Mutwillige Zerstörung durch Israels Militär in Gaza muss als Kriegsverbrechen untersucht werden
Das israelische Militär hat systematisch landwirtschaftliche Flächen und Tausende Häuser im östlichen Gazastreifen zerstört, nachdem es die Kontrolle über das Gebiet erlangte. Amnesty International fordert, das Vorgehen als Kriegsverbrechen zu untersuchen.
Das Vorgehen des israelischen Militärs, eine "Pufferzone" entlang der östlichen Abgrenzung des besetzten Gazastreifens erheblich auszuweiten, muss als Kriegsverbrechen untersucht werden. Recherchen von Amnesty International zeigen, dass es sich dabei möglicherweise um die Kriegsverbrechen der mutwilligen Zerstörung und Kollektivbestrafung handelt.
Die Menschenrechtsorganisation dokumentiert, wie entlang der östlichen Abgrenzung des Gazastreifens ein Muster systematischer Zerstörung angewendet wird. Mit Bulldozern und Sprengsätzen hat das israelische Militär rechtswidrig landwirtschaftliche Flächen und zivile Gebäude zerstört sowie ganze Stadtviertel mit Häusern, Schulen und Moscheen dem Erdboden gleichgemacht. Die Häuser wurden nicht im Zuge von Kampfhandlungen zerstört, sondern nachdem das Militär die Kontrolle über das Gebiet erlangt hatte.
Durch die Analyse von Satellitenbildern und Videos, die von israelischen Streitkräften zwischen Oktober 2023 und Mai 2024 in Sozialen Medien gepostet wurden, konnte das Crisis Evidence Lab von Amnesty International entlang der östlichen Abgrenzung des Gazastreifens einen neu zerstörten Landstrich identifizieren, der zwischen 1 km und 1,8 km breit ist. In einigen Videos sind israelische Armeeangehörige zu sehen, die für Fotos posieren oder auf den Abriss von Gebäuden anstoßen.
Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die systematische Verwüstung, die das israelische Militär im Gazastreifen anrichtet, ist ein Akt der mutwilligen Zerstörung und nicht durch militärische Notwendigkeiten zu rechtfertigen. Unsere Recherchen haben gezeigt, wie die israelischen Streitkräfte Wohnhäuser zerstört, Tausende von Familien aus ihren Häusern vertrieben und ihr Land unbewohnbar gemacht haben.
Die Einrichtung einer 'Pufferzone' darf nicht auf die kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung in diesen Gebieten hinauslaufen. Israels Maßnahmen zum Schutz seiner Bevölkerung müssen im Einklang mit seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen durchgeführt werden. Mutwillige Zerstörung und Kollektivbestrafung sind Kriegsverbrechen und müssen als solche untersucht werden."
Israelische Behörden haben eingeräumt, dass es nach den Angriffen vom 7. Oktober 2023 aus Sicherheitsgründen zur Zerstörung von Gebäuden entlang der Ostgrenze des Gazastreifens gekommen sei, um Menschen in Israel vor weiteren Angriffen zu schützen. Das israelische Militär rechtfertigt den Abriss von Gebäuden im Gazastreifen mit der Angabe, dadurch Tunnel und andere "terroristische Infrastruktur" zerstört zu haben.
Am 2. Juli 2024 hat sich Amnesty International mit Fragen zu den Verwüstungen an die israelischen Behörden gerichtet. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorliegenden Rechercheergebnisse lag noch keine Antwort vor.
Militärische Notwendigkeit und das humanitäre Völkerrecht
Die erweiterte "Pufferzone" entlang der Abgrenzung zu Israel umfasst rund 58 km², was etwa 16 Prozent des gesamten besetzten Gazastreifens entspricht. Im Mai 2024 schienen mehr als 90 Prozent der Bauten in diesem Gebiet (mehr als 3.500 Gebäude) zerstört oder schwer beschädigt zu sein. Auf mehr als 20 km² bzw. 59 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in dieser Gegend wuchsen aufgrund des anhaltenden Konflikts weniger und kränkere Nutzpflanzen.
Amnesty International hat mit betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen, Satellitenbilder ausgewertet, 25 Videos aus diesem Grenzgebiet überprüft und Angaben des israelischen Militärs, der Hamas und anderer bewaffneter Gruppen untersucht, um festzustellen, ob die Zerstörung rechtmäßig war.
In vier von Amnesty International untersuchten Gebieten kam es zu Verwüstungen, nachdem die israelische Armee bereits die Kontrolle über die Gebiete übernommen hatte, was bedeutet, dass die Schäden nicht durch direkte Kämpfe zwischen dem israelischen Militär und der Hamas bzw. anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen verursacht wurden. In diesen Teilen des Gazastreifens wurden Gebäude vorsätzlich und systematisch zerstört.
Die Vermutung liegt nahe, dass viele der Bauten abgerissen wurden, weil sie sich in der Nähe des von Israel errichteten Zauns befanden. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass manche der Gebäude in der Vergangenheit von bewaffneten Gruppen genutzt wurden, macht eine mögliche künftige Nutzung von zivilen Objekten wie Wohnhäusern, Schulen, oder Moscheen durch bewaffnete Gruppen diese Objekte nicht per se zu legitimen militärischen Zielen.
Das humanitäre Völkerrecht verbietet die Zerstörung von Eigentum des Gegners, von Privatpersonen und des Staates, es sei denn, es liegt eine zwingende militärische Notwendigkeit vor. Im Fall einer zwingenden militärischen Notwendigkeit ist die Zerstörung von Eigentum erlaubt, wenn sie einem legitimen militärischen Zweck dient und nicht gegen andere Bestimmungen des humanitären Völkerrechts verstößt, z. B. das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder das Verbot der Kollektivbestrafung.
Ein Beispiel für einen legitimen Zweck wäre die Zerstörung eines Gebäudes, das dem Feind Deckung bietet, um die gegnerischen Truppen während aktiver Kampfhandlungen zu beschießen. Dieser Ausnahmefall ist in den von Amnesty International dokumentierten Fällen nicht gegeben, da die israelischen Streitkräfte die Gebiete zum Zeitpunkt der Verwüstung bereits kontrollierten und die Kampfhandlungen weitgehend eingestellt worden waren. Selbst wenn die Zerstörung einem legitimen militärischen Zweck dient, sind ihr in Vorgehensweise und Ausmaß durch das humanitäre Völkerrecht Grenzen gesetzt, u. a. durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Wenn die israelischen Streitkräfte es für militärisch notwendig halten, eine "Pufferzone" einzurichten, dann scheint es dafür andere Möglichkeiten auf israelischem Gebiet zu geben, die mit dem humanitären Völkerrecht im Einklang stehen würden. In Anbetracht der Tatsache, dass es solche realisierbaren Alternativen gibt, steht die weitläufige Verwüstung in keinem Verhältnis zu einem möglichen legitimen militärischen Zweck. Daher sollten die Fälle als Kriegsverbrechen der mutwilligen Zerstörung untersucht werden. Weiterhin liegen Amnesty International Hinweise vor, dass in manchen Fällen Wohnhäuser und andere zivile Objekte zerstört wurden, um die Zivilbevölkerung für Angriffe bewaffneter Gruppen zu bestrafen. Dieses Vorgehen sollte als Kriegsverbrechen der Kollektivbestrafung untersucht werden.
Autor:Carsten Klink aus Dortmund-Ost |
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