlung, die an den Bundestag gerichtet ist. Die Online-Petition startete am 23. Mai 2024 (Donnerstag) und wird dann über die Website https://digitalcourage.de zu finden sein. Es wird aber auch die Möglichkeit geben, offline auf Papier zu unterzeichnen.

Mit dieser Petition fordert Digitalcourage die Bundesregierung auf, das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen und damit gesetzlich zu verankern. Denn die Wahrnehmung der Grundrechte und der Daseinsvorsorge, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Nutzung der öffentlichen Infrastruktur (z.B. Post, Bahn, medizinische Versorgung) darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass Menschen das Internet, ein Smartphone oder bestimmte Software benutzen.

Digitalzwang schließt viele Menschen aus
Digitalzwang schließt viele Menschen aus. Davon betroffen sind oft alte oder kranke Menschen, Menschen mit Behinderung und Menschen mit geringem Einkommen, die sich ein (aktuelles) Smartphone und die Kosten für mobile Daten nicht leisten können. Digitalzwang betrifft aber auch oft Menschen, die sehr technik-affin sind, erklärt Rena Tangens: "Es gibt Leute, die behaupten, das sei ein Problem, das irgendwann "wegsterben" würde. Das ist nicht nur zynisch, sondern auch schlicht falsch. Denn Digitalzwang betrifft nicht nur Seniorinnen, sondern auch Menschen, die ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ernst nehmen, die nicht wahllos Apps auf ihrem Gerät installieren möchten und nicht bei jeder alltäglichen Handlung eine Datenspur hinterlassen wollen."

Auch die Nutzung von alternativen Betriebssystemen oder die bewusste Ablehnung der App-Stores großer Anbieter führt oft zu einem Ausschluss von digitalen Angeboten. Für Julia Witte von Digitalcourage ist die Wahlfreiheit wichtig: "Ich möchte auch mal ohne Smartphone das Haus verlassen können! Es gibt viele Gründe, aus denen sich Menschen entscheiden, dauerhaft oder zeitweise kein Smartphone zu haben: Weil sie digitale Gewalt erlebt haben, weil sie bewusst nicht ständig erreichbar sein wollen oder ein Suchtpotenzial meiden wollen. Und schließlich kann auch einfach mal der Akku leer sein."

Gute Digitalisierung sieht anders aus!

Digitalcourage befürwortet grundsätzlich eine durchdachte, datenschutzfreundliche Digitalisierung, wenn analoge Zugänge bestehen. Das ist aber oft nicht der Fall, meint Julia Witte: "Digitalisierung scheint für viele zu bedeuten: Wir machen jetzt eine App und bieten alle unsere Dienste nur noch darüber an. Diese App gibt es dann ausschließlich im Google-Playstore oder im Apple-Store und ist im schlimmsten Fall auch noch voller Tracker. Dabei könnten mit ein bisschen mehr Kreativität und Weitsicht bessere, inklusivere Lösungen gefunden werden!"

Umdenken muss schnell geschehen
Mit der Petition will Digitalcourage jetzt für ein Umdenken sorgen, erklärt Rena Tangens: "Die Zeit drängt, denn immer mehr analoge Dienste, die uns bisher zur Verfügung standen, werden abgeschafft. Diese Infrastruktur später wieder aufzubauen, wird schwierig, wenn sie erst einmal verschwunden ist. Wir sollten sie auch aus Gründen der Resilienz bewahren. Deshalb gehört das Recht auf ein Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz!"

Weiterführende Quellen und Daten zum Thema
Mehr Materialien zum Thema Digitalzwang auf der Website von Digitalcourage:
https://digitalcourage.de/digitalzwang

[1] Die Laudatio zum BigBrotherAward 2023 für die neuen Packstationen der Post DHL Group:
https://bigbrotherawards.de/2023/deutsche-post-dhl

[2] Die Laudation zum BigBrotherAward 2021 für die Firma Doctolib GmbH für ihr Arzttermin-Vermittlungstool:
https://bigbrotherawards.de/2021/doctolib-gmbh

[3] Digitalcourage und vzbv kritisieren in einer Pressemitteilung die neue Regelung beim Kauf von Spartickets der Deutschen Bahn: https://digitalcourage.de/pressemitteilungen/2023/kein-digitalzwang-bahn

[4] Übersichtsseite zur Klage von Digitalcourage gegen das Tracking in der „DB Navigator”-App:
https://digitalcourage.de/db-tracking

5–6% der Bevölkerung in Deutschland zwischen 16 und 74 waren noch nie online (sogenannte "Offliner"). Das entspricht 3,1 Millionen Menschen. Dabei sind Menschen über 74 noch gar nicht mitgezählt, es ist davon auszugehen, dass in dieser Gruppe noch einmal eine hohe Zahl von Betroffenen dazukommt.
Quelle: Statistisches Bundesamt 2023

Der Anteil der Smartphone-Nutzer an der Bevölkerung in Deutschland betrug im Jahr 2022 laut statista rund 81,1 Prozent. Das heißt umgekehrt: rund 19 Prozent der Bevölkerung haben kein Smartphone.
Quelle: Statista 2024

64 Prozent der deutschen Internetnutzer.innen finden es “eher schlecht oder sehr schlecht”, wenn Bahntickets ausschließlich über das Internet oder Apps verkauft werden.
Quelle: Umfrage im Auftrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) im November 2023

Digitalcourage

Digitalcourage engagiert sich seit 1987 für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter. Wir sind technikaffin; doch wir wehren uns dagegen, dass unsere Demokratie "verdatet und verkauft" wird. Wir klären auf und mischen uns in Politik ein. Digitalcourage ist gemeinnützig, finanziert sich durch private Spenden und lebt durch die Arbeit vieler Freiwilliger.

"Wir fordern den Bundestag auf, ein Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen. Zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes starten wir eine Unterschriftenaktion.", erklärt Digitalcourage. | Foto: Fabian Kurz, CC-BY 4.0
"Wir finden: Es muss immer auch einen Weg geben, am öffentlichen Leben teilzuhaben, ohne zunehmend Daten abtreten zu müssen.", erklärt der Verein Digitalcourage. | Foto: Jens Reimerdes, CC-BY 4.0
Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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