Israel Palästina Libanon
Pressefreiheit: Angriffe und Drohungen in der ganzen Konfliktregion

Die Journalisten Said al-Tawil und Mohammed Subh werden am 10. Oktober 2023 in Gaza beerdigt. "Es ist unerlässlich, dass Journalistinnen und Reporter Konflikte dokumentieren. Wir fordern deshalb sowohl die israelische als auch die palästinensische Führung auf, auch im Krieg den Schutz von Medienschaffenden gemäß Resolution 2222 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu gewährleisten", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. | Foto: picture alliance / AA | Ashraf Amra
  • Die Journalisten Said al-Tawil und Mohammed Subh werden am 10. Oktober 2023 in Gaza beerdigt. "Es ist unerlässlich, dass Journalistinnen und Reporter Konflikte dokumentieren. Wir fordern deshalb sowohl die israelische als auch die palästinensische Führung auf, auch im Krieg den Schutz von Medienschaffenden gemäß Resolution 2222 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu gewährleisten", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
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Auch mehr als drei Wochen nach den blutigen Terrorangriffen der Hamas auf Israel sind Medienschaffende und Redaktionen extrem gefährdet – vor allem im Gazastreifen, aber auch im Westjordanland und im Süden des Libanon. Auch in Israel sehen sich Medienschaffende zunehmend unter Druck. Bislang wurden nach Zählung von Reporter ohne Grenzen (RSF) bei israelischen Luftangriffen in Gaza und im Süden des Libanon elf Journalisten getötet, in zehn weiteren Fällen prüft RSF, ob die Medienschaffenden während oder wegen ihrer Arbeit getötet wurden. Das trifft auf die drei in Israel getöteten Medienschaffenden nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu. Solche Prüfungen dauern, denn die Lage gerade in Gaza ist unübersichtlich. Fehlender Strom, schwache Internetverbindungen und zerstörte Infrastruktur tragen ebenso dazu bei wie die massive Propaganda der Hamas und die generelle Desinformation.

Das zuletzt verifizierte Opfer ist Ruschdi Sarradsch, der am 22. Oktober bei einem israelischen Luftangriff auf sein Wohnhaus starb. Sarradsch arbeitete zuletzt als freier lokaler Mitarbeiter für Radio France und ist Mitgründer der Filmproduktionsfirma Ain Media. Zuvor, am 17. Oktober, wurde Mohammed Baluscha, Mitarbeiter des Fernsehsenders Palestine Today getötet, ebenfalls durch einen Luftangriff auf das Gebäude, in dem er wohnte. Der Sender wurde in der Vergangenheit von den israelischen Behörden verboten und gilt als vernetzt mit der Terrorgruppe "Islamischer Dschihad". Neben der Gefahr für Leib und Leben leiden Medienschaffende im Gazastreifen unter den allgemeinen Anti-Terror-Maßnahmen der israelischen Streitkräfte wie der verschärften Blockade und der Forderung an alle Zivilistinnen und Zivilisten, den Norden des Gebiets zu verlassen. Von außen kommen derzeit keine Journalistin und kein Reporter in den Gazastreifen hinein.

"Wir brauchen dringend unabhängige Berichterstattung aus dem gesamten Konfliktgebiet, vor allem aus dem Gazastreifen", sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. "Es wird von Tag zu Tag gefährlicher, dort journalistisch zu arbeiten. Und doch darf Gaza nicht zu einem medialen schwarzen Loch werden. Auch im Krieg muss der Schutz von Medienschaffenden gewährleistet werden. In Israel sehen sich Journalistinnen und Journalisten zunehmend Anfeindungen ausgesetzt."
Medienschaffende müssen fliehen

Seit dem 7. Oktober wurden bei israelischen Luftangriffen mehrere Redaktionsräume im Gazastreifen ganz oder teilweise zerstört. Die Palästinensische Journalistengewerkschaft spricht von bis zu 50 betroffenen Medien. Die meisten der 24 Radiosender, die für die Bevölkerung zu den wichtigsten Nachrichtenquellen gehören, haben entweder wegen der Luftangriffe oder aufgrund der Blockade den Betrieb eingestellt – es fehlt unter anderem am Treibstoff für die Generatoren. Klar ist auch: Unabhängige Berichterstattung aus dem Gazastreifen ist seit der Machtübernahme durch die Hamas im Jahr 2007 kaum noch möglich.

Am 19. Oktober wurde bei einem Angriff in der Nähe des Nasser-Krankenhauses in Chan Junis ein provisorisches Nachrichtenzelt zerstört, in dem Teams von BBC, Reuters, Al-Dschasira, AFP und lokalen Nachrichtenagenturen untergebracht waren. Verletzt wurde niemand.

RSF schätzt, dass mindestens 50 Medienschaffende ihre Häuser in Gaza-Stadt überstürzt verlassen haben, nachdem sie das israelische Militär zur Evakuierung aufgefordert hat. Häufig blieben journalistische Ausrüstung, Dokumente und Schutzkleidung zurück.

Auch der Kontakt zur RSF-Korrespondentin vor Ort war zwischenzeitlich abgerissen. Am 14. Oktober teilte sie dann mit, sie habe stundenlang ohne Netzverbindung verbracht: "Ich habe mein Haus in Gaza-Stadt gestern Abend geräumt. Ich habe Schwierigkeiten, mit euch zu sprechen. Wir haben hier kaum Internet, und wir können unsere Telefone nicht aufladen. Ich tue mein Bestes, um Informationen zu sammeln. Wir leben in Angst, das ist unerträglich. Dies ist nicht der erste Krieg, über den ich in Gaza berichte, aber so etwas habe ich noch nie gesehen."

Auch außerhalb des Gazastreifens steigt die Gefahr

Auch wer von außerhalb über die Situation im Gazastreifen berichtet, steht unter großem Druck. Mindestens ein Journalist wurde von den israelischen Streitkräften im Westjordanland wegen seiner Berichterstattung über den Krieg in Gaza verhaftet. Er hatte am 8. Oktober über das Vorgehen der israelischen Streitkräfte in Beit Hanoun berichtet, in der nordöstlichen Ecke des Gazastreifens. Die Hintergründe seiner Verhaftung sind unklar. In Jerusalem wurde der Korrespondent von Al-Araby TV, Ahmed Darwascha, während einer Live-Sendung von einem Polizisten bedroht und beleidigt. In Tel Aviv wurde ein Team der BBC von der Polizei mit vorgehaltener Waffe festgehalten. Ihr Auto war mit dem Wort "Presse" markiert, die Polizei befürchtete jedoch eine Tarnung und durchsuchte die Mitglieder des Teams nach Waffen.

Die israelischen Behörden stehen zudem offenbar kurz davor, das Büro des Senders Al-Dschasira in Jerusalem zu schließen. Israelischen Medien zufolge hat die Generalstaatsanwaltschaft dem bereits zugestimmt. Mehrere Politikerinnen und Politiker werfen dem Sender vor, er verbreite Hamas-Propaganda und gebe sensible Informationen an den Feind weiter. Zwar gibt es auch international Vorbehalte gegen die Berichterstattung des katarischen Senders, dennoch ist er mit Büros sowohl in Gaza-Stadt als auch in Jerusalem für viele Medien eine Quelle.

Auch in Israel sind Medienschaffende teils starken Anfeindungen ausgesetzt. Am 16. Oktober musste der prominente Journalist Israel Frey untertauchen, nachdem ihn hunderte Protestierende an seinem Wohnort aufgesucht, bedrängt und mit dem Tod bedroht haben. Frey hatte zuvor sein Mitgefühl mit der Bevölkerung in Gaza ausgedrückt.

Seit mehr als zwei Wochen feuert auch die libanesische Hisbollah-Miliz wieder vermehrt Raketen auf Israel ab. Bei einem israelischen Gegenschlag wurde am 13. Oktober der libanesische Reuters-Reporter Issam Abdallah getötet. Bei dem gleichen Angriff wurden sechs weitere Medienschaffende zum Teil schwer verletzt. Alle waren deutlich als Medienschaffende erkennbar.

Am 18. Oktober wurde die offizielle Nachrichtenagentur der Palästinensischen Autonomiebehörde, Wafa, Opfer eines Cyberangriffs, der nach Angaben von Wafa und Roya News ihre Nachrichtenwebsite lahmlegte. Wer für den Anschlag verantwortlich ist, ist nicht geklärt. Bereits am 9. Oktober hatte die Jerusalem Post gemeldet, dass ihre Website aufgrund einer Reihe von Cyberangriffen am Vortag nicht erreichbar war.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Palästinensischen Gebiete auf Platz 156. Israel steht auf Platz 97. Libanon steht auf Platz 119.

https://www.reporter-ohne-grenzen.de/

Autor:

Carsten Klink aus Dortmund-Ost

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